Es war so etwas wie die Liebe auf den ersten Blick. Als Stephan Wabl vor 16 Jahren zum ersten Mal Sarajevo besuchte, hat es bei ihm Klick gemacht. "Es hat mich so gecatcht, dass ich unbedingt noch mal zurückkommen wollte", versucht der 42-jährige Journalist und Autor die Beziehung zwischen ihm und der bosnischen Hauptstadt zu erklären.
Vor fünf Jahren machte der ehemaligeProfil-Redakteur dann ein Jahr Bildungskarenz, in der er drei Monate in Sarajevo verbrachte, Freundschaften fürs Leben schloss und Eindrücke sammelte - unter anderem von den langen Busreisen über den Balkan. Seither ist er regelmäßig zurückgekehrt.
In dem gerade erschienen zweisprachigen Buch auf Deutsch und Bosnisch/Kroatisch/Serbisch "Die andere Balkanroute - Unterwegs zwischen Wien und Sarajevo" schreibt der gebürtige Steirer, der kürzlich für seine Reportage über den Fußball-Klub Velež Mostar einen Preis der europäischen Vereinigung von Minderheitenzeitungen bekommen hat, gemeinsam mit der bosnischen Co-Autorin Lejla Kalamujić über Grenzerfahrungen. Untermalt werden diese von Fotografien von Kurt Prinz und Merisa Bašić, die parallel zu Lesungen in Wien und Sarajevo ausgestellt werden.
KURIER: Warum denn Sarajevo?
Stephan Wabl: Es ist eigenartig. Sarajevo ist für mich eine der spannendsten Städte - und ich habe in Paris und London studiert, eine Zeit in Berlin gelebt. Ich habe viele Städte gesehen, aber so eine Stadt wie Sarajevo sonst nirgends.
Warum fasziniert Sie diese Stadt so?
Es ist die Stimmung. Als ich das erste Mal durch Sarajevo spaziert bin, habe ich mich auf Anhieb wohlgefühlt. Ich hatte das Gefühl, dass da so viel zu entdecken ist auf so engem Raum. Einerseits das ganze Historische: vom Osmanischen über das Habsburgerische bis zum Jugoslawischen und dann die Kriegsgeschichte und wie die Stadt damit umgeht. Einerseits viel Wehmut und Schwere, aber dann doch immer wieder Leute, die versuchen, etwas auf die Beine zu stellen. Es hat mich so gepackt, dass ich immer wieder schauen wollte, was da Neues passiert.
Wie denkt der/die Durchschnittsösterreicher/in über Bosnier:innen?
Ich kenne natürlich die Klischees, die Bosnier:innen bzw. Menschen vom Balkan seien hinterfotzig, nicht ganz zuverlässig. Als ich allerdings zum ersten Mal nach Bosnien-Herzegowina fuhr, hatte ich nicht im Kopf gehabt, dass ich den "wilden Balkan" besuche. Ich bin in der Steiermark aufgewachsen, Teile meiner Familie kommen ja aus Slowenien, sodass es ja immer gewisse Verbindungen zu Jugoslawien gab. Wir hatten auch 1992 eine aus Sarajevo geflohene Mutter mit ihrer Tochter für ein paar Monate bei uns aufgenommen.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie wenig man hierzulande eigentlich über ein Land, das immerhin früher unser Nachbarland war, weiß. Wie ist das zu erklären?
Genau das versucht dieses Buch zu erklären. Wien und Sarajevo liegen sehr nah beieinander, und zwar nicht nur in Kilometern gemessen, sondern von der Geschichte und den politischen, familiären, kulinarischen oder architektonischen Verbindungen her. Wenn du durch Sarajevo spazierst, dann siehst du Wien. Wenn du durch Wien spazierst, siehst du Sarajevo, Bosnien, den Balkan.
Dennoch liegen zwischen den beiden Städten mehrere Grenzen …
Dadurch, dass Wien heute innerhalb der EU liegt und Sarajevo außerhalb, ist es für viele noch weiter weg. Kroatien ist für viele greifbar, weil man dorthin in den Urlaub fährt und es ein Teil der EU ist.
Hat man sich trotz der gemeinsamen Geschichte auseinandergelebt?
