Warum der IS noch immer aktiv ist und wie er sich am Leben hält
Auch nach weitgehender Zerschlagung der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) stellt diese noch immer eine Bedrohung dar. Zwar hat der IS nach militärischen Niederlagen im Irak und in Syrien weniger Zulauf. Doch gerade für Menschen, die sich radikalisieren, ist die von Hass auf Andersgläubige bestimmte Ideologie attraktiv. Dabei geht die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) davon aus, dass hinter dem islamistischen Terror strikt organisierte Netzwerke stehen.
Ziel des IS war es, ein "Kalifat" - also einen Gottesstaat - im Nahen Osten zu gründen. Nach Eroberungen großer Gebiete des vom Bürgerkrieg zerrissenen Syrien und im Nordwesten des benachbarten Irak hatte der IS-Anführer, Abu Bakr al-Baghdadi, im Sommer 2014 ein solches "Kalifat" ausgerufen. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht kontrollierte die Gruppe weite Teile Syriens und des Irak. Ihre Kämpfer verbreiteten mit Folter und Enthauptungen Angst und Schrecken und hinterließen zahlreiche Massengräber. Im August 2014 überfiel der IS die Region Sinjar im Irak und nahm Tausende jesidische Frauen gefangen, um sie zu Sex-Sklavinnen für die Jihadisten zu machen.
USA führte Krieg gegen IS an
Die Gruppe entstand 2006 im Irak unter dem Namen Islamischer Staat im Irak (ISI), damals noch vorangetrieben vom Terrornetzwerk Al-Kaida. Mitglieder im Irak wurden zunächst nach Syrien geschickt, um bei der Gründung der Al-Nusra-Front zu helfen. Im April 2013 gab die ISI-Führung bekannt, beide Gruppen würden sich unter dem Namen Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIL) zusammentun, die Al-Nusra-Front wies dies jedoch zurück. Die Gruppe wurde dann von einigen ISIL und von anderen Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) genannt. Im Arabischen ist die Terrormiliz unter der Abkürzung DAESH bekannt.
7. August 2024: Im Zusammenhang mit Anschlagsplänen für Veranstaltungen im Großraum Wien - genannt werden von der Polizei konkret die bevorstehenden Taylor Swift-Konzerte im Ernst-Happel-Stadion - werden ein 19-Jähriger in Ternitz (Bezirk Neunkirchen) und später ein 17-Jähriger in Wien festgenommen. Sie sollen "den Treueschwur auf den IS" abgelegt haben, laut Polizei wurden auch chemische Substanzen sichergestellt. Die Konzerte werden abgesagt. Es herrscht weiterhin "abstrakte" Gefahr.
24. Dezember 2023: Der Verfassungsschutz nimmt vier Terror-Verdächtige fest, weil sie einen Anschlag auf den Stephansdom geplant haben sollen. Im Mai 2024 werden sie mangels dringenden Tatverdachts aus der U-Haft entlassen und sollen abgeschoben werden. Einer der Verdächtigen wird im Juli vor seiner geplanten Abschiebung nach Dagestan tot in seiner Zelle in einem Polizeianhaltezentrum (PAZ) aufgefunden.
11. September 2023: Ein 16-jähriger Islamist will am Wiener Hauptbahnhof einen Anschlag mit einem Messer durchführen, führt die Tat letztlich aber nicht aus. Im April 2024 wird er wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu zwei Jahren Haft - davon acht Monate unbedingt - verurteilt. Er ist mittlerweile wieder in Freiheit.
Die USA riefen am 10. September 2014 zur Gründung einer "globalen Koalition" auf, deren Ziel es ist, "die Bedrohung durch IS zu beseitigen". Dem Zusammenschluss gehören derzeit 87 Staaten und Organisationen an, darunter unter anderem die EU, die NATO, die Arabische Liga, Interpol, die Türkei, Kanada und Neuseeland sowie Österreich.
US-Spezialkräfte töteten Al-Baghdadi im Herbst 2019 in Syrien. Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Quraishi wurde im Februar 2022 ebenfalls bei einem Einsatz des US-Militärs getötet. Dessen Nachfolger Abu Hassan al-Hashimi al-Quraishi wurde wiederum im November 2022 getötet. Auch der vierte IS-Anführer seit dessen Gründung, Abu al-Husain al-Husaini al-Quraishi, wurde vor einem Jahr bei Kämpfen mit der jihadistischen Gruppe Hajat Tahrir al-Sham in der syrischen Provinz Idlib getötet. IS-Zellen sind aber in beiden Ländern weiter aktiv.
