Forum für besonders wütende Bürger

Im ORF-"Bürgerforum" wurde in aufgeheizter Atmosphäre zum Thema Flüchtlinge diskutiert. Auf die Wortmeldung eines Identitären war man schlecht vorbereitet.
Peter Temel

Peter Temel

Letztlich wird man vor allem über die Buh-Rufe und über den Auftritt eines Identitären sprechen

von Peter Temel

über das ORF-Bürgerforum zum Thema Flüchtlinge

"In Simmering herrscht die Ruhr." Oder: "Flüchtlinge springen auf die Autobahn und reißen an Autotüren."

Derlei Erzählungen bekommt man zu hören, wenn man besorgte bis wütende Bürger zu einem "Bürgerforum" zum Thema "Flüchtlinge - kein Ende in Sicht?" lädt. Der ORF tat dies am Dienstagabend vor einem sehr großen Fernsehpublikum. Die zweistündige Live-Diskussion, in der Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner Rede und Antwort standen, brachte durchschnittlich 933.000 Zuseher vor die Fernseher.

Auf den Ruhr-Verdacht hatte sich der ORF vorbereitet. Pamela Rendi-Wagner vom Gesundheitsministerium relativierte die Aussage postwendend mit statistischen Zahlen. Demnach seien 18 Einzelfälle bei der Gesamtzahl der ankommenden und durchreisenden Flüchtlinge keine nennenswerte Größe.

Ein Identitärer stellt sich vor

Nicht ausreichend vorbereitet schien man hingegen auf einen anderen Gast im Publikum. Es meldete sich ein junger Mann mit (Voll-)Bart und Scheitel zu Wort, der sich als Sprecher der Identitären Bewegung Österreichs vorstellte und verkündete: "Sie sind durch Ihre offenen Grenzen mitschuldig an den Anschlägen in Paris. Wir Österreicher wollen Sicherheit in unserem Land haben, schließen Sie endlich die Grenzen."

Nun ist es, bei aller Aufregung, demokratiepolitisch noch kein Beinbruch, dass Herr Alexander Markovics kurz zu Wort kam. Notwendig wäre aber gewesen, dass jemand die Identitären zumindest einordnet und dem Publikum erklärt, dass die Organisation der extremen Rechte zugerechnet wird und fremdenfeindliche Positionen vertritt. Auch hätte das Runterklopfen von Propaganda-Parolen einen Ordnungsruf verdient, schließlich reichte davor schon eine zu ausufernd vorgetragene Frage dafür, von ORF-Moderator Peter Resetarits gemaßregelt zu werden.

Aufgeräumt

Auf Puls 4 bat man die Regierungsspitze schon vor eineinhalb Wochen zu einem "Pro & Contra Spezial". Wesentlich aufgeräumter und übersichtlicher wirkte dieser vom Grundkonzept ähnliche Polit-Talk. Nicht etwa, weil keine Vertreter der Oppositionsparteien geladen waren, sondern, weil wesentlich weniger Publikum im nüchternen Studio saß und neben den Moderatoren (Corinna Milborn und KURIER-Herausgeber Helmut Brandstätter) nur sorgfältig ausgewählte Gäste im Publikum Fragen stellten.

Die ORF-Live-Sendung im Wiener Odeon-Theater bot eine ganz andere Atmosphäre. Da wurde gebuht, applaudiert, hämisch gelacht und dazwischengerufen. Fast wie bei hitzigen Parlaments-Diskussionen, wenn man es schnippisch sagen will. Das Publikum ist sogar in Sektoren nach zuwanderungskritisch, aufnahmefreudig und eher neutral aufgeteilt worden, berichtete Resetarits. Interaktion, auch lautstarke, war also offensichtlich gewollt.

Forum für besonders wütende Bürger

Lebendig

Das gestaltete dieses " Bürgerforum" auch lebendig und wurde der Brisanz des Flüchtlingsthemas gerecht. Nur: Man kann noch so interessante Reportagen aus Lesbos einspielen, spannende Umfrageergebnisse präsentieren, nach Spielfeld schalten; man kann, wie im Falle von Faymann und Mitterlehner, noch so sehr europäische Lösungen beschwören, dabei ausgleichend, aber bestimmt auf Kritik reagieren. Danach wird man dennoch vor allem über die Buh-Rufe und über die Redezeit für den Identitären sprechen. Oder sich fragen: Wie war das noch einmal mit der Autobahn?

Das schlechte Zeugnis, das die Bevölkerung der Regierung laut Umfragen in der Flüchtlingsfrage ausstellt, dürfte sich an diesem Abend kaum verbessert haben. Es wurde aber auch deutlich, wie schwierig es derzeit ist, das Richtige zu tun.

Forum für besonders wütende Bürger

Regierungsspitze und Opposition bei Peter Resetarits (Bildmitte): Robert Lugar (Team Stronach), Heinz-Christian Strache (FPÖ), Reinhold Mitterlehner (ÖVP), Werner Faymann (SPÖ), Eva Glawischnig (Die Grünen), Matthias Strolz (Neos)

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