Ski-Spektakel in Kitzbühel: "Leute kommen nicht nur zum Champagnertrinken her"
Mirjam Hummel-Ortner und Philipp Radel sind die Gastgeber und CEOs der Sportmarketing-Agentur WWP, die seit Jahrzehnten die Hahnenkammrennen vermarkten.
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KURIER: Wie würden Sie jemandem, der noch nie in Kitzbühel war, die Hahnenkammrennen in wenigen Worten beschreiben?
Hummel-Ortner: Die größte Skishow der Welt.
Radel: Superbowl of Wintersports. Damit ist alles gesagt, das versteht dann jeder.
Weil Sie von der Ski-Show gesprochen haben: Benötigt der Sport also Inszenierung?
Radel: Natürlich braucht es das. Sport ist Unterhaltung. Die Quintessenz sind immer die Athletin und der Athlet. Aber das Rundherum ist eine Unterhaltungsshow, in der wir uns bemühen, ganz viele verschiedene Facetten zu kreieren, um möglichst viele Zielgruppen anzusprechen.
Wer ist die Zielgruppe der Hahnenkammrennen?
Radel: Gerade in der jungen Zielgruppe müssen wir sehr aktiv arbeiten und neue Ideen präsentieren. Das sind die Zuschauer der Zukunft.
Hummel-Ortner: Eine aktuelle Studie besagt, dass die Jungen heute deutlich weniger Sportarten verfolgen als noch unsere Generation. Wir sprechen da von zwei bis maximal fünf Sportarten. Auf der anderen Seite konsumieren die Jungen diese Sportarten auch in einer anderen Tiefe und mit einer anderen Intensität. Sie wollen andere Formate, es braucht Highlights.
Radel: Du musst bei den Jungen das Interesse vor dem 18. Geburtstag wecken. Dann hast du eine große Chance, dass sie dran bleiben und den Sport begleiten. Später erreichst du diese Generation nicht mehr.
Was bedeutet das für die Hahnenkammrennen?
Hummel-Ortner: Wir haben im letzten Jahr bewusst Influencer eingeladen, um die junge Generation anzusprechen. Khaby Lame war in Kitzbühel, der mit seinen Postings 200 Millionen Menschen erreicht. Wir haben auch einen eigenen Tik-Tok-Kanal ins Leben gerufen, der dann auf Anhieb der erfolgreichste Wintersport-TikTok-Kanal war. Wir veranstalten heuer wieder Beyond Kitz, ein Popup-Festival in einer Tiefgarage für junge Leute.
Radel: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, und nicht dem Angler. Uns macht es enormen Spaß, das Produkt weiter zu entwickeln und neue Elemente einzubauen.
Themenwechsel: Zuletzt wurde wieder Kritik laut, dass in Kitzbühel zwei Abfahrten stattfinden.
Radel: Unser Hauptziel ist es, Rennen durchzuführen. Mit dem Programm Super-G, Abfahrt, Slalom, wie wir es früher hatten, wird’s dann kritisch, wenn wie jetzt angekündigt Richtung Freitag schlechtes Wetter kommt.
Inwiefern?
Radel: Weil der Super-G eine andere Streckenführung hat als die Abfahrt, hast du insgesamt 1,3 Kilometer mehr Fläche, die du dann vom Schnee befreien musst. Wenn der Schnee nicht rausgebracht werden kann, werden wir immer schauen, dass wir die Abfahrt am Samstag retten. Das hat Priorität. Insofern ist von der Sicherheit, Rennen durchzuführen, die Variante mit zwei Abfahrten die beste.
Hummel-Ortner: Aber wir spielen verschiedenste Varianten durch, was wir in Zukunft machen können. Das will auch wirklich gut durchdacht und diskutiert sein, damit das, was kommen wird, für die nächsten Jahre hält.
Was gibt es für Pläne?
Radel: Ein Gedankenspiel ist zum Beispiel, die erste der beiden Abfahrten in zwei Durchgängen zu machen. Der erste Durchgang wäre dann vom Originalstart bis zur Passage Gschöss, und im zweiten Durchgang würde man dann von dort in umgedrehter Startreihenfolge bis ins Ziel fahren. Man hätte also die gesamte Streif. Aber wir haben noch andere Ideen.
