Pflichtbewusst, managerhaft, ein bisschen langweilig – so lauten noch die freundlicheren Kommentare über den 61-Jährigen. Doch nachdem der Klamauk und die Redegewandtheit elitärer Privatschulabgänger das Land zuletzt vor allem in Krisen gestürzt hat, scheint farbloser Pragmatismus für viele Wähler nicht das schlimmste Los zu sein.
Linker Unterstützer, Stütze des Rechts
Der Pragmatismus entstammt wohl seiner präpolitischen Karriere: Aufgewachsen in Surrey, als Sohn einer Krankenschwester und eines Werkzeugmachers - wie Starmer in keinem Wahlgespräch müde wird zu betonen - hat er nach der Schule Jus studiert. Als Anwalt mit Fokus auf Menschenrechtsfälle war er zunächst als "lefty lawyer" verschrien.
Als Direktor der Staatsanwaltschaft ging er dann so rigorous gegen Unrecht vor, dass er von der Königin geadelt wurde. Sogar die Torys wollten seine Amtszeit verlängern – nicht, dass sie das heute gerne erwähnen.
Heute betonen die Konservativen gerne, dass er wankelmütig sei. Bei ihrer letzten Jahreskonferenz verkauften sie sogar Flip-Flops mit dem Gesicht von Keir Starmer. (Flip bedeutet im Englischen so viel wie drehen, [die Meinung] wenden, Anm.)
Ganz kann sich Keir Starmer dieser Kritik nicht entziehen. Aus seiner Parole „Öffentliche Dienste sollten in öffentlicher Hand sein und keine Gewinne für Aktionäre machen“ wurde einzig das Vorhaben, das verstaatlichte Energieunternehmen „Great British Energy“ zu schaffen.
Die 33 Milliarden Euro, die er für Klimaschutzprojekte bis 2030 ausgeben wollte, sind zwar noch eingeplant, aber nun ohne Zeitrahmen. Und aus dem Wunsch nach einem Ende der teuren Studiengebühren wurde der Vorsatz, „faire Lösungen“ zu schaffen.
Labour-Mitglieder erwidern gerne, dass die Torys in den vergangenen 14 Jahren an der Macht Dutzende Versprechen gebrochen, laufende Milliardenprojekte eingestellt, Deals an Freunde vergeben und die Lebenssituation für Briten im Allgemeinen verschlechtert haben.
Kein "Starmer-Chamäleon"
Als „Starmer-Chamäleon“ will die Labour-Hinterbänklerin Carolyn Harris den Parteichef jedenfalls nicht sehen: „Er konzentriert sich auf das, was wir tun und wohin wir gehen müssen“, verteidigte sie ihn in einem BBC-Interview. „Er wird Leute nicht einstellen, weil sie seine Freunde sind, sondern weil sie die richtigen Leute für die Aufgabe sind. Und das ist die richtige Einstellung, die man haben sollte.“
Die Emotionslosigkeit könnte zudem einen tieferen Grund haben. „Ich denke, weil er in gewisser Weise eine ziemlich harte Erziehung genossen hat, wirkt er nicht sofort offenherzig oder empathisch“, analysierte die britische Journalistin Rachel Sylvester in der BBC.
Keir Starmers Mutter litt, erfährt man in der kürzlich erschienenen Biografie des ehemaligen Labour-Spin-Doktors Tom Baldwin, an einer seltenen Krankheit und wäre fast gestorben, als der heutige Labour-Chef noch ein Teenager war.
Sein Bruder Nick hatte Schwierigkeiten in der Schule und verwickelte sich in Schlägereien, von denen Keir ihn immer wieder befreien musste. Sein Vater Rodney, ein Werkzeugmacher, war eine distanzierte, unkommunikative Figur, fasste es der Evening Standard zusammen, die den Kindern verbot, Popmusik zu hören oder Fernsehsendungen wie „Starsky and Hutch“ zu sehen.
Zurück bei der Wahlveranstaltung in Grimsby, wo der junge Mann noch eine Nachfrage stellt: „Denkst du, du hast dich verändert?“
Diesmal muss Keir Starmer nicht nachdenken: „Ich bin mir selbst viel klarer darüber, dass das Land an erster Stelle stehen muss.“ Vielleicht siegt diesmal Pragmatismus.
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