Meinungsforscher und TV: Aufs Twitterkreuz!

Demoskopen und Journalisten Hand in Hand ins Out
Philipp Wilhelmer

Philipp Wilhelmer

Von Duell konnte keine Rede sein.

von Philipp Wilhelmer

über den Prognosen-Flop im Wahlfernsehen.

Es gehört zum Wesen der Social Media-getriebenen Gesellschaft 2.0 dazu, dass wir ständig jemanden ans Kreuz nageln wollen. Natürlich nur virtuell. Wofür gibt es schließlich Twitter? Nach der Wien-Wahl sind es wieder einmal die ungeliebten Meinungsforscher, die – „fahrlässig!“ „manipulativ!“ „Versager!“ – einmal mehr den ganzen Tag falsch lagen.

Tatsächlich lagen sowohl das vom ORF beauftragte Institut SORA, als auch der für ATV tätige Peter Hajek deutlich neben dem vorläufigen Endergebnis. Beim ORF war um 17.00 Uhr ein Bürgermeister Heinz Christian Strache noch nicht ausgeschlossen, bei ATV saß er Amtsinhaber Michael Häupl mit einem Abstand von nur zwei Prozentpunkten im Nacken. Suspense!! Bis um 18.00 Uhr die ersten Hochrechnungen zeigten: Von Duell konnte keine Rede mehr sein. Häupl hatte Strache deutlich abgehängt. 39,5 Prozent gegen 31 Prozent (vorläufige Auszählung) sprachen eine deutliche Sprache.

Eine Stunde lang wurden also auf drei Sendern (ORF2, ATV und Puls4) völlig falsche Zahlen diskutiert, interpretiert und abgewogen. Selten waren Journalisten Hand in Hand mit Meinungsforschern so forsch ins Out geschritten.

Warum uns das so ärgert? Es war eine Schicksalswahl. Tatsächlich hätte das rote Wien laut Umfragen blau werden können. Ein hochgerechnetes Kopf an Kopf-Rennen entpuppte sich in Realität als ein Hinterherhecheln. Alle Schlaumeier, die bis dahin auf Sendung kommentierten, wie der Erdrutsch Wien bewegen würde, mussten live umdisponieren. Selten gesehen. Unangenehm.

Warum uns das ärgern sollte? Hätte sich der ORF oder das weit weniger finanzkräftige ATV tatsächliche Exit Polls, also Nachwahlbefragungen geleistet, wäre man vielleicht mit präziserem Material konfrontiert worden und hätte sich eine Stunde Hochspannung wegen eines nicht vorhandenen Erdrutsches erspart. Aber: Zu teuer. Stattdessen wurden im ORF die Umfrageergebnisse der letzten Wochen als Prognosen verkauft - da halfen auch die Hinweise nichts mehr, dass es sich um Umfragen handle.

Warum uns das nicht weiter ärgern muss: Wien ist eben anders. In der Bundeshauptstadt schließen alle Wahllokale gleichzeitig um 17.00 Uhr. Weil bis dorthin noch kein einziger Sprengel ausgezählt wurde, gab es eben nur die Prognosen und keine einzige Hochrechnung. Und wenn drei Sender mit Live-Bombast an den Start gehen, kann man nicht nichts diskutieren. Zur Not hyperventilieren wir eben recycelte Zahlen aus der Retorte.

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UPDATE, 16.50 Uhr: Untenstehender Satz ist bis auf die Seherzahl leider nicht korrekt. Die Zahlen von SORA mögen zwar falsch gewesen sein, aber waren präziser als die von ATV. Betont SORA. Der Autor bedauert den Fehler und zieht die Polemik zurück.

(Was dennoch befremdet: Der Sender mit den falschesten Zahlen hatte auch die meisten Seher: ORF2.)

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