Expertin: "Gibt Grundrecht auf Datenschutz"
„Ist das nicht Überwachung?“ Diese Frage mag sich so mancher Handybesitzer gestellt haben, als das Rote Kreuz diese Woche seine „Stopp-Corona-App“ vorstellte. Damit soll die Infektionskette unterbrochen werden.
Aber wer für die Anwendung seine Daten eingibt, tut dies freiwillig, die Behörden haben keinen Zugriff.
Der Staat nutzt Handydaten indessen auf andere Weise – für die Auswertung von anonymisierten Bewegungsanalysen. Staatliches Ausspähen? Nein - sagt dazu Österreichs Datenschutzbeauftragte Andrea Jelinek im Interview. Die Wienerin ist auch die Vorsitzende jenes Gremiums, das in der EU die Zusammenarbeit der Datenschutzbehörden der 27 EU-Staaten koordiniert.
KURIER: Der Telefonanbieter A1 gibt anonymisierte Bewegungsdaten von Handys an die Regierung weiter. In wiefern könnte dies beim Kampf gegen Corona helfen? Welchen Sinn machen solche Aktionen überhaupt, wenn sie doch ungenau sind? So kann ermittelt werden, ob zwei Menschen in dieselbe U-Bahn steigen, aber nicht, ob sie nebeneinander sitzen.
Andrea Jelinek: Nach mir vorliegenden Informationen handelt es sich bei diesen Bewegungsdaten nicht um einzelne Bewegungsaufzeichnungen, die anonymisiert werden. Sondern sie zeigen nur, dass sich 20 oder mehr Handys an einem Ort aufhalten. Es sollen damit ja auch keine Menschen getrackt, sondern generelle Bewegungsströme wahrgenommen werden. Es geht darum festzustellen, ob die Bewegungsströme – viele Menschen auf einem Fleck – nachlassen und ob und welche Wirkung diese „Vereinzelungen“ auf die Verbreitung des Virus haben.
Sind die Telefonanbieter verpflichtet, die Daten zu Verfügung zu stellen?
Nein, dazu gibt es keine gesetzliche Verpflichtung.
Kann Tracking tatsächlich hilfreich sein im Kampf gegen die Ausbreitung von Corona?
Personenbezogenes Tracking hat nichts zu tun mit der Bereitstellung anonymisierter Daten. Was jetzt passiert: Hier wird nicht Andrea Jelinek verfolgt, sondern geschaut wird nur, ob sich das Handy mit dem Code XY in den vergangenen 24 Stunden zusammen mit anderen 20 Handys irgendwo befunden hat. So kann man schauen, ob die Maßnahmen wirken. So kann man sehen, wie viele Handys gerade eingeloggt sind. Früher waren am Stephansplatz sicher an die 7.000 Handys eingeloggt, heute werden es dort halt nur an die 15 oder so sein. Es soll auch nichts anderes sein, als festzustellen, wo sich vielleicht viele Menschen aufhalten. Und das soll ja das Ziel sein: Es soll keine großen Gruppen geben. Aber das alles hat nichts mit personenbezogenen Daten zu tun.
Wie stehen Sie zum Vorgehen Israels, dessen Geheimdienst die Handydaten von Corona-Infizierten erhält?
Was in Israel legal ist, ist eine Sache. In Österreich schauen die Dinge anders aus. Wir haben einen anderen Zugang, die juristische Lage ist ganz anders.
Oder wäre ein Vorgehen wie in Südkorea denkbar? Dort werden Patienten mittels einer App rund um die Uhr getrackt und bestraft, wenn sie die Wohnung verlassen. Dort werden Menschen auch per SMS darüber informiert, wenn sie sich einem Viertel nähern, in dem viele Corona-Fälle registriert sind.
Grundrechte, wie das Grundrecht auf Datenschutz, stehen in einem demokratischen Rechtsstaat nicht zur Disposition. Sie gelten aber auch nicht absolut und können in einer Ausnahmesituation durchaus auch eingeschränkt werden. Dies bedarf aber immer einer gesetzlichen Grundlage. Die Maßnahmen müssen notwendig, geeignet und verhältnismäßig in einer demokratischen Gesellschaft sein, und der Betroffene muss eine Beschwerdemöglichkeit haben. Diese gesetzlichen Maßnahmen sollten aber jedenfalls ein „Ablaufdatum“ haben, nämlich dann, wenn die Ausnahmesituation – in diesem Fall die COVID-19 Pandemie – vorbei ist.
