Emir Dizdarević: "Wusste lange nicht, dass es so etwas wie schwule Bosnier gibt"
Zehn Jahre ist es her. Im Alter von 22 Jahren sagte Emir Dizdarević seinen Eltern, dass er homosexuell ist. „Das war überhaupt nicht selbstverständlich“, erklärt der grüne Bezirksrat, der im Vorjahr den Vorsitz der Kulturkommission in der Josefstadt übernommen hat.
Denn Dizdarević stammt aus einer muslimischen Familie, die im Zuge der Kriegswirren aus Bosnien-Herzegowina nach Österreich geflüchtet ist. Im KURIER-Gespräch spricht der Sprecher der "Grünen Andersrum in Wien", einer Initiative, die die Diskriminierung der LGBTQ+-Community bekämpft, über die Bedeutung des Pride Months für die Community, die Vereinbarkeit des Schwulseins mit der Religion und den machoiden Balkan.
KURIER: Wie gratuliert man sich eigentlich den Pride Month?
Emir Dizdarević: Mit "Happy Pride!"
Wie wird denn dieser in der Community gefeiert?
Ich glaube, jeder feiert ihn anders. Meinen Hetero-Freunden sage ich immer: Das ist unser Weihnachten bzw. Bayram - nachdem ich aus einer muslimischen Familie stamme. Der Pride Month ist also unser Feiermonat. Aber es ist auch ein Kampfmonat, um Sichtbarkeit zu zeigen.
Wie sehen denn die anderen elf Monate im Jahr für Homosexuelle aus?
365 Tage im Jahr sind Hetero-geprägt. Du gehst raus auf die Straße und alle glauben, alles ist hetero. Wir sagen: "Nein, wir sind auch da und es gibt uns auch als Teil der Gesellschaft". Also wir feiern es, aber es ist auch ein wichtiges politisches Zeichen.
Es gibt ja viele, die sich fragen, wozu die Homosexuellen einen ganzen Feiermonat brauchen. Was antworten Sie Ihnen?
Bei vielen ist es noch immer nicht ganz angekommen, dass es normal ist. Ich bekomme zum Beispiel auf TikTok sehr viele Hass-Nachrichten, dass ich abnormal und krank bin. Manche sagen mir sogar, ich solle mich umbringen. Das heißt, es ist noch nicht normal und genau deshalb braucht es diese Sichtbarkeit.
Wie steht Österreich eigentlich im internationalen Vergleich da, was die Behandlung der LGBT-Community angeht?
Das ist eine komplexe Frage. Man muss sich das von verschiedenen Ebenen anschauen, nach Gesetzen, Akzeptanz oder Kultur. Würde es nach Gesetzen gehen, wäre Malta Spitzenreiter in Europa. Da können wir uns einiges abschauen. Was die kulturelle Anerkennung angeht, da ist die Stadt Wien eigentlich schon sehr, sehr gut. Da hat die rot-grüne Stadtregierung in den letzten zehn Jahren viel wichtige Vorarbeit geleistet. Jetzt braucht es aber vor allem Initiativen zum Thema Gewaltschutz. Die größte Gefahr ist für LGBTIQ+ noch immer der Alltag, der öffentliche Raum.
Waren Sie schon einmal in so einer Lebensphase, in der Sie über eine Auswanderung nach Malta nachgedacht haben?
Ich würde gern am Meer leben, das wäre natürlich schön (lacht). Jetzt aber im Ernst: Nein, ich bin hier, ich bin Bezirkspolitiker und möchte mein Umfeld auch prägen. Ich mache Politik, weil ich etwas bewirken will und anderen Leuten die Chance geben möchte, ein besseres Leben zu führen. Ganz ehrlich: Deshalb habe ich mich geoutet.
Um ein Role Model zu sein?
Als ich klein war, gab es keinen einzigen schwulen Bosnier. Ich war schwul, aber ich wusste ganz lange nicht, dass es so etwas überhaupt gibt. Ich wusste nicht, dass es ein Konzept auf dieser Welt gibt, dass man als bosnischer Mann andere Männer mögen kann. Und deshalb habe ich auch beschlossen, ich möchte auch als bosnischer Mann out sein, um so jungen Kinder zu zeigen: "Hey, wenn du vielleicht auf Männer stehst, wenn du deine Gefühle nicht zuordnen kannst - das ist normal, das gibt's schon draußen.“ Ich habe lange darunter gelitten, bis ich verstanden habe, was da eigentlich mit mir los ist. Ich war sehr unglücklich, aber einfach, weil mir die Idee gefehlt hat, dass das auch normal sein kann.
Hat Sie Ihr Outing viel Überwindung gekostet?
Ich erzähle immer, dass ich auch ein schwules Kind war. Es gibt viele Konzepte, aber ja: Man wird tatsächlich auch schwul geboren. Es gibt nicht, wie sich viele denken, diesen Moment, wo du sagst: "Okay, ich bin jetzt gay", sondern du bist es eh schon die ganze Zeit.
