Berlin-Anschlag: Anis Amri wollte offenbar nach Rom
Der mutmaßliche Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt wollte italienischen Medienberichten zufolge ursprünglich nach Rom, bevor ihn die Polizei bei Mailand erschoss. Die Zeitung Corriere della Sera berichtete am Freitag, Überwachungskameras auf dem Turiner Bahnhof hätten den aus Frankreich eingetroffenen Amri zweimal dabei gefilmt, wie er Anschlusszüge nach Rom oder Mailand suchte.
Schließlich habe er sich für einen Regionalzug in die Lombardei entschieden, "weil zu so später Stunde kein Zug mehr in die Hauptstadt fuhr". In einigen Zeitungen hieß es, als der 24-Jährige am 23. Dezember gegen 02.00 Uhr in Mailand ankam, habe er einen jungen Salvadorianer gefragt, wo er in einen Zug oder Bus "nach Rom, Neapel oder in den Süden" einsteigen könne. Von der im Norden Mailands gelegenen Stadt Sesto San Giovanni, wo Amri wenig später bei einer Polizeikontrolle erschossen wurde, fahren Busse nach Süditalien, Spanien, Marokko und Albanien ab.
"Kein Zufall"
Die römische Zeitung Il Messaggero hält es für "keinen Zufall", dass Amri in die Hauptstadt wollte. In der Region Latium um Rom habe Amri "wahrscheinlich die engsten Kontakte" gehabt. Der junge Tunesier habe mehrere Wochen in Aprilia südöstlich von Rom bei einem Landsmann verbracht, den er auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa kennengelernt habe und der derzeit inhaftiert sei. Der Polizei zufolge wurden diese Woche in der ländlichen Gegend Aprilia zwei Wohnungen durchsucht, in denen sich Amri vor einem Jahr aufgehalten haben soll.
2011 auf Lampedusa eingetroffen
Bevor Amri im Juli 2015 nach Deutschland kam, war er 2011 auf der nur 140 Kilometer vor der tunesischen Küste gelegenen Insel Lampedusa eingetroffen. Er kam in ein Auffanglager für Minderjährige in Sizilien. Wegen des Versuchs dort eine Schule anzuzünden, wurde er im Oktober 2011 festgenommen und zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. In der Haft kam er möglicherweise mit radikalen Salafisten in Berührung.
Amri soll beim Anschlag mit einem Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche am 19. Dezember zwölf Menschen getötet haben, darunter den polnischen Fahrer des gekaperten Sattelschleppers. Etwa 50 weitere Menschen wurden bei dem Attentat verletzt, viele von ihnen schwer. Amri war den Sicherheitsbehörden bekannt und wurde auch zeitweise überwacht, jedoch nicht mehr zum Tatzeitpunkt.
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Gentiloni traf Familie getöteter Italienerin
Italiens Premier Paolo Gentiloni hat am Freitag die Familie der 31-jährigen Fabrizia Di Lorenzo besucht, die beim Anschlag in Berlin am 19. Dezember ihr Leben verloren hat. Gentiloni besuchte die Familie Di Lorenzo in ihrer Heimatstadt Sulmona in der mittelitalienischen Region Abruzzen.
Gentiloni kondolierte der Familie im Rahmen der Regierung und signalisierte seine Bereitschaft, Stipendien in Andenken an die junge Frau einzurichten. Gentiloni hatte Di Lorenzo, eine ehemalige Erasmus-Studentin mit Vorliebe für die deutsche Kultur, die seit drei Jahren in Berlin lebte und arbeitete, als "Musterbürgerin" bezeichnet. Di Lorenzo zählt zu den zwölf Todesopfern des Anschlags auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin.
Italien will auf starke Vorbeugung setzen
Nach dem Anschlag in Berlin will Italien nun weiterhin auf starke Vorbeugung gegen den fundamentalistischen Terrorismus setzen. Seit Anfang 2015 seien 132 Personen wegen Kontakten zu fundamentalistischen Kreisen ausgewiesen worden, sagte der italienische Innenminister Marco Minniti bei einer Pressekonferenz am Freitag.
Die "Neutralisierung" des mutmaßlichen Attentäters von Berlin, Anis Amri, nahe Mailand bezeuge, dass Italiens Sicherheitssystem gut funktioniere. Minniti bekräftigte, dass Amri den bisherigen Ermittlungen zufolge keine Komplizen in Mailand und Umgebung hatte. "Seitdem er in Italien eingetroffen war, hat er sich allein bewegt", so Minniti. Kein Detail werde bei den Ermittlungen über Amri in Italien unterschätzt.
Die Union begrüßte den Vorstoß. Der SPD-Politiker nannte als mögliche Orte für die Installation zusätzlicher Kameras unter anderem den Alexanderplatz in Mitte, den Verkehrsknotenpunkt Kottbusser Tor im Stadtteil Kreuzberg und den Breitscheidplatz, wo bei dem Anschlag am 19. Dezember zwölf Menschen getötet worden waren. Videotechnik könne in diesen Fällen dazu beitragen, "dass diese Orte sicherer werden", sagte Müller.
