Der Präsident als Feldherr: Wie Putin den Krieg dirigiert
Der Krieg gegen die Ukraine gilt im Westen als sein Krieg. Wie sehr es tatsächlich Wladimir Putins Krieg ist, haben nun zwei britische Zeitungen thematisiert. Unter Berufung auf westliche Militärquellen berichteten sie, dass der russische Präsident persönlich über einzelne Schritte seiner Truppen in der Ukraine entscheide, insbesondere im Donbass.
"Kann zu nichts Gutem führen"
Vergleichbar sei seine Rolle mit der eines Oberst oder Brigadegenerals, schrieben die Sunday Times und der Guardian. Als Beispiel für ein mögliches Putin-Kommando nennt Letzterer die dann gescheiterten Versuche der Russen in der Vorwoche, einen strategisch wichtigen Fluss zu überqueren.
"Nachprüfen lässt sich das alles freilich nicht“, sagt der Russland-Experte Alexander Dubowy gegenüber dem KURIER. Putin sei zwar gemäß der Verfassung Oberbefehlshaber der Streitkräfte, ein aktives Eingreifen in das Kriegsgeschehen auf derart niedrigen Ebenen sei damit aber nicht verbunden.
"Wenn die Berichte stimmen, kann das zu nichts Gutem führen", meint Dubowy. Immerhin habe Putin keine militärische Ausbildung, die ihm ermöglichen würde, adäquate Entscheidungen zu treffen.
Waleri Gerasimow (li.): Der Generalstabschef ist neben Putin der Mann, der im Krieg die Entscheidungen treffen soll. Sergej Schoigu: Der Minister für Verteidigung galt bereits als in Ungnade gefallen, trat zuletzt aber wieder mit Putin auf
Michail Misinzew: Der Generalmajor, der in Syrien Städte in Schutt und Asche legte, ist für den Kampf um Mariupol verantwortlich
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Roman Abramowitsch: Der Oligarch vertritt den Teil der Elite, der für eine diplomatische Einigung ist. Er wurde jüngst angeblich vergiftet
Der Times zufolge gibt neben Putin noch ein anderer Mann Befehle: Generalstabschef Valeri Gerasimow, von dem die Ukraine jüngst berichtet hatte, er sei wegen des mangelhaften Kriegsfortschritts suspendiert worden. Als Vertrauter gilt auch Verteidigungsminister Sergej Schoigu, der zuletzt an der Seite Putins bei der großen Militärparade in Moskau zu sehen war.
Tatsächlich das Sagen hat laut Dubowy aber nur der Kremlchef: Er entscheide allein über jede Eskalation des Krieges, so wie er über den Krieg an sich entschieden habe.
"Fehler" zu Kriegsbeginn
Dass die Invasion der Ukraine, von Putin als "Spezialoperation" bezeichnet, weiter nur schleppend vorankommt, lässt kritische Stimmen laut werden. Am Mittwoch räumte der Putin-treue Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, "Fehler" am Beginn des Krieges ein. Jetzt laufe aber alles hundertprozentig nach Plan.
Trotz aller Schwierigkeiten werde die militärische Spezialoperation bis zum Ende fortgeführt, sagte auch der Vize-Sekretär des nationalen Sicherheitsrates, Raschid Nurgalijew.
Vorige Woche hatte bereits der bekannte pro-russische Separatist Igor Girkin Verteidigungsminister Schoigu "mindestens kriminelle Fahrlässigkeit" vorgeworfen. Indirekt sprach der Ex-Kommandant, der für den Abschuss der Passagiermaschine MH17 über der Ostukraine 2014 verantwortlich gemacht wird, von "Verrat".
Am Dienstag wies dann Militärstratege Mikhail Khodarenok im Staats-TV darauf hin, dass der Angriff auf die Ukraine Russland schade und nicht nach Plan laufe. "Wir sind geopolitisch völlig isoliert", sagte er. Entsteht hier Widerstand gegen Putins Kriegsführung?
Nein, winkt Dubowy ab. "Alles, was im Staatsfernsehen vorkommt, besonders in Kriegszeiten, ist inszeniert, zumal auf Expertenebene." Anders sei es nur bei Protestaktionen wie der einer TV-Mitarbeiterin, die drei Wochen nach Kriegsbeginn ein Studio gestürmt hatte.
"Scheindebatten"
Aber wozu das alles? Auftritte wie der des Strategen Khodarenok oder der von Ramsan Kadyrow dienen Putin laut Dubowy dazu, den Anschein einer öffentlichen Debatte über die Zukunft des Krieges zu erwecken.
Das halte außenpolitisch interessierte Russen bei der Stange, vergrößere vor allem aber den Entscheidungsspielraum des Kremlchefs: Werden unterschiedliche Optionen aufgezeigt, wie der Krieg weitergehen oder beendet werden könnte, könne Putin eine davon aufgreifen, ohne sich groß rechtfertigen zu müssen.
"Keine Palastrevolution"
Keineswegs seien diese Scheindebatten ein Zeichen für eine drohende Palastrevolte, sagt Dubowy. Zwar gebe es in den russischen Eliten durchaus Uneinigkeit über den Fortgang der Invasion: Eine Gruppe, zu der auch Kadyrow gehöre, fordere dabei ein noch brutaleres Vorgehen in der Ukraine; die andere setze auf eine diplomatische Lösung. Beide Gruppen würden Putins Macht aber nicht in Frage stellen.
Hinter Putin steht nach wie vor auch ein großer Teil der russischen Bevölkerung. Diesen Rückhalt werde der Präsident brauchen, wenn er als Folge der westlichen Sanktionen unpopuläre Maßnahmen setzen wird müssen, meint Dubowy. Daher werde es – anders als immer wieder spekuliert – auf absehbare Zeit auch keine Generalmobilmachung geben.
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