„Die ukrainischen Kräfte könnten sich, angesichts der durch Bilder mit Geolocation bestätigten Zerstörung der Eisenbahnbrücke über den Fluss im Nordosten von Bachmut am 3. März, von ihren Positionen am Ostufer des Bachmutka-Flusses zurückziehen“, schreibt das US-Institut für Kriegsstudien (ISW).
Währenddessen wird die Lage allerdings auch im Westen der Stadt immer bedrohlicher für die ukrainischen Truppen – keine der Straßen aus Bachmut ist derzeit vor russischem Beschuss sicher. Zu weit sind die Kämpfer der Söldnertruppe Wagner sowie reguläre russische Truppen bereits vorgedrungen, haben die Stadt operativ eingekesselt. Dies bedeutet für die ukrainischen Truppen, dass sie sich zwar innerhalb des Kessels bewegen können, allerdings häufig unter Beschuss stehen – auch bei einem etwaigen Rückzug.
Gleichzeitig tauchen immer öfter Videos ukrainischer Einheiten auf, die sich aus Bachmut zurückziehen, zumindest ein Konvoi wurde von russischer Artillerie bombardiert. Wie viele ukrainische Soldaten noch dort Widerstand leisten, lässt sich nicht verifizieren. Ebenso wenig, wann (oder ob) die seit Monaten belagerte Stadt unter russische Kontrolle gerät.
Denn macht Jewgeni Prigoschin Ernst, könnte sich die Situation tatsächlich ändern: „Wenn Wagner sich jetzt aus Bachmut zurückzieht, wird die gesamte Front zusammenbrechen. Dann fällt die Krim“, sagte der Chef der Söldnergruppe „Wagner“ in einem am Wochenende auf Telegram veröffentlichten Video. „Die Situation wird für alle militärischen Formationen, die russische Interessen schützen, nicht schön sein.“
Auch wenn Prigoschin mit diesen drastischen Aussagen sein Gewicht im Streit mit der russischen Militärführung erhöhen will – es ist nicht zu leugnen, dass seinen Kämpfern bei der operativen Einkesselung Bachmuts eine Schlüsselrolle zukam und die Wagner-Gruppe – mit schweren Verlusten – die Hauptlast trug.
Prigoschin ist sowohl auf dem Schlachtfeld als auch medial zu einem der wichtigsten Akteure des Krieges avanciert. Zu einem zu wichtigen, sagen Beobachter: Er agiert eigenmächtig, spart nicht mit Kritik am Verteidigungsministerium, mit dem er sich spätestens seit Herbst in einem Machtkampf befindet, und setzt so auch den Kreml unter Druck. Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow warf er Hochverrat vor.
Dies ist laut Experten auch der Grund, warum Putin im Jänner Kommandostruktur geändert hat. Mit der Abberufung von Sergej Surowokin als Kommandeur in der Ukraine hat er Prigoschin einen Verbündeten genommen – das ist auch ein Signal an alle kremlkritischen Hardliner, die immer lauter wurden. Seit Februar beklagt sich der Wagner-Chef über Munitionsmangel: „Im Moment versuchen wir herauszufinden, was der Grund dafür ist: Ist es nur gewöhnliche Bürokratie oder ein Verrat.“
"Blackwater" als Vorbild
Seit Jahren dienen Prigoschins Kämpfer – ganz nach dem Vorbild der US-Söldnertruppe "Blackwater" – russischen Interessen im Ausland, wie in Syrien oder Mali. Anders als den regulären Soldaten der russischen Streitkräfte winken den Söldnern hohe Prämien für die Teilnahme an Kampfhandlungen, während die verurteilten Straftäter, die Prigoschin aus russischen Gefängnissen rekrutiert hat, als Kanonenfutter gelten. Ob es um einzelne Häuserblocks oder Grabensysteme in Bachmut geht – sie werden in einer ersten Welle vorgeschickt, sollen Schwachstellen in der ukrainischen Verteidigung herausfinden und sterben dabei massenhaft.
Die erfahrenen Söldner nutzen die erkannten Schwachstellen in einer zweiten Angriffswelle aus. Wer von den Ex-Gefangenen sechs Monate lang überlebt, wird begnadigt. Nur wenige der Zehntausenden schaffen das – doch auch sie stellen für die russische Bevölkerung offenbar eine Bedrohung dar – vor wenigen Wochen untersagte die russische Regierung Prigoschin, weiter in Gefängnissen zu rekrutieren.
Kremlnahe Kanäle diskutieren offen, was mit den begnadigten „Wagneriten“ geschehen soll, ist der Krieg einmal vorbei – oder aber, wenn sie Prigoschin tatsächlich abziehen sollte: „Sie werden auch nach Moskau zurückkehren. Sie werden nach St. Petersburg zurückkehren, nach Krasnodar, nach Sewastopol. Sie werden Antworten brauchen, weil es so viele Fragen geben wird. Wer wird mit ihnen sprechen? Was ist in diesem Fall zu tun?“, hieß es etwa. Ein nicht unwesentlicher Anteil dieser Kämpfer besteht aus verurteilten Mördern und Vergewaltigern.
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