Denn sie ahnen nicht, was wirklich Krise ist

Denn sie ahnen nicht, was wirklich Krise ist
Fridays for Future will den Planeten retten. Aber jetzt muss auch die Jugend helfen, dass nicht ihre Zukunftschancen zerstört werden
Richard Grasl

Richard Grasl

In Europa geht das böse L-Wort um: Lockdown-Debatte in England, Teile Madrids  abgeriegelt, in Marseille alle Lokale zu, in Israel das ganze Land. Auch wenn der Lockdown im Vergleich zum ersten Mal unwahrscheinlicher ist, weil wir Krankheitsverläufe besser lindern können, muss man den Blick auf die Folgen einer zweiten Sperrstunde  wagen.


Für die Wirtschaft wäre die Katastrophe weit schlimmer als im Frühjahr. Viele Unternehmen haben gerade noch mit den letzten Reserven die Kurve gekratzt und würden neue Zwangsschließungen nicht überleben. Selbst finanzstarke Firmen könnten ins Trudeln geraten, weil ihre Lieferanten ausfallen und die Produktionsstraßen stillstehen würden. Die Reisewarnungen für unsere Skigebiete kommen ohnehin einem Lockdown gleich. Ohne Gäste kein Hotelbetrieb, ohne diesen keine Bäcker, Fleischhauer, Tischler oder Sportartikelhändler. Ohne sie keine Jobs. Die Staatsgarantien für Kredite würden schlagend werden. Die Krise könnte die Finanz- und Bankenwelt erfassen.


Dass dieses Szenario auch gesellschaftspolitische Sprengkraft hat, ist klar. Es geht um Verteilungskämpfe (wem wird finanziell und im Krankenhaus zuerst geholfen?), um Einsamkeit, Depression und Zorn. Für die Schüler um deren Ausbildung. Die Regierung und vor allem der Bundeskanzler versuchen nun mit allen Anstrengungen und Druck, dieses Szenario zu verhindern. Eine Gästeliste im Lokal ausfüllen? Mühsam, aber warum nicht? Was Hoteliers seit Jahrzehnten machen, können auch Wirte und deren Gäste schaffen. Um 22 Uhr das Lokal verlassen – und zwar ohne per Privatparty weiterzumachen? Unlustig, aber im Vergleich zu den oben beschriebenen Folgen für einige Monate verkraftbar. Wenn all das für viele schon eine Krise ist, dann ahnen sie nicht, was wirklich Krise ist.


Für die Fridays for Future-Bewegung gehen Zigtausende Jugendliche auf die Straße. Sie haben erreicht, dass wir  ernsthaft über eine ökologische Wende diskutieren. Weil die Kinder und Jugendlichen nicht wollen, dass ihr  Planet zerstört wird. Aber wo ist die Jugend jetzt, wenn ihr Leben für die nächsten 20 Jahre zerstört wird, wenn es nach einer großen Depression keine Jobs und nur mehr wenig Hoffnung gäbe? Vielleicht sollten sie ihre Freunde überzeugen, dass fünf Monate weniger Party das Nachtleben erst wieder möglich machen. Dass Abstandhalten cool ist. Dass auch  Erwachsene vorsichtig sind.


Und die Politik soll jetzt den Wahlkampf beenden und tun, was notwendig ist. Vorverlegung der Sperrstunde noch vor dem Wahltermin. Massenweise günstige Tests  ohne lange Wartezeiten. Klare Richtlinien für den Umgang mit Corona in den Schulen. Noch mehr für die Aufklärung tun, aber harte Strafen für Verweigerer erlassen. Denn sonst wird aus dem „Licht am Ende des Tunnels“, das der Kanzler gesehen hat,  ein Zug, der uns zu rasch entgegenkommt.

 

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