Geflohen aus Butscha: "Die Augenzeugen sind alle tot"

Geflohen aus Butscha: "Die Augenzeugen sind alle tot"
Natalja, Swetlana und Aleksandr haben es aus Butscha bis nach Wien geschafft. Die Gräuel ihrer Heimatstadt werden die Familie noch lange verfolgen – ebenso wie die Angst vor Wiederholung.

66 Jahre sei er alt, sagt Aleksandr, er rückt die Brille zurecht. „Jetzt weiß ich mit Sicherheit, dass ich in drei Monaten auch 67 sein werde. Vor ein paar Wochen, da war ich mir sicher, dass ich das nicht mehr erlebe.“

Seine Hand zittert. Aleksandr, seine Frau Swetlana und ihre Tochter Natalja sitzen in einem Café in Wien-Kagran, zu Hause sind sie aber in Butscha. In jenem Ort, in dem sich das Grauen von Putins Krieg so verdichtet hat wie nirgendwo anders: Mehr als 300 Zivilisten haben russische Soldaten dort massakriert, geschändet, verscharrt. „Ich kann mir die Bilder nicht ansehen“, sagt Swetlana. „Dass Menschen in unserer Heimatstadt erschossen werden, das konnten wir uns nicht vorstellen“, sagt er.

Aleksandr zeigt auf seinem Handy Fotos seines Gartens, seiner Hunde. „Wir dachten, der Krieg dauert nur ein paar Tage“, sagt er. Dann aber seien die Bomben gekommen, und mit ihnen die Angst. „Eine Granate schlug bei unseren Nachbarn ein. Als wir aus dem Keller kamen, sahen wir zerquetschte Autos, kaputte Panzer. Auf der Straße lagen Helme. Und unter unserem Zaun menschliche Organe.“

Natalja floh am 4. März, zu Fuß. Ein paar Stunden später kamen die russischen Panzer, die Eltern blieben. Tagelang lang saßen sie im Keller, ohne Wasser, ohne Heizung. „Draußen hatte es in der Nacht Minusgrade“, sagt Aleksandr, er spricht fast zwei Stunden ohne Unterlass.

Was dort geschah, draußen, auf der Straße?

Aleksandr hat Dinge gesehen, die man nicht sehen sollte. „Einen Jungen, er war noch ein Schüler“, sagt er. „Stehenbleiben“, hätten sie ihm zugerufen, dann ein lauter Schrei. „Er solle sich hinknien, doch er konnte nicht. Sie hatten ihm ins Bein geschossen.“ Danach hätten sie seine Sachen durchsucht und ihn in die Schule geschleppt, ihr Hauptquartier. „Mehr weiß ich nicht“, sagt er.

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