Der klassische Österreicher gilt ja als sehr unsicher, siehe Minderwertigkeitskomplex gegenüber den Deutschen. Sogar im Umgang mit anderen Ländern wie Bosnien oder Ungarn, zu denen Österreich historisch und kulturell eine starke Verbindung hat, ist man unsicher, ja gar ängstlich. In der Steiermark, wo ich aufgewachsen bin, habe ich gespürt, dass sich die Menschen schwertun, sich damit auseinander zu setzen oder die Ähnlichkeiten zwischen ihnen und Anderen zu sehen.
Österreich hat in den 1990ern sehr viel für Bosnien getan, viele Flüchtlinge aufgenommen. Glauben Sie im Nachhinein, dass man damals hätte mehr tun können, um die Jugoslawien-Kriege zu verhindern?
Wenn es um zentrale europäische politische Fragen geht, hält sich Österreich immer ein bisschen heraus. Flüchtlinge aufnehmen oder Geld schicken - das geht. Aber wirkliche politische Positionen einnehmen? Nein, danke! Auch in den Neunzigern ließ man Deutschland Entscheidungen treffen und Österreich orientierte sich dann danach. Ich glaube, in der österreichischen Politik wird oft unterschätzt, wie relevant Österreich sein könnte in den ehemaligen jugoslawischen Ländern, wenn sie diese tatsächlich ernst nehmen würden. Dabei hat Österreich in dieser Region einen ganz guten Ruf und könnte viel bewirken, ist aber meiner Meinung nach sehr passiv.
Man hört immer von den Spannungen zwischen den Ethnien in Bosnien. Haben Sie etwas davon gespürt?
Nein. Dabei war ich in allen Landesteilen unterwegs. Diese Spannung gibt es schon, man spürt sie aber nicht unter den Leuten im Alltag. Ich habe das Gefühl, dass die Lage in Bosnien-Herzegowina in den österreichischen Medien vereinfacht wird. Was jedenfalls feststeht: Die Leute in Bosnien haben genug von diesen ganzen Zuschreibungen. Die Leute haben keine Lust mehr, das immer wieder durchzukauen. Es bringt sie nicht weiter.
… und sorgt für Frustration …
Man merkt natürlich schon, dass die Leute keinen Bock mehr haben. Ich war vor fünf Jahren länger dort und musste nun feststellen, dass die Situation mittlerweile stagniert. Das ist schon echt deprimierend. Viele stecken in einem Schwebezustand, einer Mischung aus Warten und Apathie. Aber worauf wartet man? Darauf, dass Bosnien der Europäischen Union beitritt und es dann besser wird? Das wird in absehbarer Zeit wohl nicht passieren.
Wie sieht denn die Perspektive des Landes aus?
Schwer zu sagen. Ich denke immer an die bosnische Grenze, wo ein altes Grenzhäuschen steht. So wie dieses Häuschen, das provisorisch seit dem Zerfall Jugoslawiens dort steht, wo früher keine Grenze war, wartet auch das Land, dass das Häuschen mal verschwindet, Europa sich weiter öffnet und man von Wien aus einfach so durchfahren kann und sich dort etwas weiterentwickelt.
Bosnien-Herzegowina zählt zu den ärmsten Ländern Europas. Merkt man das den Leuten im Alltag an?
Man sieht es meiner Meinung nach im Alltag nicht. Wenn man aber mit dem Bus nach Bosnien fährt, was ja ein Teil des Buches ist, dann sieht man unterwegs die kaputten Häuser, die leer stehen. Andererseits erlebt man solche Szenen auch in Urlaubsländern wie Griechenland …
Gibt es etwas, das dich in Bosnien wirklich geschockt hat?
Am heftigsten fand ich die Zigaretten "Drina". Die sind schon sehr heftig (lacht).
Was essen Sie heutzutage, wenn Sie die Wahl haben: Wiener Schnitzel oder Ćevapi?
Ich bin seit knapp 25 Jahren Vegetarier, mit einer Pause von zwei, drei Jahren. In diesem Zeitraum habe ich in Željo auf Baščaršija (Altstadt von Sarajevo, Anm.) Ćevapi gegessen und das war eine der besten Sachen, die ich in meinem Leben gegessen habe. Mmm, diese Zwiebeln, dieses Brot!
Infos zum Buch:
Die andere Balkanroute - Unterwegs zwischen Wien und Sarajevo (Bosnischer Titel: Druga Balkanska ruta - Na putu između Beča i Sarajeva).
Texte von Lejla Kalamujić und Stephan Wabl. Fotos von Kurt Prinz und Merisa Bašić.
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