So schnell ist’s vorbei mit der in Sonntagsreden beschworenen Einheit des Westens angesichts der russischen Aggression. Es war sicher nicht das letzte Mal, dass sich Risse in der NATO auftun – und nicht alle werden mit Geld zu kitten sein wie dieser. So eindrucksvoll das Bild von der geschlossenen Front des Westens sein mag, es steckt mehr Nostalgie darin als politische Realität.
Weltbild des Kalten Krieges
In geschlossener Formation trat man einst im Kalten Krieg Moskau entgegen, rüstete diesen Koloss auf wirtschaftlich tönernen Füßen so lange zu Tode, bis er in die Knie ging. Mit der NATO von heute hat das nur noch die militärische Dominanz der USA gemeinsam. Ob es um die Türkei geht, um NATO-Staaten am Balkan wie Albanien oder Nordmazedonien, oder sogar Deutschland, das nicht so recht weiß, wie es mit diesem Russland umgehen soll: in der chaotischen, multilateralen Welt verfolgt jeder seine eigenen Sicherheitsinteressen. Die Türkei hat das schon im Syrienkonflikt vorgeführt, als man dort mit den Russen packelte oder zwischendurch Truppen ins Bürgerkriegsland einmarschieren ließ. Ähnlich die Situation im Kaukasus, wo das türkische Netzwerk ganz anders aussieht als jenes der USA oder Frankreichs. Im Bürgerkriegschaos in Libyen hat ohnehin quasi jedes NATO-Land seinen bevorzugten Schützling. Am Balkan köcheln so viele Konflikte vor sich hin, dass nur eines der NATO-Mitglieder die Temperatur erhöhen muss, um das alles sehr rasch überkochen zu lassen.
Spielfelder für Autokraten
All diese Konflikte sind für Autokraten mit globalen Gelüsten ein Betätigungsfeld. Dass man zugleich in westlichen Demokratien Sicherheitskonzepte nach innenpolitischen Befindlichkeiten ausrichtet, führt uns das zaudernde Deutschland vor – und andererseits Großbritannien, das gar nicht genug Waffen in die Ukraine liefern kann. Wird also die Einheit des Westens der nächsten geopolitischen Erschütterung standhalten? Das in die Jahre gekommene Markenzeichen NATO wird dafür allein nicht reichen.
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