Der abgesagte Untergang

Strache lag weiter hinter Häupl als die Umfragen vorhersagten: Über die Anmaßung, alles schon vorher wissen zu wollen
Peter Temel

Peter Temel

Das 'Rote Wien' ist am Wahlsonntag tatsächlich nicht untergangen.

von Peter Temel

über Wetten, Umfragen und Hochrechnungen

Es ist wieder einmal eine Wette um edlen Wein (und daran angeschlossenem Abendessen), die auf Facebook und Twitter die politisch bewegten Köpfe rauchen lässt. Schriftsteller und Essayist Robert Menasse tat auf Facebook kund, dass er gegenüber der Innenpolitik-Chefin des profil, Eva Linsinger, im Vorfeld der Wien-Wahl den Ausgang tendenziell richtig vorhergesagt habe, was die angebliche Wettpartnerin jetzt, nach der Wahl, nicht zugeben wolle.

Dabei sind es weniger die Umstände dieser Wette, die uns beschäftigten sollten, sondern folgender Satz aus dem vielgeteiltem Facebook-Dramolett: "Ich schreibe nicht über Mutmaßungen, ich bin kein Journalist."

Freilich ist Menasse ein gewisser journalistischer Wesenszug nicht fremd: Es ist nicht gerade uneitel, nachzuerzählen, wie er der "Qualitätsjournalistin", wie er sagt, vor Augen geführt habe, dass Strache niemals mehr als 31 Prozent bekommen werde. Die von Menasse beschriebene Vorgeschichte: Die Journalistin habe in der Woche vor der Wien-Wahl angerufen, um ihm einen Essay über den "Untergang des Roten Wiens" vorzuschlagen. Im Vorhinein geschrieben, damit der Abgesang auch pünktlich am Montag in der Wahl-Sonderberichterstattung erscheinen könne.

Kein Untergang

Auch wenn man darüber reden könnte, dass 31 Prozent in Zukunft durchaus nicht das Ende der freiheitlichen Fahnenstange sein müssen: Das "Rote Wien" ist am Wahlsonntag tatsächlich (auch leihstimmenbereinigt) nicht untergangen. Viele Medien - ohne den KURIER hier auszunehmen - haben aber genau das in den Wochen vor der Wahl, mit Hilfe von Meinungsumfragen, in Aussicht gestellt. Mit der klaren Folge einer Fokussierung auf das Duell Häupl gegen Strache.

Journalismus, mag er ansonsten auch noch so seriös sein, bekommt dadurch tatsächlich ein Glaubwürdigkeitsproblem. Das hängt aber klarerweise nicht an Linsingers Anruf. Es wäre nicht der erste analytische Essay gewesen, der nur für die Rundablage geschrieben worden ist.

Eine Stunde

Unmittelbar nach dem Schließen der Wahllokale um 17 Uhr wurde über die aktuellen Online- und Fernsehkanäle (im ORF etwa mit bedeutenden Worten wie "Schnallen Sie sich an") aus Umfragen destillierte Umfragen präsentiert und die mit Schwankungsbreiten versehenen Säulen fast wie valide Hochrechnungen diskutiert. Um 18 Uhr zeigte die erste Hochrechnung, dass die realen Wahlergebnisse von SPÖ und FPÖ weit außerhalb dieser Schwankungsbreiten liegen werden. Dass sich auch einige Chefredakteure dieses Landes vor den Fernsehkameras einfanden, um vor Bekanntwerden der Hochrechnungen zur Analyse zu schreiten, scheint Menasses Aussage, dass sich der Journalismus auch mit Mutmaßungen beschäftigt, zu bestätigen.

Wir sollten Menasses mahnende Worte nicht brüsk zurückweisen, auch nicht ung‘schaut bejubeln. Wir sollten uns schon gar nicht an den Meinungsforschern abputzen. Aber vielleicht sollten wir einmal innehalten und darüber nachdenken, ob wir uns nicht öfter die eine Stunde Zeit gönnen, die möglicherweise nötig ist, um über Fakten sprechen zu können. Eine Stunde, die am Sonntag aus Gründen der Aufmerksamkeitsökonomie mit Kaffeesudlesen gefüllt wurde.

Was die nächste Nationalratwahl betrifft, hätten wir - bei Nicht-Eintreten des Neuwahl-Falles - nun sogar fast drei Jahre Zeit, um in uns zu gehen. Längst aber haben wir es mit der berühmten Sonntagsfrage zu tun, die derzeit die FPÖ deutlich vorne sieht. Will vielleicht jetzt schon jemand auf den "Untergang des großkoalitionären Österreichs" wetten, oder gar darüber schreiben? Nach diesem Wahlsonntag wohl nicht einmal um viel edlen Wein.

Lassen Sie sich von Umfragen beeinflussen? Wollen Sie alles so schnell wie möglich wissen? Diskutieren Sie mit!

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