Jene, die in Russland forschen und arbeiten, aber nicht offiziell sprechen können, weil das mit Strafe bedroht ist, erzählen von einem massiven Stimmungsumschwung. Vor allem jene Russen, die anfangs skeptisch waren, die Putins „Spezialoperation“ für überzogen hielten, würden sich hinter den Kremlchef stellen: „Es hat sich eine Anti-West-Stimmung aufgebaut“, heißt es.
Die Sanktionen, aber mehr noch die vom Kreml mit Freude verbreiteten Erzählungen, wie Russen im Ausland „gecancelt“, also ausgeladen und geächtet werden, „verfangen bei der Bevölkerung massiv“.
Dazu kommt, dass nur die Eliten die Sanktionen massiv spüren – die einfache Bevölkerung aber wenig bis gar nicht. Gerade abseits der großen Städte Moskau und Petersburg reisen die Menschen kaum ins Ausland, haben keine ausländischen Bankkonten. N
ennenswerte Lebensmittelengpässe gebe es bisher nicht, den durch Sanktionen provozierten Mangel spürt man nur bei Medikamenten – und da sorgt die Regierung gerade vor. Sie erlaubt künftig „Parallelimporte“, also die Einfuhr von lizenzfreien Waren, sprich Produktkopien aus China.
Das Massaker von Butscha wird an dieser Einstellung wenig ändern, sagen Beobachter. 65 Prozent der Russen, so die Daten von Lewada, seien „stolz“ oder „glücklich“ über den Krieg in der Ukraine. Sieht man sich Straßenumfragen von Bloggern an, die nach der Einstellung der Menschen fragen, versteht man auch warum: Da reden viele überzeugt davon, dass die Ukraine „eingegliedert“ werden müsse, dass der Widerstand aus „Nazis“ bestehe und die „gesäubert“ werden müssten. Also genau das, was die Staatsmedien erzählen.
Auch dass sich in den Staatsagenturen und -medien zuletzt Berichte häuften, dass russische Spezialkräfte „Säuberungsaktionen“ unter „ukrainischen Nazis“ durchführen, sei laut Beobachtern vermutlich beabsichtigt – womöglich wolle man zivile Todesopfer im Nachhinein diskreditieren und Erschießungen legitimieren.
Auch die Kreml-Erzählung, dass Kiew selbst für das Massaker verantwortlich sei, werde wohl hängebleiben, sagen Experten. Der einzige Hebel, der Wut in der Bevölkerung auslösen könnte, seien deshalb steigende Preise: Gehälter werden nämlich traditionell nicht schnell an galoppierende Inflation angepasst.
Derzeit liegt die bei 15 Prozent – für den Westen ist das viel, die Russen sind freilich anderes gewohnt. In den 1990ern fraß die Hyperinflation von mehr als 2.500 Prozent all ihre Ersparnisse auf.
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