Wie „Big Brother“ Tito über seinen Jugo-Kindern wachte

Zwei Burschen und eine Frau betreten das Mausoleum mit Josip Broz Titos Grab
Der Mann, der nun seit 43 Jahren unter der Erde liegt, war für uns, in den 1980ern in Jugoslawien geborenen Kinder, omnipräsent.

Es fühlte sich an wie eine Privataudienz. Nur meine Frau, ich, unsere beiden Söhne und er - er allerdings ein paar Meter unter unseren Füßen. Den in die Tage gekommene Sicherheitsmann zählen wir nicht, er blieb in seinem Kämmerlein nebenan völlig unscheinbar, als wolle er dieses erstmalige Treffen ja nicht stören. Als würde er zwei trauernden Enkelkindern die nötige Ruhe geben, damit sie sich würdig von ihrem Opa verabschieden können.

Unser Besuch im "Haus der Blumen" in Belgrad, Josip Broz Titos ewiger Ruhestätte, fühlte sich auch tatsächlich so an, als würde man den längst fälligen Abschied von einem nahen Verwandten nehmen. "Es ist so, als würde sich hier der Kreis schließen", versuchte meine Frau nach dem Besuch des Mausoleums das komische Gefühl im Bauch zu definieren. 

Obwohl sie fünf, ich nur einen Monat nach Titos Tod auf die Welt kamen, wuchsen wir so auf, als wäre er noch unter den Lebenden. Und nicht nur das: Als wäre er immer noch der unangefochtene, auf Lebenszeit gewählte Präsident des Landes, in dem wir auf die Welt kamen und dessen blutiges Ende wir als Kinder erleben mussten. 

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Der Mann, der nun seit 43 Jahren unter der Erde liegt, war für uns, in den 1980ern in Jugoslawien geborenen Kinder, omnipräsent. Sein Porträt hing über der Schultafel jedes Klassenzimmers, in den Schulbüchern wimmelte es vor seinen Bildern (ob salutierend mit seinen tapferen Partisanen, beim Handshake mit Fidel Castro oder Cocktail schlürfend mit seiner Frau Jovanka), zumindest ein Platz in der Stadt enthielt seine Statue, zumindest eine der Straßen deines Wohnortes trug seinen Namen.

Josip Broz Tito, der "größte Sohn aller jugoslawischen Völker" lachte einen von den Geldscheinen, Magazinen, Litfaßsäulen, Kindergärten und Kinoplakaten an. Sätze wie "Ich schwöre bei Tito!" (Tita mi!) oder "Du bist Tito!" ("Tito si!" - Ein Ausdruck von Bewunderung bzw. höchster Anerkennung, Anm.) gehörten zu unserem Kinderjargon wie Zwiebel zu Ćevapi. Ob visuell oder auditiv: Du konntest ihm nicht entkommen. 

Auch daheim wachte Josip "Big Brother" Broz über mir. In meiner Spielecke im Wohnzimmer meiner Großeltern, bei denen ich aufwuchs, hing ein Bild von ihm. Der Opa war eben ein treuer Diener, ein Mitglied der allmächtigen Kommunistischen Partei Jugoslawiens. Bei solchen war es selbstverständlich, dass ein Porträt des großen Schlumpfes einen prominenten Platz in der Wohnung bekam. Ich mag Opa aber nicht unterstellen, dass er das Bild absichtlich über meiner Spielecke aufhing - es war lange vor meiner Geburt da.        

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Als Opa vor drei Jahren starb, erhielt ich die undankbare Aufgabe, die Wohnung zu entrümpeln. Also saß ich alleine dort, betrachtete das Porträt Titos und stellte fest: "Verdammt, ich bin mit dem Porträt eines nicht verwandten Mannes über dem Kopf aufgewachsen!" Dessen war ich mir bis dato nicht bewusst. Ist das nicht seltsam? Wohl schon. Allerdings auch ein Zeichen, dass Titos Propagandamaschinerie alles richtig gemacht hat und ein Best-Practice-Beispiel darstellt, wie man einen Personenkult aufbaut: Tito war für sehr, sehr viele einer von uns.  

Erst kürzlich, mit 43 Jahren auf dem Buckel und ebenso viele Jahre nach seinem Tod, standen also meine Frau und ich, die beide im Alter von sieben Tito den ewigen Treueschwur leisten mussten, mit unseren Kindern an seinem Grabe. Unser Bild von ihm hat sich inzwischen verändert, sein früherer Heldenstatus hat in unseren Augen ein paar Risse bekommen. Verblasst ist die Erinnerung, jedoch nicht ganz erloschen dieses Gefühl, mit ihm irgendwie verwandt zu sein. Vielleicht schließen sich manche Kreise doch nie. 

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