Einzelfälle sind das alles nicht, ist sich Mesenzewa sicher. Auch die OSZE sieht das so: Seit die Russen aus dem Kiewer Umland abgezogen seien, sei sichtbar, dass dahinter „ein Plan steckt“, so Veronika Bilkova, die den Vergewaltigungen für die OSZE nachgeht. In Butscha etwa seien Frauen zuerst vergewaltigt, dann bestialisch ermordet worden. Überraschend ist das nicht: Auch im Bosnien-Krieg gab es systematische Vergewaltigungen, ebenso in Ruanda und Syrien.
Dort war es schwierig bis unmöglich, die Täter zu finden. In der Ukraine ist das anders, der Krieg ist so gut dokumentiert wie kaum ein anderer Konflikt: Viele russische Soldaten nutzen Handyroaming oder posten auf Social Media, so können Opferangaben verifiziert und Täter ausfindig gemacht werden. „Wir kennen eure Namen“, ließ Kira Rudyk, Abgeordnete der Partei „Stimme“, deshalb kürzlich alle Täter wissen.
Schwieriger ist es, die Männer auch zur Rechenschaft zu ziehen, Russland müsste sie dazu ausliefern. Von Österreich – eine Delegation um VP-Mandatar und OSZE-Sonderbeauftragten Reinhold Lopatka wird demnächst nach Kiew reisen – wünscht sich Mesenzewa daher Unterstützung, in der Untersuchung der Verbrechen und der psychologischen Betreuung der Opfer. „Es gibt so viele Frauen, die geflohen sind und die nicht über ihre Erlebnisse sprechen können“, sagt sie. Mit der Zeit würden die Beweise verloren gehen. DNA verschwindet, Erinnerung wird verdrängt.
Die Verzweiflung und das Gefühl, in der Fremde völlig hilflos zu sein, treibt die Geflohenen oft der nächsten Gefahr zu – Menschenhändlern. Fünf Millionen Ukrainer sind ins Ausland geflohen, überwiegend Frauen und Kinder. Die Begierde, sich an ihnen zu vergreifen, regte sich sofort: „Schon in der ersten Kriegswoche hat die Onlinesuche nach ,ukrainischem’ Porno in Europa um 600 Prozent zugenommen. Die Clicks für ,ukrainische Escortfrauen’ haben sich verdoppelt“, sagt Valiant Richey, OSZE-Sonderbeauftragter für den Kampf gegen Menschenhandel.
Er befürchtet eine massive Zunahme der Menschenhändler-Übergriffe. Für die Frauen enden sie in erzwungener Prostitution, massiver Gewalt, Sexsklaverei. Schon vor dem Krieg hätten Frauen aus der Ukraine zu den am meisten von Menschenhändlern missbrauchten Frauen in Europa gezählt. Jetzt strecken die Verbrecher ihre Fühler nicht mehr nur an der Grenze zur Ukraine aus, dort stünden mittlerweile Polizisten, NGOs, Hilfsorganisationen. „Das Problem beginnt meist zwei, drei Schritte danach, wenn die Frauen in einer Stadt ankommen, niemanden kennen und dann vom Fremden angesprochen werden: Man habe eine Wohnung, könne Unterkunft bieten ...“, sagt der US-Staatsanwalt. Dort seien die Frauen und Kinder verloren: Wer einmal in den Fängen der Menschenhändler sei, sagt er, könne sich kaum mehr befreien.
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