Für die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-Wen kam die Nachricht zur Unzeit, wollte sie doch nur Tage später die letzten verbliebenen Verbündeten Taiwans in Mittelamerika besuchen. Als sie vor sieben Jahren gewählt wurde, erkannten noch 21 Nationen die 24-Millionen-Einwohner-Insel als Staat an. Wegen massiven politischen und wirtschaftlichen Drucks aus China, das Taiwan als Teil seines Territoriums sieht, sind heute nur noch 13 übrig. Den offiziell größten Partner besuchte Tsai am Wochenende: Guatemala.
Hochrangigster Termin seit Pelosi-Besuch in Taiwan
Dass Offizielle in Washington und Peking die Reise der 66-Jährigen trotzdem mit Argusaugen verfolgen, liegt an ihrem geplanten Rückweg: Bei einem „Zwischenstopp“ in Kalifornien will Tsai am Mittwoch auf den republikanischen US-Parlamentspräsidenten Kevin McCarthy treffen. Es wäre der hochrangigste bilaterale Termin , seit dessen Vorgängerin Nancy Pelosi im vergangenen August selbst nach Taiwan reiste.
Damals umstellte die chinesische Marine die gesamte Insel, führte eine Woche lang Militärübungen mit scharfer Munition durch und blockierte damit den internationalen Warenverkehr. Es war die bisher schärfste Eskalation in einem aufgeheizten Konflikt.
Das Weiße Haus betonte daher bereits mehrfach, Tsais Aufenthalt in Kalifornien sei kein offizieller Empfang, da McCarthy kein Regierungsmitglied ist. Chinas Regierung sprach dagegen von „einer weitere Provokation, die das Ein-China-Prinzip ernsthaft verletzt“. Am Wochenende verletzten chinesische Kampfjets und Drohnen den taiwanesischen Luftraum.
US-chinesische Eiszeit
Tsais Besuch fällt in eine Zeit, in der die Beziehung zwischen China und den USA ohnehin angespannt ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die völlig gegensätzlichen Haltungen zu Taiwan stehen dabei im Mittelpunkt: Chinas Machthaber Xi Jinping hat die „Wiedervereinigung“ mit der Insel zu seinem Lebensziel erklärt und drohte mehrfach damit, es notfalls mit militärischen Mitteln erreichen zu wollen. Die USA verpflichteten sich dagegen vor mehr als 40 Jahren, Taiwan im Fall einer Invasion zu Hilfe zu eilen.
Die politische Stimmung in beiden Ländern ist momentan auf Konflikt gebürstet. Vor allem in den USA führt das dazu, dass sich Demokraten und Republikaner in ihrem harten Auftreten gegenüber China zu überbieten versuchen. Somit war McCarthy nach Pelosis Taiwan-Besuch im Grunde gezwungen, schnellstmöglich nachzuziehen.
Besonders US-Präsident Joe Biden steht im Umgang mit China unter Druck. Als er im Februar einen chinesischen Spionageballon über US-Gebiet erst vor der Küste abschießen ließ, wurde ihm das als Schwäche ausgelegt. Neben der Unterstützung der Ukraine im Krieg mit Russland liegt der Fokus seiner Außenpolitik auf dem Indopazifik: Die USA schart in den Meeren vor Chinas Küste Verbündete um sich und rüstet langjährige Partner wie Australien, Japan oder Südkorea massiv auf, um im Falle eines bewaffneten Konflikts auf sie zählen zu können.
Mit Blick auf die Wirtschaft ist der Konflikt mit China in vollem Gange. Taiwans Bedeutung für die Weltwirtschaft liegt vor allem an seinem Monopol bei der Produktion von Mikrochips, wie sie bei fast allen modernen elektronischen Geräten zum Einsatz kommen. Mit dem „Chips Act“ verbot Biden US-Firmen den Export solcher Chips nach China.
Selbst wenn die USA im Falle einer chinesischen Invasion – US-Generäle befürchten sie in diesem Jahrzehnt – nicht eingreifen würden, wären die Folgen fatal: Durch die Meerenge zwischen Taiwan und China fahren zwei Drittel des weltweiten Warenverkehrs, bei einem Krieg wäre sie geschlossen. Und eine weitere Demokratie fiele einer autokratischen Macht zum Opfer.
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