Zum Beispiel?
Radel: Warum keine Nachtabfahrt bei Flutlicht? Da wären die Athleten bestimmt Feuer und Flamme. Nur dürfte man dann nicht am nächsten Tag in der Früh die nächste Abfahrt ansetzen.
Hummel-Ortner: Bei solchen Dingen muss man die Visionskraft, die Perspektive und den langen Atem haben.
Was muss man in Kitzbühel trotz aller Innovationen für die Zukunft unbedingt bewahren?
Radel: Der Athlet muss immer im Mittelpunkt stehen. Ohne den gibt’s das alles hier nicht. Das dürfen wir nie vergessen. Der Star sind das Rennen und das Heldentum, das hier geboren wird. Ich weiß, dass Kitzbühel oft als Schicki-Micki-Veranstaltung bezeichnet wird. Das gehört natürlich auch zu diesem Rennen und diesen Ort, diese Buntheit, diese Vielfalt.
Hummel-Ortner: Im Kern steht aber der Sport. Diese Verneigung vor dem Athleten und dem Respekt vor dem, was hier geleistet wird.
Radel: Nämlich nicht nur von den Athleten. Da rücken mitten in der Nacht 120 Leute aus, damit der Schnee rausgeschoben wird und die Rennen stattfinden können. Es kann sich kaum jemand vorstellen, was die Leute hier leisten. Das ist kein Fußballfeld, das du schnell geräumt hast. Auf der Streif arbeiten sie auf einigen Kilometern, es ist kalt dort oben am Berg, widrig und das Gelände ist steil.
Sie haben das Wort Schicki-micki in den Mund genommen. Täuscht der Eindruck, oder haben die Hahnenkammrennen einen Imagewandel vollzogen?
Radel: Ich habe das Gefühl, dass heute anders gesprochen wird über Kitzbühel. Es gibt das respektvolle Verständnis, dass es alle Welten braucht. Es braucht das Rundherum, aber in einem guten Stil.
Ortner-Hummel: Die Qualität hat zugelegt. Die Qualität des Skisports, aber auch die Qualität der Gäste, die nach Kitzbühel kommen. Nur ein Beispiel: Heuer ist Hollywoodschauspieler Michael Fassbender da, der fährt selbst Autorennen und hat schon allein deshalb einen ganz anderen Blick auf das Ganze. Es ist weniger Bling-Bling, sondern es sind viel mehr Menschen da, die verstehen oder verstehen wollen, was sich hier abspielt. Jemand, der sportaffin ist, erhält hier wahnsinnige Einblicke. Die Leute kommen nicht nur her zum Champagnertrinken, sondern um das Skirennen zu sehen.
Radel: Die Gäste haben Respekt vor dem Sport, es ist alles vielleicht ein bisschen ernsthafter geworden. Man spürt eine ehrlichere Freude.
Wonach sehnt sich heute der Sportfan? Radel: Als es die ersten Sportliveübertragungen im Fernsehen gab, war die Befürchtung zu hören: Um Gottes Willen, jetzt kommt keiner mehr ins Stadion. Die bleiben jetzt alle daheim auf der Couch. Genau das Gegenteil ist passiert. Dadurch ist viel mehr Interesse entstanden. Wenn ein Mensch im Kollektiv ein Erlebnis hat, sei es im Sport oder bei einem Konzert, dann entsteht dabei eine Energie, die man daheim nicht erleben wird. Wir sehen das gerade bei der Handball-EM mit 60.000 Fans in Düsseldorf.
Hummel-Ortner: Wenn es das Interesse nicht gäbe, wär ja nach der Corona-Pandemie genau das passiert, dass die Stadien leer geblieben wären.
Abschließend: Verstehen Sie als Sport-Vermarkter das Phänomen Darts?
Radel: Ich glaube, dass diese Niederschwelligkeit die Leute begeistert. Nach dem Motto: Pfeile werfen kann jeder. Die Menschen sehen, dass das auch Leute machen können, die einen Bauch haben. Und dann ist es in diesen Hallen, die wie ein Pub wirken, auch sehr unterhaltsam und sehr gut inszeniert.
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