Das Lesen des modernen Kaffeesuds

Die Aussagekraft der Wählerstromanalysen gleicht einer modernen Kaffeesudleserei.
Peter Draxler

Peter Draxler

Die Aussagekraft der Wählerstromanalysen gleicht einer modernen Kaffeesudleserei.

von Peter Draxler

über Wählerstromanalysen

Am Sonntag war es wieder einmal so weit: Es waren Wahlen und folgerichtig gab es eine Menge zu analysieren. Wer warum wo was gewonnen hat und was uns das über das Wetter in sieben Jahren sagt zum Beispiel. Stetig steigender Beliebtheit erfreut sich zudem die Frage nach den sogenannten "Wählerströmen". Diese bunten Balken zeigen dem p.t. Publikum, wie sich Menschen, die bei der vergangenen Wahl Partei X gewählt haben, sich dieses Mal in der Wahlzelle entschieden haben.

Das sieht dann in etwa so aus: Von den 154.000 Wählern der steirischen SPÖ haben 16.000 bei der letzten Landtagswahl im Jahr 2010 nicht gewählt, 6.000 kamen von den Grünen, 5.000 vom "Zukunftspartner" und Koalitionspartner ÖVP, 3.000 von der FPÖ und 1.000 vom steirischen Kuriosum KPÖ. Das sieht gut aus und die vielen herumschwirrenden Zahlen verleihen eine mythische Aura der Glaubwürdigkeit.

Dabei gibt es nur ein einziges Problem: Die Aussagekraft der Wählerstromanalysen gleicht einer modernen Kaffeesudleserei. Natürlich liegen den Analysen "repräsentative Umfragen" zugrunde, doch das tun sie bei den Umfragen vor den Wahlen auch. Nur müssen diese sich am Wahltag immer dem Realitätscheck unterziehen - und dieser sorgt bei fast jeder Wahl für betroffene Gesichter in den Reihen der Wahlforscher.

Wählerstromanalysen haben dieses Problem nicht. Ihren Wahrheitsgehalt kann niemand überprüfen und kaum jemand hinterfragt die Methoden der Experten. Dabei lohnt sich ein genauerer Blick: Eine repräsentative Umfrage kann durchaus eine Schwankungsbreite von +/- 5 Prozent haben. Das bedeutet, dass sich die Ergebnisse in einem Intervall von zehn Prozentpunkten befinden können - eine Größe, die sich nicht wirklich mit der scheinbaren Exaktheit der Wählerströme vereinbaren lässt.

Auch das Problem der Datenerhebung durch Umfragen - Stichwort soziale Erwünschtheit - wird bei Analyse dieser Art noch verschärft. Denn niemand kann mit Sicherheit sagen, dass sich die Befragten tatsächlich korrekt an ihre letzte Stimmabgabe erinnern.

Aber Wählerströme haben einen großen Vorteil: Sie lassen sich optisch ansprechend darstellen und animieren. Außerdem steht hinter – oder besser: neben – jeder Wählerstromanalyse mindestens ein Experte, der wortreich erklärt, dass die wissenschaftliche Analyse dieses, jenes oder gar nämliches ergeben habe. Das gefällt den Medien und deren Konsumenten (so zumindest die weitverbreitete Meinung in den Newsrooms und Redaktionen). Und so werden uns die Wählerströmeanalysen wohl auch noch weiter begleiten.

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