Die neue Berliner Koalition aus SPD, Linkspartei und Grünen hatte in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, auf eine Ausweitung der Videoüberwachung zu verzichten. Über einen Ausbau der Videoüberwachung in Deutschland wird seit dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt allerdings wieder verstärkt diskutiert. Entsprechende Forderungen kamen vor allem aus der Union.
Die Unionsfraktion im Bundestag begrüßte Müllers Vorstoß. Der Regierende Bürgermeister müsse seine neue Position nun auch im rot-rot-grünen Senat durchsetzen, sagte ihr parlamentarischer Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer dem Tagesspiegel vom Samstag. Mehr Videoüberwachung sei "unverzichtbar, um das Sicherheitsgefühl der Bürger zu stärken und die Aufklärung von Straftaten zu verbessern".
Der Berliner Polizeipräsident Klaus Kandt verwies auf Fahndungserfolge bei der Videoüberwachung im öffentlichen Nahverkehr. Kandt sagte am Freitag im RBB, die Polizei habe dadurch Straftäter finden und Straftatenserien stoppen können. Das letzte große Beispiel dafür sei der sogenannte U-Bahntreter, der eine Frau im U-Bahnhof Hermannstraße eine Treppe heruntergetreten hatte und der Kandt zufolge "letztlich auch durch die Videoüberwachung gefasst wurde".
Kandt betonte zugleich, es könne nicht die ganze Stadt überwacht werden. "Wenn man eine Videoüberwachung diskutiert, muss man schon schauen, was sind relevante Plätze, an denen sich viele Menschen aufhalten und wo auch ein gewisses Straftatenaufkommen ist".
Am 19. Dezember hatte mutmaßlich der Tunesier Anis Amri einen Lastwagen in den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gesteuert. Dabei wurden zwölf Menschen getötet und dutzende weitere verletzt. Amri selbst wurde am Freitag vor einer Woche bei einem Schusswechsel mit Polizisten in Mailand erschossen.
Auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) wies Vorwürfe zurück, die Behörden hätten im Fall Amri versagt. "Vorwürfe mache ich mir daher nicht, aber der Anschlag macht mich sehr betroffen", sagte der Bamf-Chef. "Der Fall Amri ist Anlass, einige Prozesse auch in unserem Hause nochmals genau zu überprüfen." Eine abschließende Bewertung könne aber erst vorgenommen werden, wenn der Fall vollständig aufgearbeitet sei.
Jäger sagte im ARD-Morgenmagazin, die Behörden in Berlin und Nordrhein-Westfalen seien davon ausgegangen, dass von Amri keine aktuelle Anschlagsgefahr ausgehe. Der Tunesier sei eher im Drogenmilieu verortet worden. Es habe keine Handhabe gegeben, ihn in Haft zu nehmen.
Amri, der zeitweise als Asylbewerber in Nordrhein-Westfalen gemeldet war, war den Sicherheitsbehörden als Gefährder bekannt. Er wurde auch überwacht, allerdings nicht mehr zum Tatzeitpunkt. Der Tunesier hatte im Frühjahr 2016 einen Asylantrag in Deutschland gestellt, der bereits kurze Zeit später abgelehnt wurde.
Bamf-Chef Weise verwies darauf, dass es "im europäischen Asylregister Eurodac keinen Treffer zu Amri" gab. Seine Behörde "konnte also nicht wissen, ob er einen Antrag stellte und dieser in Italien abgelehnt worden war". Aber selbst wenn das Bamf es gewusst hätte, "hätte Amri hier einen Asylantrag stellen können - den hätten wir dann ebenfalls abgelehnt".
Kritik übt Weise an den europäischen Partnerländern: "Das Eurodac-System funktioniert nur so gut, wie es auch mit Daten befüllt wird." Hier seien alle Länder in der Pflicht, gründlich zu arbeiten.
Amri soll beim Anschlag mit einem Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche am 19. Dezember zwölf Menschen getötet haben. Etwa 50 weitere Menschen wurden bei dem Attentat verletzt, viele von ihnen schwer.
Die stellvertretende CSU-Vorsitzende Angelika Niebler forderte eine deutliche Ausweitung der Abschiebehaft. "Wir brauchen einen neuen Haftgrund für Gefährder und die Verlängerung des Ausreisegewahrsams von derzeit vier Tagen auf wenigstens vier Wochen", sagte Niebler der Zeitung Die Welt aus Berlin. Es könne nicht sein, dass straffällig gewordene Gefährder, deren Asylantrag abgelehnt worden sei, sich frei in Deutschland aufhalten oder in Europa bewegen könnten.
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