Terror in Solingen: Wie es dazu kommen konnte und was jetzt geschehen soll
Nach Messerattacke mit drei Toten besuchte ein "wütender" deutscher Kanzler Scholz den Tatort und verspricht: Lassen unseren Zusammenhalt nicht kaputtmachen.
„Das war Terrorismus. Terrorismus gegen uns alle, der unser Leben, unser Miteinander bedroht, die Art und Weise, wie wir leben.“ Das sagte der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD), der am Tag drei nach der tödlichen Messerattacke den Tatort in Solingen besuchte und dort eine weiße Rose niederlegte.
Und weiter: „Wir werden uns diesen Zusammenhalt nicht kaputt machen lassen von bösen Straftätern, die schlimmste Gesinnungen verfolgen, sondern wir werden mit aller Härte und Schärfe gegen die vorgehen.“ Sein Zorn gelte den Islamisten, die das „friedliche Zusammenleben von uns allen bedrohen“.
Doch nach der Bluttat sind noch viele Fragen offen. Der KURIER hat die Antworten.
Gab es ein Behördenversagen?
Das ist aktuell Gegenstand der Untersuchungen. Fest steht, dass der mutmaßliche festgenommene Täter, ein 26-jähriger Syrer, der auf einem Volksfest drei Menschen getötet und acht weitere verletzt hat, 2022 nach Deutschland gekommen ist und um Asyl angesucht hat. Sein Antrag wurde jedoch abgelehnt, im Vorjahr sollte er nach Bulgarien abgeschoben werden – über dieses Land war er in die EU eingereist.
Doch der Mann wurde nicht in seiner Unterkunft angetroffen, offenbar gab es keine weiteren Versuche, seiner habhaft zu werden, wodurch die Sechs-Monate-Frist für seine Abschiebung verstrich.
War der Syrer als Islamist bekannt?
Laut den deutschen Sicherheitsbehörden war der Mann bisher nicht auffällig in diese Richtung. Allerdings veröffentlichte nun die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) ein Video, das den mutmaßlichen Täter zeigen. Die Echtheit des Materials wurde am Montag überprüft
Wie ist der Stand der Debatte bezüglich Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan in Deutschland?
Scholz bekräftigte seine Forderung, Straftäter auch in diese beiden Ländern abzuschieben. Noch einen Schritt weiter geht Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Er will jeden Eingewanderten, der keinen Asylstatus erhalten hat, des Landes verweisen.
Gesetze dafür müssten so schnell wie möglich geändert werden. Seine Begründung: „Wir spüren, dass uns das Thema Migration über den Kopf wächst.“ Auch eine Obergrenze von unter 100.000 Migranten pro Jahr kann er sich vorstellen. Heuer stellten bis dato schon 150.000 Menschen einen Asylantrag.
Wie sieht man das in Österreich?
Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hat sich ebenfalls für Abschiebungen von Straftätern nach Syrien und Afghanistan ausgesprochen. Er plädiert in diesem Zusammenhang für eine europäische Lösung. Man brauche dringend rechtliche Möglichkeiten, dies umzusetzen.
Die Genfer Flüchtlingskonvention verbietet in Artikel 33 Abschiebungen in Länder, in denen das Leben oder die Freiheit der Betroffenen bedroht wären. Ausgenommen sind Flüchtlinge, die aus schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für das Aufnahmeland darstellen oder wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurden.
Laut EU-Grundrechtscharta darf allerdings niemand abgeschoben werden, wenn Folter, Bestrafung, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen. Das gilt auch für Menschen, die Straftaten begangen haben – ihre Haft müssen sie im Zufluchtsland verbüßen.
Kommt es jetzt in Deutschland zu einem Aufnahmestopp für Syrer und Afghanen?
Wohl nicht. Zwar fordert genau das Friedrich Merz: Nicht die Messer seien das Problem, sondern „die Personen, die damit herumlaufen. In der Mehrzahl der Fälle sind das Flüchtlinge, in der Mehrzahl der Taten stehen islamistische Motive dahinter“, schreibt der CDU-Vorsitzende.
Allerdings weist SPD-Chefin Saskia Esken darauf hin, dass dies weder mit der Europäischen Flüchtlingskonvention noch mit „unserer Verfassung“ vereinbar sei.
Kommt es jetzt zu einem Verbot von Messern in Deutschland?
Innenministerin Nancy Faser (SPD) hat sich dafür ausgesprochen, dass künftig nur noch Messer mit einer Klingenlänge von maximal sechs Zentimetern im öffentlichen Raum mitgeführt werden dürfen. Bis dato liegt dieser Wert bei zwölf Zentimetern.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), der zuvor eine Debatte darüber abgelehnt hatte, zeigte sich nach der Bluttat aber gegenüber der "Bildzeitung" gesprächsbereit. Scholz gab sich bei seinem Besuch in Solingen zuversichtlich, dass das Waffenrecht rasch verschärft werde.
Sind Messer als Tatwaffe ein Problem?
Tatsache ist, dass in der Bundesrepublik im Vorjahr knapp 9.000 Messerangriffe mit schweren und gefährlichen Körperverletzungen registriert wurden. Das entspricht einer Attacke pro Stunde, jeden Tag, jeden Monat. Und einer Zunahme von fast zehn Prozent im Vergleich zu 2022.
Allerdings gibt der Terror-Experte Peter Neumann zu bedenken: Bei einem Messerverbot „würden Attentäter mit Autos oder Lastwagen in Menschenmengen fahren. Und Autos, glaube ich, kann man nicht einfach so verbieten“.
„Die Polizei wird ganz sicher mit der vorhandenen Personaldecke ein generelles Messertrageverbot in der Öffentlichkeit nicht durchsetzen können“, sagte Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft gegenüber dem deutschen Stern.
Wie läuft die Debatte um Messer in Österreich?
Es gibt keine ausdrücklichen Bestimmungen, die den Besitz von Messern regeln. Diese gelten als Werkzeug, bis sie tatsächlich eingesetzt werden. Keine Messer dürfen Asylbewerber tragen, auch in bestimmten Zonen in Wien, Linz oder Innsbruck gibt es Verbotszonen. Ein Messer öffentlich zu tragen kann aber andere Delikte erfüllen, etwa die Störung der öffentlichen Ordnung.
Warum ist der Zeitpunkt des jüngsten Terroranschlags so prekär?
Weil in den beiden ostdeutschen Bundesländern Sachsen und Thüringen Wahlen stattfinden. In beiden Ländern kämpft die rechtsextreme Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) um Platz eins. In Thüringen ist ihr der Sieg laut Umfragen ohnehin kaum zu nehmen. Und die Bluttat von Solingen sind ist vermutlich Wasser auf die Mühlen der AfD, die sich stets ausländer- und migrantenfeindlich gibt.
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