Und welche Therapie brauchen Sie?

Man bräuchte ihn jetzt: Viktor Frankl forschte über psychische Widerstandsfähigkeit
Seine Theorien sind brandaktuell: Vor 25 Jahren starb Psychiater Viktor Frankl. Ein neues Buch beleuchtet die schwierige Beziehung zwischen ihm und seinen Kollegen Freud und Adler.

Oft hört man, es sei kein Zufall, dass die Psychoanalyse in Wien erfunden worden ist. Dazu ist zu sagen: Doch. Wien war zweite Wahl. Sigmund Freuds Familie stammte aus Galizien, wollte eigentlich nach Leipzig. Der dortige Antisemitismus war um 1860 noch größer als der hiesige, man verwehrte den Freuds den Aufenthalt, sie zogen nach Wien. Darum ist es purer Zufall, dass die Psychoanalyse hier entstanden ist. Dass dann gleich eine ganze „Wiener Schule“ daraus wurde, ist aber vielleicht doch kein Zufall. Der Psychiater Viktor Frankl (1905 bis 1997)hat dazu eine Karikatur gezeichnet. Frankl, dessen Todestag sich am 2. September zum 25. Mal jährt, hat die drei großen Wiener Seelenforscher einschließlich sich selbst auf einem Siegerpodest gezeichnet. Er selbst steht ganz unten auf dem letzten Stockerlplatz. Ganz oben steht Sigmund Freud (1856 bis 1939), Begründer der Psychoanalyse, auf dem zweiten Platz Alfred Adler (1870 bis 1937), Erfinder der Individualpsychologie. „Die drei Schüler der Wiener Psychotherapie“ hat Frankl darüber geschrieben.

Und welche Therapie brauchen Sie?

Sigmund Freud war nur aus Zufall Wiener

Ist das eitel, so viel Demut? Nein. Sich selbst nicht zu ernst nehmen ist eine Überlebensstrategie. Vor allem angesichts der Verwerfungen zwischen den dreien. Der dritte Stockerl-Platz hat aber wohl auch damit zu tun, dass Frankl als Begründer der „Dritten Wiener Schule der Psychotherapie“ und vor allem der Existenzanalyse gilt, was nicht zuletzt bedeutet, eigenverantwortlich zu leben. Im Leben gehe es nicht darum, zu fragen, was man von diesem zu erwarten habe, sondern umgekehrt darauf zu achten, was das Leben von einem verlange. „... trotzdem ja zum Leben sagen“, heißt Frankls wohl berühmtestes Buch, er schildert darin sein Überleben im Konzentrationslager.

Und welche Therapie brauchen Sie?

Alfred Adler betrachtete den Menschen als ganzheitliche Persönlichkeit entdeckte das „Minderwertigkeitsgefühl“

Beziehungskiste

Was Frankl, Freud und Adler persönlich und inhaltlich verband, schildert nun ein neues Buch. „Freud – Adler – Frankl. Die Wiener Welt der Seelenforschung“ von Hannes Leidinger, Christian Rapp und Birgit Mosser erzählt, wie die drei Wissenschafter die Seelenforschung mit ihren Behandlungsmethoden der Psychoanalyse, der Individualpsychologie und der Logotherapie revolutioniert haben. Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, aber auch die durchaus komplizierten Beziehungsgeschichten zwischen den drei Persönlichkeiten werden da besprochen. Und wie schnell man vom Kronprinzen zum Verstoßenen wird: Hier Urvater Freud, der hinter allem vor allem Triebe und Verdrängung sah, da Kronprinz Adler, der den Menschen als ganzheitliche Persönlichkeit betrachtet und nebenbei das „Minderwertigkeitsgefühl“ entdeckt: Das konnte nicht ewig gut gehen. Man endete in gegenseitigen Beschimpfungen. Auch für den jungen Frankl, der schon als Dreijähriger über medizinische Behandlungsmethoden nachgedacht haben soll („Petroleum – wer überlebt, ist gesund!“) war zunächst Freud Vorbild. Als er jedoch um Aufnahme in Freuds Psychologischer Gesellschaft bat, wurde er zur Begrüßung vom Sekretär gefragt: „Nun, Herr Frankl, was ist Ihre Neurose?“ Das war dem jungen Forscher dann doch zu vereinfachend. Er wandte sich Adler zu und beschäftigte sich mit dem Grenzgebiet zwischen Psychotherapie und Philosophie: der Sinnfrage. Heikles Terrain. Adler schloss den jungen Forscher 1927 aus seinem Kreis aus. Frankl wurde später Pionier jenes Fachgebiets, das heute ganz besonders dringend gebraucht wird: der psychischen Widerstandsfähigkeit. Freud und Adler haben bestimmt beigetragen.

Kommentare