"Du musst Deutsch lernen!"; "Du musst österreichische Freunde haben!"; "Du musst dich hier integrieren!" Seit 24 Jahren muss sich Savo Ristić solche und ähnliche Forderungen, die an Fremde in Österreich gerichtet sind, anhören. Deshalb entschloss sich der 44-Jährige, der wegen des Studiums aus Kroatien nach Wien gekommen ist, ein Buch darüber zu schreiben.
"Sch*** auf ... Integration!" lautet dessen provokanter Name. Kein Wunder, steckt doch sehr viel Frust darin. Wie und warum sich dieser angestaut hat und wie man ihn loswerden könnte, erklärt Ristić, der heute ein Rehabilitationszentrum in Wien leitet, darin.
Sie sind kein klassisches Gastarbeiterkind?
Savo Ristić: Meine Eltern waren schon Gastarbeiter, die Anfang der 1970er Jahre hergekommen sind. Bereits in demselben Jahrzehnt haben sie aber entschieden, zurückzukehren. So wie man ursprünglich gedacht hat: Gastarbeiter sollen eine Zeit bleiben, um wieder in ihre Heimat zurück. Ich bin quasi an der österreichischen Luft entstanden. Mit mir in Mutters Bauch ging es für meine Eltern und zwei Geschwister zurück in die Heimat.
Sie kehrten 20 Jahre später als Student zurück. Seitdem beschäftigt Sie die Stellung des Gastarbeiters in der österreichischen Gesellschaft. Warum?
Ich bin mit diesem Thema aufgewachsen. Ich habe sehr viele Freunde, deren Eltern Gastarbeiter waren, und habe erlebt, wie diese Menschen ihr Leben lang schwer gearbeitet haben. Man hat sie hergeholt, weil man sie gebraucht hat. Es war ein Wirtschaftsboom - ohne die Kraft der Gastarbeiter hätte Österreich nie so prosperieren können.
Hatten davon nicht alle etwas?
Österreicherinnen selbst wurden verdrängt, aber nicht nach unten, sondern nach oben. Sie konnten auf einmal in die Büros wechseln bzw. bessere Jobs aufnehmen oder sich weiterbilden, nachdem die Migranten die schweren wie Reinigungs-, Pflege- oder Bauarbeiten übernommen hatten. Die Gastarbeiter haben hier auch ihre Gesundheit gelassen. Vielleicht sollte man ihnen nach 30 Jahren "Danke" dafür sagen, dass sie ihr Leben mit zehn, zwölf Stunden harter Arbeit am Tag aufgeopfert haben, statt ihnen schlechtes Deutsch vorzuwerfen. Keiner bedankt sich, keiner erkennt ihre Verdienste an und ihre Geschichte verschwindet.
Sie möchten am ehemaligen Südbahnhof ein Gastarbeiter-Denkmal errichten. Warum ein Denkmal?
Das Denkmal soll als ein Anker dienen, dass diese Geschichte nicht verloren geht. Den Südbahnhof gibt es ja nicht mehr, an seiner Stelle steht nun der Hauptbahnhof. Nichts erinnert mehr daran, dass das der Knotenpunkt für viele Gastarbeiter war. Es gibt keine ZeitzeugInnen mehr, kein Archiv, die Migrationsgeschichte wird nicht geschrieben. Geplant ist abgesehen vom Denkmal auch eine Bildungsstätte. Da ist die Volkshilfe mit ihrem ehrenamtlichen Präsidenten Michael Häupl federführend. Er fände es gut, wenn Schulklassen aus ganz Österreich zu Besuch kämen, um Fotos, Videos und Dokumente aus dieser Zeit zu sehen.
Warum hat es so lang gedauert, bis ein Gastarbeiter-Sohn derartiges beanspruchen konnte?
Es ist traurig, dass man diese Geschichte so lange vor sich hergeschoben hat. Oft gab es politische Gründe. Themen wie Migration, Integration, Gastarbeiter waren immer heikel. Dennoch gab es immer wieder ähnliche Initiativen, 2004 eine große Ausstellung Gastarbeiter zu dem Thema. Nun habe ich gemeinsam mit der Volkshilfe ein Konzept erstellt, uns mehrmals getroffen mit den Zuständigen in der Stadt Wien getroffen. Es ist ein großes Projekt, bei dem alle Zeichen auf Grün stehen.
Apropos grün: Auf einem grünem Zweig scheinen Sie mit der österreichischen Integrationspolitik nicht zu stehen. Was hat Sie dazu veranlasst, ein Buch mit dem Titel “Scheiß auf Integration” zu verfassen?
