Belarussische Opposition: "Unser Volk steht nicht hinter Putin"
Seit die Aktivistin Maria Kalesnikawa zu elf Jahren Straflager verurteilt wurde, kämpft ihre Schwester Tatsiana Khomich für ein demokratisches Weißrussland.
Der KURIER erreicht Tatsiana Khomich in Warschau. Als Repräsentantin der politischen Gefangenen in Belarus spricht sie über die Unterdrückung unter Machthaber Alexander Lukaschenko, den Krieg in der Ukraine aus Sicht der belarussischen Bevölkerung und das Leben ihrer Schwester in der Strafkolonie. Die 36-Jährige wirkt müde. Aufgeben ist aber keine Option.
KURIER:Wie geht es Ihrer Schwester, Maria Kalesnikawa? Haben Sie Kontakt?
Khomich: Sie befindet sich in einem Arbeitslager für Frauen in Gomel, 40 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Dort hat sie den Kriegsbeginn auch mitbekommen, hat Raketenabschüsse und Truppenbewegungen gehört. Im Lager werden Uniformen für Militär und Polizei genäht. Es gibt etwa 50 politische und 1.000 andere Gefangene. Jede politische Gefangene trägt ein gelbes Abzeichen am Gewand. Marias persönliche Sachen werden mehrmals am Tag durchsucht, sie darf mit niemandem reden.
Die Arbeitswoche dauert sechs Tage, sechs bis sieben Stunden am Tag. Briefe darf sie nur an Familienmitglieder schreiben und von uns bekommen, nicht von anderen Aktivisten. Einmal in der Woche darf sie fünf bis sieben Minuten telefonieren, meistens ruft sie unseren Vater an. Manchmal darf sie auch Videoanrufe tätigen. Im März habe ich sie zum ersten Mal seit eineinhalb Jahren per Video wieder gesehen.
Wie geht es Ihnen damit?
Die meiste Zeit denke ich, ich tu zu wenig. Solange sie und andere politische Gefangene weiter weggesperrt werden, dürfen wir nicht aufgeben. Wir brauchen jede Unterstützung – von Politikern, der EU, von NGOs und Medien, die unsere Geschichte erzählen. Wir müssen gemeinsam für demokratische Werte kämpfen – ganz gleich ob in der Ukraine oder in Belarus.
Im August 2020 erlebte das Land die größten Proteste gegen den diktatorischen Machthaber Alexander Lukaschenko seit Ausrufung der Republik 1991. Die Aktivistin und Künstlerin Maria Kalesnikawa führte damals gemeinsam mit Swetlana Tichanowskaja und Weranika Zepkala die Opposition in Belarus an. Den Protesten voraus ging die Präsidentschaftswahl, die Lukaschenko am 9. August 2020 zu seinen Gunsten ausriefen ließ. Wahlbeobachter, NGOs und einzelne internationale Regierungen sehen Tichanowskaja als rechtmäßige Siegerin der Wahl an.
Noch heute landen Menschen für ihre Teilnahme an den Protesten im Straflager. Hunderttausende Weißrussen flohen ins Exil. Kalesnikawa blieb im Land und wurde verhaftet. Im September 2021 wurde sie zu elf Jahren Straflager verurteilt. 1.526politische Gefangene gab es Stand Anfang August in Belarus.
Wie kann man sich das alltägliche Leben in Belarus vorstellen?
Seit zwei Jahren erleben wir konstante Unterdrückung. Immer noch werden Menschen, die im August 2020 bei den Protesten dabei waren, über Videoaufnahmen ausgeforscht und verhaftet. Dasselbe gilt für jene, die sich in den sozialen Medien politisch äußern. Oder ihre Solidarität mit der Ukraine bekunden. Seit 24. Februar wird man auch dafür festgenommen. Letzte Woche wurden ein Barmanager und eine Sängerin in Minsk verhaftet, weil sie in einem Lokal das Lied einer ukrainischen Band gesungen hat.
Was liest man über den Krieg in der Ukraine in den belarussischen Medien?
Die Medien übernehmen die russische Propaganda. Unabhängige und viele ausländische Medien werden als extremistisch eingestuft und verboten – zum Beispiel die Deutsche Welle.
Wie informieren sich die Menschen dann?
Viele nutzen VPN-Zugänge, um verdeckt ausländische Medien nutzen zu können. Andere nutzen YouTube oder Telegramm, dort gibt es etwa einen Kanal, wo Nutzer die Position russischer Truppen in Belarus melden. Aber das ist gefährlich: Die Polizei kann jederzeit auf der Straße nach dem Telefon verlangen und nachschauen, welche Kanäle man nutzt und wem man folgt. Auch dafür wurden Menschen schon verhaftet.
Wie steht die Bevölkerung in Belarus zum Krieg?
Die Mehrheit der Weißrussen ist gegen den Krieg. Die Menschen haben Angst, wollen nicht, dass die belarussische Armee Kriegspartei wird. Das ist der große Unterschied zu Russland, wo ein Großteil der Menschen den Krieg und Putin unterstützt. In Belarus stehen die Menschen nicht mehr hinter Lukaschenko und teilen die demokratischen, europäischen Werte. Das heißt nicht, dass wir in die EU wollen. Wir wollen ein unabhängiger, souveräner Staat sein und sicher kein Teil Russlands werden.
Also unterstützt das belarussische Volk die Souveränität der Ukraine?
Ja, auch wenn wir es öffentlich nicht sagen dürfen. Gleichzeitig gibt es aber auch einen Konflikt: Nach den Protesten sind viele Weißrussen in die Ukraine und nach Georgien geflohen und mussten jetzt wieder fliehen. Für sie ist die Einreise in die EU viel schwieriger als für die Ukrainer. Viele sehen die Weißrussen als Unterstützer Putins. Das stimmt aber nicht, wir sind genauso politische Flüchtlinge. Es ist wichtig, dass wir alle gleichbehandelt werden, dass es mehr Verständnis und öffentliches Interesse gibt.
Diese Woche wurde in Vilnius eine Alternativ-Regierung vorgestellt. Was will man damit erreichen?
Es geht darum, den Menschen in Belarus zu zeigen, dass wir den Kampf nicht aufgegeben haben. Dass wir im Exil weiterkämpfen.
Kommentare