Aber auch gegen die recht konservative Umgebung ...
Ja, wir lebten damals in Niederösterreich, irgendwo im Land draußen. Keine Beratungsstellen, du kannst mit niemandem reden. Hinzu kommt, dass in meinem Freundeskreis alle hetero waren. Ich hatte Glück, dass ich anscheinend stark genug war, die Entscheidung alleine treffen zu können. Ganz viele schaffen das nicht und deshalb ist auch die Selbstmordrate bei homosexuellen und vor allem transidenten Jugendlichen so hoch.
Sie erwähnten, dass Sie aus einer muslimischen Familie stammen. Hat Sie Ihr Bekenntnis zum Islam auch an Ihrer Entscheidung gehindert?
Ich bin in einem muslimischen Haushalt aufgewachsen. Ich war früher auch gläubig und habe gebetet. Nach dem Outing war das für mich so nicht mehr vereinbar.
Sind der Islam und das Homosexuell sein tatsächlich so unvereinbar?
Ich finde eigentlich nicht. Ich schrieb früher für das Magazin Biber und habe zum Beispiel ein sehr cooles Interview mit einem schwulen Hodscha aus Südafrika geführt. Er erzählte mir, dass es in Südafrika sogenannte Reconciliation-Camps gibt, in denen man lernt, wie Sexualität und Glaube miteinander vereinbar sind. Es gibt also Beispiele dafür, dass es geht, gläubig und schwul zugleich zu sein.
Und wie sieht es mit der Kirche aus?
Ich glaube, teilweise ist die Kirche schon so weit in Österreich. Hier in der Josefstadt haben wir Kirchen, die die Pride-Flag aufhängen - als Zeichen der Solidarität. Und die katholische Jugend Österreich war ja auch bei der Pride vertreten. Sie kamen auf uns zu und sagten: "Wir sind die katholische Jugend Österreich und wir wissen, wie die Kirche dasteht. Wir machen jetzt aber trotzdem mit". So einfach geht das. Es bewegt sich etwas.
Dem Balkan wird oft nachgesagt, auch aufgrund der starken patriarchalischen Familienverhältnisse, schwulenfeindlich zu sein. Wie ist dein Outing in der Familie angenommen worden?
An einem Punkt, mit 17, habe ich mir gedacht: "Ich kann das nicht mehr ignorieren. Ich kann nur so leben". Also habe ich es akzeptiert. Aber das war auch überhaupt nicht selbstverständlich. Vor meinem Outing hatte ich ganz viele Nächte geweint und nicht gewusst, was ich tun soll. Es war ein Kampf mit mir selbst. Bis ich es meinen Eltern gesagt habe, war ich 22. Mein Angebot lautete: „Wenn ihr Teil meines Lebens sein möchtet, dann solltet ihr mich auch als ganze Person kennen. Es bringt nichts, dass ihr eine Illusion von mir kennt“. Ich war innerlich darauf eingestellt. „Okay, wenn sie dein Angebot nicht annehmen, dann gehen wir halt getrennte Wege“. Ich war bereit, meine Eltern zu verlieren. Das war für mich schon ultrahart. Zum Glück haben sie mein Angebot angenommen.
Wie ist denn die allgemeine Haltung der Menschen vom Balkan gegenüber Homosexuellen tatsächlich?
Na ja, so freundlich wie in Österreich ist man nicht, das stimmt schon. Es gibt aber auch queere Jugos, so ist es ja nicht. Ich kenne queere Jugos, die sich einen queeren Freundeskreis suchen, sich neu vernetzen. Ich kenne in Wien sogar eine WG, nur mit queeren Jugos.
Wie lebt eigentlich die Gay-Szene am Balkan?
In Zagreb habe ich eine Zeit lang gelebt, dort auch viele Homosexuelle kennengelernt. Es gibt auch einige Gay-Clubs, die längst nicht mehr im Untergrund arbeiten. In Sarajevo dito. Man muss einfach nach Gay-friendly-Lokalen googeln und wird fündig. Denn queeres Reisen ist ja anders als das „normale“ Reisen. Man muss schauen, wo man relativ sicher ist.
Apropos sicher, wie sicher fühlt man sich bei der Pride in Wien?
Total sicher.
Und im Alltag?
Schwieriger. Da fühlt man sich viel eher unsicher. Ich habe auf Twitter und Instagram öfter von unangenehmen Situationen berichtet. Ich hatte einmal mein Date auf der Straße geküsst und musste mich von irgendwelchen Typen beschimpfen lassen. Eigentlich hast du gerade so einen romantischen Moment und erlebst dann so etwas.
Wie reagiert man darauf?
Unterschiedlich. Ich gehe meistens weg, aber es ist halt wirklich blöd. Auf der einen Seite denke ich mir: „Okay, soll ich jetzt irgendwas beweisen, stark sein?“ Auf der anderen Seite möchte ich Ihnen nicht diese Aufmerksamkeit geben. Es geht um mein Date. Es geht um mich. Da frage ich mich: „Was habt ihr da zu suchen?“
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