Ich lebe seit 24 Jahren in Österreich und habe einiges in Kauf genommen. Ich habe versucht, zu gefallen, mich anzupassen, gut mit Österreichern auszukommen. Es geschah auch irgendwie instinktiv, weil man Fuß fassen will. Meine Frau ist eine Österreicherin, die meisten meiner Freunde auch. Ich habe einen Verein gegründet, Kunst und Menschen, wo ich Ausstellungen und Theateraufführungen mit MigrantInnen und ÖsterreicherInnen organisiert habe. Ich habe tatsächlich sehr aktiv an meiner Integration gearbeitet. Eines Tages habe ich mich dann im Spiegel angeschaut und gefragt: "Bist du jetzt integriert, oder nicht?"
Sind Sie es?
Integration, dieses Theater, hat kein Ende. Ein Spiel, das du nicht gewinnen kannst. Es wird immer eine Schippe draufgelegt. Man ist immer in der Bringschuld, verrichtet Sisyphusarbeit. Ich wollte Integration verstehen, habe mich engagiert, mit Politikern diskutiert. Ich habe realisiert: Je mehr du integriert bist, umso schlimmer wirst du angegriffen, weil Migranten "unten" bleiben sollen. Sie sollen ja gar nicht diese Superjobs bekommen. Das heißt: integriert ja, aber bleib als Putzfrau, sprich super Deutsch, aber komm nicht auf die Idee, leitende Jobs zu übernehmen.
Unterstellen Sie dem System, dass es gar nicht interessiert sei, dass sich die Menschen hier gut integrieren?
Zugespitzt könnte man sagen, dass einigen Politiker ein Kastensystem lieber wäre, in dem man gar nicht aufsteigen kann. "Du bist gekommen, aber bleib bitte da und komm nicht drauf, weiter hinauf zu gehen, denn so störst du unseren Frieden", lautet etwa die Devise hierzulande.
Erklärt das aus Ihrer Sicht die langwierigen Einbürgerungsprozesse?
Absolut. Warum bekommt mein Sohn automatisch die Staatsbürgerschaft, obwohl er nichts geleistet in diesem Land? Nur, weil seine Mutter eine Österreicherin ist. Ich hingegen arbeite jahrelang hier, zahle meine Steuern und muss am Ende 1.500 bis 2.000 für die Staatsbürgerschaft zahlen. Es ist ungerecht. Die Möglichkeit der Einbürgerung wurde absichtlich eingeführt, weil sie wissen, dass sich das die meisten Bewerber, die ohnehin Geringverdiener sind, gar nicht leisten können. Das ist absichtliche Diskriminierung.
Können es in diesem Land nur Kämpfertypen wie Sie schaffen?
Es ist so ausgelegt, dass du als Ausländer 200 Prozent geben musst. Deswegen schreibe ich auch in meinem Buch einen Brief an ein Migrantenkind mit Tipps, wie es sein Bewusstsein stärken kann. Lese Bücher, kämpfe, geh nicht nur in die Opferrolle, sei aktiv, auch wenn das wehtut. Kommentiere auf Facebook, geniere dich nicht wegen deiner Grammatikfehler. Nach über 20 Jahre mache ich selbst viele Fehler, geniere mich aber nicht. Ich will meine Meinung sagen und nicht perfektes Deutsch.
Haben sich aber die diejenigen, die in der ersten oder zweiten Generation hergekommen sind, nicht auch etwas vorzuwerfen?
Viele haben sich so sehr angestrengt, den Einheimischen zu gefallen, dass sie sich ihrer Herkunft geschämt haben. Ihr Selbstbewusstsein ist dabei verloren gegangen. Deswegen sage ich: "Hört auf, euch zu integrieren. Das braucht ihr nicht!" Niemand kann dir vorschreiben, mit wem du deine Freundschaften pflegen sollst. Du musst nicht zehn österreichische Freunde haben. Wenn du sie hast, ist es okay, wenn es zehn aus deiner Community sind - auch gut. Das ist deine Entscheidung und es hat niemand ein Anrecht darauf, sich einzumischen.
Aus Ihrer Sicht steckt die Lösung des Integrationsproblems also im Loslösen von Zwängen?
Das Wort Integration ist an sich problematisch. Denn sobald man es erwähnt, hat man unsere Gesellschaft in zwei geteilt: diejenigen, die integriert sind und jene, die minderwertig sind, denen etwas fehlt. So werden Parallelstrukturen geschaffen. Wenn schon Integration gefordert wird, dann sollte das für alle gelten – unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Der Begriff Integration ist nur ein Klotz am Bein und ein Mittel für Parteien, um Wahlen zu gewinnen.
Soll man einfach als Migrant die österreichischen Bräuche annehmen, seine Kinder Franz Josef nennen und Schnitzel essen? Einfach das akzeptieren, was die Einheimischen bestimmen? Aus meiner Sicht ist eine Gesellschaft nichts Abgeschlossenes, eine Gesellschaft ist doch stets in einem Wandel soll.
Ist es denkbar, dass der österreichische Kanzler eines Tages ein -ić am Namensende heißt?
Kann ich mir im Moment schwer vorstellen. Leider. Ich möchte aber alle Migranten und Migrantinnen dazu ermutigen, daran zu glauben, dass es eines Tages möglich sein werde.
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