Die Meinungsfreiheit der wenigen
Was kostet die absolute Meinungsfreiheit? Elon Musk hat sich selbst die Antwort gegeben und will 44 Milliarden Dollar für die Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter hinblättern. Sein Ziel: „Free Speech“.
Er selbst ist auf der Plattform, die vor allem für Politiker, Medien und Aktivisten relevant ist, schon in der Vergangenheit durch teils wirre und schikanöse Posts aufgefallen. Die Freiheit, die Musk hier meint, ist die des privilegierten weißen Milliardärs, der sich vom allgemeinen Zusammenleben schon längst verabschiedet hat. Für alle anderen ist diese Art der „Meinungsfreiheit“ eine gefährliche Drohung. Wie Amnesty International Jahr für Jahr betont, tut Twitter schon bisher nahezu nichts für die Sicherheit von Randgruppen und vor allem: Frauen.
Wer sich auf der Plattform äußert, läuft Gefahr, einem organisierten Onlinemob in die Hände zu laufen. Da wird beschimpft, schikaniert und attackiert, dass viele entsetzt flüchten. Übrig bleibt die Meinungsfreiheit der Abgebrühten, jener, die ein dickes Fell haben, sich nur noch strategisch äußern und/oder von der Spaltung leben. Das beste und gleichzeitig furchteinflößendste Beispiel war Ex-US-Präsident Donald Trump, der während seiner Amtszeit Twitter dazu nutzte, Kritiker herunterzumachen, was seine teilweise gefährlich radikalisierten Fans mit eigenen Attacken ergänzten. Trump als Anführer eines verblendeten Mobs sorgte für schreckliche Szenen bei der Erstürmung des US-Kapitols. Er wurde daraufhin von Twitter gesperrt. Musk, der mit seinen Tweets gerne Aktienkurse beeinflusst, fand das nicht ok. Kommt mit seiner Übernahme die Rückkehr des obersten Pausenhoftyranns? Es steht zu befürchten.
Um ein glaubwürdiger Marktplatz für Meinungen zu sein, müsste Twitter viel mehr tun, als Leute mit Megafonen auszustatten. Meldungen von Drohungen, Missbrauch und Mobbing bleiben immer noch zu oft folgenlos. Dafür verschwinden immer wieder Accounts vom Bildschirm, die unter konzertierten Aktionen gemeldet und damit lahmgelegt werden. Gründe werden Betroffenen selten geliefert.
Musk will zumindest den Algorithmus offen legen, was zumindest in Europa ohnehin verpflichtend wird. Denn die EU, die sich vom Silicon Valley immer weniger bieten lässt, hat vergangene Woche ein überaus strenges Paket für Dienste wie Twitter verabschiedet: Die dahinterliegenden Programmlogiken müssen offengelegt werden und für die Sicherheit aller User muss gesorgt werden. Wer nicht liefert, riskiert Strafzahlungen in Höhe von sechs Prozent der globalen Einnahmen. Elon Musk könnte die Lust an der eigenen Version der Meinungsfreiheit noch teuer zu stehen kommen. Immerhin: Er kann es sich leisten. Keine schöne Aussicht.
Kommentare