Aber das war eine andere Art von Terror im Vergleich zu jenem der Islamisten, die seit Jahren durch die Lande ziehen, um der Welt der „Ungläubigen“ den Garaus zu machen. Von Paris über Barcelona, von Nizza über Berlin bis jetzt auch Wien. Der damalige Terror hatte eine andere „Qualität“, wenn das Wort erlaubt ist.
Hatte er wirklich?
Der Unterschied zu damals liegt vor allem in einem: der Kraft der Bilder. Jeder, der am Montagabend das Glück hatte, nicht in der Wiener Innenstadt unterwegs zu sein, sondern zu Hause die Sondersendungen der TV-Stationen sah – oder, Gott behüte, sozialen Medien folgte –, zu dem kam der Terror frei Haus ins wohlige Wohnzimmer. Live. In Form atemloser Berichterstattung. In Form oft nicht verifizierter und in der Schnelle nicht verifizierbarer Gerüchte. In Form von erschütternden Bildern und Videos.
Und da beginnt der Terror erst. Beziehungsweise er beginnt erst, wirklich Fahrt aufzunehmen. Filme vom Täter, der mitten in der Stadt in eine Straße und auf Polizisten feuert, Bewegtbilder von Opfern in ihrem eigenen Blut, Passanten, die einen letzten Freiabend vor dem Lockdown genießen wollten, am Überlebensschlauch der Rettungskräfte – das alles erfüllt, was Terror per definitionem ausmacht: die Verbreitung von Angst.
Das ist kein Plädoyer gegen Terror-Berichterstattung oder die Erfüllung der Informationspflicht. Obwohl, reines Gedankenexperiment: Hätte es die Bilder von den einstürzenden Twin-Towers in New York (und deren Wiederholung zu jedem Halbjahresgedenktag, wow, Flugzeuge im Hochhaus, schön geiles Gruseln, nicht wahr?) oder die Gräuelbilder von Opfern des „Islamischen Staates“ nicht gegeben, wo wäre der Erfolg der El Kaida und des IS?
Nein, es ist ein Plädoyer für die Zurückhaltung. Terroristen setzen auf die Macht der Bilder, sie bauen auf die Verbreitung ihrer Geschichten – reihenweise haben islamistische Attentäter in der Vergangenheit Pass oder Personalausweis bei sich gehabt, damit im Todes-/Märtyrerfall ihre krause Story erzählt und verbreitet wird. Ein Terrorist ohne Geschichte ist kein guter Terrorist.
Zunehmend gehen Behörden und Medien – etwa in Neuseeland nach dem Attentat in Christchurch – dazu über, den Massenmördern, und mehr sind sie nicht, „kein Gesicht und keinen Namen“ zu geben.
So weit ist es bei uns noch nicht. Es wäre schon viel gewonnen, wenn sich einzelne Medien (und User im Netz!) nicht durch die Verbreitung besagter Videos zu Erfüllungsgehilfen der Terroristen machen würden. Wien war bei Weitem nicht Paris (Bataclan) vor fünf Jahren, zum Glück! Die Zahl der Terroropfer in Europa ist heute geringer als in Zeiten der Abu-Nidal-Schergen, der RAF in Deutschland, der Roten Brigaden in Italien, der IRA oder der ETA. Nur die Verbreitung von Angst und Schrecken ist um ein Vielfaches höher.
Sich dessen bewusst zu sein, hilft auch.
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