Juni 2023: Am Tag nach der Regenbogenparade für LGBTIQ-Rechte am 17. Juni gibt die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) bekannt, dass vor Beginn der Veranstaltung drei online radikalisierte und mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisierende Verdächtige festgenommen wurden. Es heißt, die drei jungen Männer wollten einen Anschlag "mit Messer oder Kfz" auf die "Pride" verüben. Sie werden nach wenigen Tagen wieder enthaftet. Gegen sie wird wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation ermittelt.
2021: Wie erst zwei Jahre später über den Verfassungsschutzbericht bekannt wird, hat 2021 ein Rechtsradikaler einen Anschlag auf das Volksstimmefest der KPÖ im Wiener Prater geplant. Der Mann wurde nach einer Hausdurchsuchung im Sommer 2021 in U-Haft genommen und nach den Tatbeständen gemäß Verbotsgesetz und Paragraf 283 StGB (Verhetzung) rechtskräftig verurteilt. Kritik gibt es daran, dass die KPÖ damals nicht über die entsprechenden Anschlagspläne informiert worden ist.
2. November 2020: Ein islamistischer Attentäter eröffnet das Feuer auf Passanten und Gäste im Wiener Party-Viertel "Bermudadreieck". Obwohl der Mann schon nach kurzer Zeit von der Polizei erschossen wird, fordert der Anschlag vier Todesopfer und 22 Verletzte. Als Täter identifiziert wird ein 20-jähriger Österreicher mit nordmazedonischer Doppelstaatsbürgerschaft. Der Anhänger der Terrormiliz "Islamischer Staat" war einschlägig vorbestraft, weil er versucht hatte, nach Syrien auszureisen.
Kinder als Terrorsoldaten missbraucht
Zahlreiche Anschläge gehen auf das Konto des IS, darunter auch der Anschlag in Wien am 2. November 2020 mit vier Todesopfern und 22 Verletzte. Zuletzt reklamierte der IS-Ableger "Islamischer Staat Provinz Khorasan" im März einen Anschlag auf eine Veranstaltungshalle bei Moskau mit mehr als 140 Toten für sich. Viele Täter von IS-Anschlägen handelten allein, werden vom IS aber als ihre "Soldaten" gepriesen. Diese sogenannten einsamen Wölfe können sehr empfänglich für die IS-Propaganda sein und sich schnell radikalisieren, viele von ihnen haben eine psychische Störung.
Die Terrormiliz missbraucht für ihren Terror außerdem Minderjährige. Die Extremisten setzen Kinder nicht nur als Selbstmordattentäter, sondern auch als Kämpfer und Wachen ein. Unter den ausländischen IS-Kämpfern im Irak und Syrien sind auch Frauen. In Europa spielen sie eine wichtige Rolle bei der Rekrutierung neuer Kämpfer. Auch Syrien-Flüchtlinge könnten sich in Europa schnell radikalisieren, warnte Europol. Sie sind Zielgruppe für IS-Anwerber.
Rekrutierung im Internet
Fast zwei Drittel der Festnahmen in Europa im Zusammenhang mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS/ISIS) in den vergangenen neun Monaten betrafen Teenager, zeigt eine aktuelle Studie. Eine auf CNN veröffentlichte akademische Studie untersuchte 27 mit dem IS in Verbindung stehende Anschläge oder vereitelte Komplotte seit vergangenen Oktober. Sie ergab, dass von 58 Verdächtigen 38 zwischen 13 und 19 Jahre alt waren, sagte der Sicherheits- und Terrorexperten Peter Neumann vom King's College in London dem US-Sender. Neumann stellte außerdem fest, dass die jüngsten Europol-Daten zeigten, dass sich die Zahl der Anschläge und geplanten Angriffe seit 2022 mehr als vervierfacht habe.
Die Olympischen Sommerspiele in Paris wurden den Angaben zufolge speziell von ISIS-K, dem afghanischen IS-Ableger Provinz Khorasan bedroht. Gerichtsdokumenten und Analysten zufolge hat die Gruppe in den vergangenen drei Jahren eine beachtliche Präsenz in der Türkei aufgebaut. Allein im Jahr 2023 wurden nach Angaben des türkischen Geheimdienstes MIT in 122 Operationen 426 ISIS-K-Verdächtige festgenommen.
ISIS-K habe es speziell auf junge Teenager abgesehen, sagte Neumann. "Wer würde einen 13-Jährigen für einen Terroristen halten? Einer reicht aus." Der Terrorexperte fügte hinzu, dass Teenager über Social-Media-Plattformen wie TikTok rekrutiert werden und durch Algorithmen in "Blasen" im Internet geraten, wo jihadistische Anwerber sie erreichen können. ISIS-K sei "im Moment der bei weitem ehrgeizigste und aggressivste Teil von ISIS", sagte Neumann.
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