Wer, bitte, misst den Integrationsgrad?!

Mirad Odobasic
Woran erkennt man eigentlich, ob jemand irgendwo gut integriert ist?

Toni ist selten aufgeregt. Das ist wohl die gängige Attitüde eines 11-Jährigen, bei dem die ersten Nasenpickel als erste Vorboten der bevorstehenden Pubertät dienen. Als ich ihn letztens anrief, um die frohe Botschaft zu überliefern, ich hätte Tickets für das Ländermatch gegen Schottland gecheckt, da fiel die Maske des coolen Buben, der sich Gefühle ja nicht ansehen lassen darf. Er hätte Freudentänze aufgeführt und laute Jubelschreie von sich gegeben, berichtete mir am Abend seine Mama.

Ja, mein älterer Sohn ist ein überzeugter Fan nicht nur des Fußballs, sondern aller Spieler der österreichischen Nationalteams. Toni ist einer dieser Fans, die bei der Hymne mit der rechten Hand am Herzen laut mitsingen. Das tun ja nicht einmal alle Sportler, die unter der rot-weiß-roten Flagge spielen. Dabei ist Toni erst seit zwei Jahren österreichischer Staatsbürger, und das, obwohl er in Wien auf die Welt gekommen ist.

Bedeutet diese bedingungslose Identifikation mit der Stadt und dem Land, in dem er geboren wurde und aufwächst, dass er gut integriert ist? Woran erkennt man eigentlich, ob jemand irgendwo gut integriert ist? Wer, bitte, misst den Integrationsgrad überhaupt?

Diese Fragen beschäftigen einen wie mich. Einen, der ...

... in einem Land auf die Welt kam, das, als er elf Jahre alt war, zugrunde ging.

... als 11-Jähriger samt seiner älteren Schwester von den Eltern in einen Bus Richtung Kroatien gesteckt wurde, wo man beim Onkel "den Urlaub verbringen" sollte.

... von Kroatien aus mit einer 42-köpfigen Schülergruppe zum dreiwöchigen Schüleraustausch nach Deutschland fuhr.

... in Gelsenkirchen statt drei Wochen sechs Jahre blieb.

... nach sechs Jahren in Deutschland in seine Heimat, die nun anders hieß, als zu dem Zeitpunkt als er sie verlassen hatte, zurückkehrte und sich nicht mehr dazugehörig fühlte. 

... schließlich in Wien landete, wo er inzwischen österreichischer Staatsbürger und Vater zweier Kinder wurde. 

"Wo fühlen Sie sich daheim?", fragte ich schon viele meiner Interviewpartner - und hoffte stets insgeheim, dass die Frage nicht retour kommen würde. Diese Frage ist für einen wie mich nicht leicht zu beantworten. 

Jedenfalls nannte man mich im Laufe meiner Lebensodyssee schon Jugo, Bosnier, Serbe, Kroate, Bosna, lustiger Bosniak, langer Jugo-Lulatsch, Piefke, Jugo-Piefke, Ruhrpott-Kanake, Ausländer oder einfach Tschusch. Irgendwie konnte ich mit allem leben, selten besserte ich mein Gegenüber aus. Denn ich kann mich selbst schwer wo einordnen. Da ist mir jede Schublade einfach zu eng. 

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