Wieso Keir Starmer als Premier viele neue Brücken schlagen muss
Es ist sorgfältig orchestriert. Für alles andere ist der Moment aber auch zu historisch.
Als Keir Starmer am Freitag um 12:38 Uhr mit seiner Ehefrau Victoria in der schwarzen Limousine als neuer britischer Premierminister durch das messingeiserne Tor in die Downing Street einfährt, stehen sie bereit.
Die ausgewählten Labour-Unterstützer, die vorab durch die massiven Sicherheitskontrollen geschleust wurden.
Die vom Kommunikationsteam in exakte Positionen beider Seiten der ikonischen schwarzen No.-10-Tür gebracht wurden. Die Fahnen erhielten, mit denen sie wedeln, während sie jubeln und rufen, als Keir Starmer aus der schwarzen Limousine steigt und nicht gleich zum hölzernen Redepult schreitet, sondern zuerst in die andere Richtung. Hände schüttelt. Sich drücken lässt. Und trotz der Aufregung, die schwer auf der ganzen Gasse liegt, ist sein Lachen zum ersten Mal nicht gepresst oder steif. Sondern leicht. Nahezu erleichtert.
„We did it“, waren Freitagfrüh sein ersten Worte nachdem die Mehrheit Gewissheit war. „Wir haben es geschafft.“ Nach 14 Jahren und einem Erdrutschsieg ist in Großbritannien wieder die Labourpartei an der Macht.
„Licht der Hoffnung“
Und sogar das Wetter spielt am Angelobungstag dann mit. Deen ganzen Tag über waren dicke Regentropfen auf die Schirme der wartenden Journalisten in der Downing Street geklatscht und Akshata Murty hat bei den Abschiedsworten ihres Ehemannes Rishi Sunak noch den Regenschirm bereithalten müssen.
Doch um halb eins – ziemlich genau, als Keir Starmer den Buckingham Palace nach der Audienz mit König Charles verlässt – die Sonne durch die Wolken. Besser hätte es selbst Kommunikationsteam nicht einteilen können, hatte Keir Starmer in den frühen Morgenstunden des Freitag im Tate Modern doch vom „Sonnenlicht der Hoffnung“ gesprochen, das „anfangs blass“, im Laufe des Tages immer stärker werdend nun wieder „auf Land scheinen kann, das nach 14 Jahren die Chance hat, seine Zukunft zurückzuerobern.“
Doch auf Poesie des Wahlsiegtaumels Freitagmorgen folgte am Nachmittag pragmatische Prosa. Als der 61-Jährige Freitagmittag zu seiner Rede ansetzt, beginnt er nicht bei sich. Was er sagt, stützt das Bild des gewissenhaften und korrekten Juristen, das er gerne bedient – denn er beginnt mit seinem Vorgänger. Er wolle Rishi Sunak danken und die Leistung als erster britisch-asiatischer Premierminister dieses Landes – „die zusätzlichen Anstrengungen, die das erfordert hat“ – von niemandem unterschätzt wissen. Es ist die erste Brücke, die Starmer in seiner Rede schlägt.
Für die anderen
Der Labour-Chef weiß, dass er zwar diese Wahl, aber dabei nicht das ganze Land für sich gewinnen konnte. Dass viele Briten bei dieser Parlamentswahl nicht für Labour, sondern gegen die Tories gestimmt haben. Seine Partei hat mit 412 der insgesamt 650 zwar 64 Prozent der Parlamentssitze erhalten, aber nur 34 Prozent der Stimmen.
Und so wählt er den direkten Weg nach vorne, spricht es offen an: „Diese Wunde, dieser Mangel an Vertrauen“, räumt er ein, „kann nur durch Taten, nicht durch Worte geheilt werden. Ich weiß das. Aber wir können heute einen Anfang machen.“ Und so möchte er nicht nur jenen, die für, sondern auch besonders jenen, die gegen ihn gestimmt haben, versichern: „Meine Regierung wird euch dienen.“ Es sind ungewohnte Töne in einem Land, das durch ein historisches Zweiparteiensystem auf Konfrontation ausgerichtet ist.
Dass Stürmers Labourpartei die ganze Nation zusammenbringen möchte, zeigt sich auch in den Fähnchen, die einige immer noch wedeln. Denn es wurden nicht nur Union-Jack-Fahnen verteilt, sondern auch das blau-weiße Andreaskreuz Schottlands und der rote Drachen von Wales. Die „vier Nationen des Vereinigten Königreichs“ stellen sich nun, sagt Starmer, „wieder zusammen“ den Herausforderungen einer unsicheren Welt.
Zuversicht und Tränen
Der Schotte Jerry Marshall, der die Rede auf der Whitehall im Livestream verfolgt, nickt bei diesen Worten. Er ist zufällig diese Woche mit seiner Tochter nach London gekommen, doch den Weg zur Downing Street hatten sie bewusst gewählt. Diesen historischen Moment wollte er nicht verpassen. „Ich habe seit langem wieder Hoffnung.“
Martin Catterole neben ihm hat nicht nur neue Zuversicht, sondern auch Tränen in den Augen. Entschuldigend wischt er sich über die Wangen. „Sorry, aber Jesus, das fühlt sich gut an, endlich wieder Labour am Ruder.“ Und doch erwartet er sich von den kommenden fünf Jahren nicht viel. „Ich bin da realistisch. Es muss so viel erst in Ordnung gebracht werden.“
Aus den Trümmern
Denn die alte Tory-Regierung hat einen Trümmerhaufen zurückgelassen (siehe auch links unten): Ein gebrochenes Gesundheitssystem, bankrotte Gemeinden, überfüllte Gefängnisse, leidende Universitäten und der möglicher Kollaps der privaten Wasserfirmen.
Und so sind nicht alle Briten so geduldig wie Martin Catterole. „Aber wie, wie will er die Veränderung bringen?“ fragt der 60-jährige Kaya Mar. „Starmer sagt immer, er wird Veränderung bringen, aber niemand fragt ihn, wie er das anstellen möchte.“ Nur abwarten und Vertrauen haben, ist Mar nicht genug. Er möchte klare Ansagen.
Die wünscht sich die Deutsch-Britin Elke Day vor allem in eine Richtung. „Nun“, beginnt sie und die Europa-Fahne, die Europastern-Kette und der Europafahnen-Hut lassen erahnen, wie der Satz weitergehen könnte, „nun muss Keir Starmer auch das tun, was er während der Brexit-Phase versprochen hat.“
Und so steht Starmer nicht nur vor der Herausforderung, mit seinen Aktionen Vertrauen zu schaffen. Es müssen auch Taten sein, die das Spektrum des Landes abdecken. Dazu braucht es mehr als orchestriertes Fahnenwedeln.
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