Was würden Sie der österreichischen Regierung raten?
Ich bin überzeugt, dass die österreichische Bundesregierung sich jene Berater und Beraterinnen holt, die in der gegenwärtigen Situation die Richtigen sind, und ich denke nicht, dass ein Zuruf von außen erforderlich ist. Sollte die Datenschutzbehörde gefragt werden, stehen wir natürlich zur Verfügung. Bis dato informieren wir die Menschen auf unserer Website www.dsb.gv.at über die datenschutzrechtlichen Aspekte der COVID-19 Pandemie in Österreich.
Macht auf europäischer Ebene jeder Staat seine eigene Lösung oder gibt das EU-Datenschutzgesetz einen strengen Rahmen vor?
Gesundheitswesen und öffentliche Sicherheit sind grundsätzlich nationale Kompetenzen. Das ist kein gemeinschaftlicher Bereich. Die EU arbeitet derzeit an Maßnahmen zum „monitoring spread of COVID-19“, also an der Beobachtung, wie sich das Virus ausbreitet. Und im jüngsten Statement des Europäischen Datenschutz-Boards (edpd) heißt es: „Wenn es nicht möglich ist, nur anonymisierte Daten zu verarbeiten, können die Mitgliedstaaten gesetzliche Maßnahmen setzen, die die öffentliche Sicherheit gewährleisten. Das Tracking individueller Personen kann unter außergewöhnlichen Umständen in Betracht gezogen werden. Es bedarf aber immer einer gesetzlichen Grundlage und die Bestimmungen müssen erforderlich, geeignet und verhältnismäßig in einem demokratischen Rechtsstaat sein.“
Was halten Sie von der Sorge des israelischen Historikers Harari, der fürchtet, bald würden wir alle per App unsere Gesundheitsdaten an die Regierungen abliefern müssen – bis hin zu unserer Tiefschlafatmung. Damit würden dann die Regierungen demnächst frühzeitig feststellen können, wann die nächste Seuche ausbricht.
Yuval Noah Harari ist ein interessanter Schriftsteller und Philosoph. Ich hoffe, dass seine Befürchtungen in unseren Demokratien nicht wahr werden. Ich vertraue auf den demokratischen Rechtsstaat. Und es ist unsere Aufgabe, diesen Rechtsstaat zu schützen und weiterzuentwickeln. Es ist die Aufgabe jedes Einzelnen – und nicht nur der Regierung und des Gesetzgebers – dafür Sorge zu tragen.
Die 59-jährige Juristin aus Wien leitet nicht nur die österreichische Datenschutzbehörde. Seit 2018 ist sie auch die Vorsitzende jenes Gremiums, das in der EU die Zusammenarbeit der Datenschutzbehörden der 27 EU-Staaten koordiniert. Die Mutter einer Tochter war die erste Frau, die ein Polizeikommissariat in Wien leitete. Sie war auch Chefin der Wiener Fremdenpolizei.
Wie die App funktioniert
Das österreichische Rote Kreuz hat „Stopp Corona“ entwickelt. Herzstück ist ein Kontakt-Tagebuch, in dem persönliche Begegnungen mit einem „digitalen Handshake“ anonymisiert gespeichert werden. Erkrankt jemand an Covid-19, wird jeder, der in den vergangenen 48 Stunden Kontakt hatte, automatisch benachrichtigt und gebeten, sich zu isolieren. Die Vernetzung mit anderen Smartphones erfolgt nicht automatisch. In einer Ausbaustufe soll eine Automatisierung optional möglich sein. Auch ein Symptomcheck soll kommen.
Wer sie bezahlt
Die UNIQA Privatstiftung finanziert die Entwicklung der App. Für Android ist sie bereits verfügbar, für Apple-Geräte soll sie in Kürze folgen.
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