Es ist verdammt kompliziert: Das "Jugo"-Einmaleins

129th anniversary of Josip Broz Tito's birth in Belgrade
Tausend Mal erklärt, Tausend Mal wieder gefragt: Ein Versuch, die Verhältnisse in einem Land, das es nicht mehr gibt, zu erklären.

Liebe Freunde, Bekannte, Kollegen und Menschen, die mich erst kennengelernt haben, 

ich bin es wirklich leid! Ich bin am Ende mit meiner Kraft, wenn es darum geht, wieder einmal zu erklären, wie meine Sprache heißt, ob ich einen Serben, Kroaten oder Slowenen verstehen kann oder warum es in Bosnien Menschen gibt, die sich Kroaten oder Serben nennen bzw. einen anderen Gott anbeten. 

Es ist an der Zeit, dass ich das folgende Schriftstück zusammenfasse. Ich mag mir nicht mehr den Mund fusselig reden. Ich werde es ausdrucken und entweder in Form eines Posters über meinem Arbeitsplatz aufhängen oder es immer mit mir in der Hosentasche führen und bei Bedarf dem Neugierigen vorweisen. Kommentarlos. 

ALSO BITTE: 

Was alles war Jugoslawien bzw. ist heute Ex-Jugoslawien?

Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (abgekürzt SFR Jugoslawien oder SFRJ) bestand aus sechs Teilrepubliken: Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro und Mazedonien (aufgezählt vom Westen gen Osten) sowie den beiden zu Serbien gehörenden autonomen Provinzen Kosovo sowie Vojvodina. Inzwischen ist aber auch der Kosovo ein eigenständiger Staat, hat sich also von Serbien losgesagt. 

Wer versteht wen?

Aufgrund der ewig andauernden Konflikte, Spannungen und Missverständnisse könnten man meinen, die Menschen aus den ehemaligen Teilrepubliken würden nicht dieselbe Sprache sprechen. Dem ist aber nicht so - zumindest teilweise. Die Serben, die Kroaten, die Bosnier und die Montenegriner sprechen (fast) dieselbe Sprache. Diese hieß einst Serbokroatisch, nach dem Zerfall Jugoslawiens wurde sie - wie übrigens alles andere auch - umbenannt. Die Serben sprechen nun Serbisch, die Kroaten Kroatisch, die Bosnier Bosnisch. Wichtig: Trotz anderslautender Bezeichnungen versteht man sich blendend! Die genannten Sprachen unterscheiden sich wie etwa das deutsche und das österreichische Deutsch. 

Übrigens, Ihnen wird nicht entgangen sein, dass in Österreich diverse Broschüren in BKS im Umlauf sind. BKS ist (nur in Österreich!) die Abkürzung für Bosnisch/Kroatisch/Serbisch. 

Es ist verdammt kompliziert: Das "Jugo"-Einmaleins

"Das Rauchen tötet" auf bosnischen Zigaretten: Drei Mal in derselben Sprache für drei verschiedene Volksgruppen

Wer versteht wen nicht?

Die Serben, die Kroaten, die Bosnier und die Montenegriner verstehen die Slowenen, die Nordmazedonier sowie die Kosovaren so gut wie gar nicht bzw. nur ansatzweise. Diese Völker haben eine eigene Sprache. Es ist allerdings so, dass vor allem die älteren Bewohner dieser Länder Serbokroatisch können. Sie haben es einst in der Schule lernen müssen, diese Sprache war für sie ein Pflichtfach. 

Wer schreibt wie?

Der Tourist darf sich nicht über die "komische" Schrift in Serbien wundern. In der größten Teilrepublik Ex-Jugoslawiens wird die kyrillische Schrift im Alltag verwendet. Auch die Mazedonier - an dieser Stelle muss ich mich für eine alte Angewohnheit entschuldigen, denn Mazedonien heißt inzwischen Nordmazedonien - verwenden die Schrift, die sehr der in Russland gebräuchlichen ähnelt. Ach ja, auch die bosnischen Serben schreiben gerne Kyrillisch. Bosnische Serben?! Ja, sie haben richtig gehört. Abgesehen von Serben gibt es auch bosnische Serben, womit wir beim wohl kompliziertesten Land in dieser Region angelangt sind. 

SERBIA-KOSOVO-RUSSIA-US

Ein Beispiel für die kyrillische Schrift: Der Spruch "Kosovo ist Serbien" ist in Serbien besonders beliebt. Die ehemalige Provinz hat sich 2008 unabhängig erklärt, Serbien hat bis heute nicht anerkannt. 

Was ist eigentlich in Bosnien los?

Eines vorweg: Bosnien heißt eigentlich Bosnien und Herzegowina. Nur aus Platzgründen kürzen etwa die Medien den langen Landesnamen ab. Seit dem Kriegsende Ende 1995 ist dieses Land in zwei sogenannte Entitäten aufgeteilt: Föderation Bosnien und Herzegowina und Republika Srpska. In der Föderation, die  zusätzlich in zehn Kantone unterteilt ist, leben die Bosniaken (Moslems), die bosnischen Kroaten sowie eine Minderheit bosnischer Serben. In Republika Srpska leben die bosnischen Serben, die Bosniaken und die bosnischen Kroaten stellen hier die Minderheiten dar. 

Warum ausgerechnet die Bosniaken und die bosnischen Kroaten in einer Föderation leben? In dem drei Jahre lang andauernden Krieg waren diese zwei ethnischen Gruppen Verbündete. Sie fanden allerdings nicht gleich zu Kriegsbeginn zueinander, sondern bekriegten sich 20 Monate lang in einem Konflikt, der oft als "Krieg im Kriege" bezeichnet wird. Dieser spielte sich in Zentralbosnien ab. 

Die Frage der Fragen

Wem das Ganze nicht kompliziert genug ist, hier kommt die Würze. Die wohl, zumindest mir, meist gestellte Frage lautet: "Was sind jetzt eigentlich diese Bosniaken bzw. bosnischen Serben bzw. Kroaten?" Während die Bosniaken den Islam als Religion haben und sich auch bosnische Moslems nennen, sind die bosnischen Kroaten römisch-katholisch, während die bosnischen Serben zu orthodoxen Christen gehören. Während die Bosniaken nur ein Mutterland haben (Bosnien), geben viele aus den anderen zwei ethnischen Gruppen an, zwei zu haben - Bosnien und Serbien bzw. Bosnien und Kroatien.  

Nochmals: Die drei großen ethnischen Gruppen sprechen dieselbe Sprache und können sich auch vom Äußeren her nicht unterscheiden. Anders sind allerdings die Namen.

Während die Bosniaken oft typische islamische Vornamen wie Muhamed, Emir, Hasan oder Fatima tragen, heißen die Serben bzw. Kroaten gleich: Zoran, Dragan, Slavica oder Ljubica. Allerdings gibt es auch hier Vornamen, die nur Serben (Jovan, Aleksandra) bzw. Kroaten (Hrvoje, Ružica) tragen. 

Nach Familiennamen lassen sich die Menschen in Bosnien recht schwer unterscheiden. Ein Mensch mit dem Familiennamen Filipović kann sowohl den Vornamen Goran als auch Mustafa oder Ilija tragen. Ausnahmen bilden die Familiennamen mit bestimmten Vorsilben (Hadži-), die doch nur den Bosniaken zugewiesen sein können. 

Übrigens, der Verfasser dieser Zeilen stammt aus einer sogenannten "Misch-Ehe". Doch darüber schreibe ich ein anderes Mal. Mir wird's wieder zu viel ...

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