Staatschefs der Westbalkan-Länder werfen EU Heuchelei vor

FILE PHOTO: Balkan presidents attend the annual Brdo-Brijuni Process summit in Slovenia
Bei einem Gipfeltreffen in Slowenien fordern sie bis Jahresende den Kandidatenstatus für Bosnien und Visafreiheit für alle Länder.

Die Staatschefs der Westbalkanländer haben am Montag bei ihrem Treffen im slowenischen Brdo bei Kranj zu einer rascheren EU-Annäherung der Region aufgerufen. Sie appellierten auf die Europäische Union, bis Jahresende Bosnien und Herzegowina den Beitrittskandidatenstatus zu erteilen und die Visafreiheit für alle Länder der Region einzuführen, sagte der slowenische Präsident Borut Pahor bei einer Pressekonferenz nach dem Treffen.

In den gemeinsamen Beschlüssen hoben die Staatsoberhäupter erneut hervor, dass die Erweiterung "der unmittelbarste Beitrag" zur Erhaltung des Friedens und Stabilität in der Region sei. "Die Erweiterung ist mehr als je eine geopolitische Frage", fasste Pahor die Beschlüsse zusammen. Die Staatschefs verpflichteten sich auch zum Dialog "als dem einzigen Weg zur Überwindung der gegenseitigen Unterschiede", sagte der slowenische Präsident. Die EU wurde außerdem aufgerufen, den westlichen Balkanstaaten bei der Abfederung der Auswirkungen der Wirtschafts- und Energiekrise beizustehen.

"Gute Übung im Dialog"

Der Co-Vorsitzende des Treffens, Kroatiens Staatspräsident Zoran Milanović, betonte, dass diese Beschlüsse der "kleinste gemeinsame Nenner" gewesen seien. Die beiden Präsidenten räumten ein, dass sich bei den Vorbereitungen für den Gipfel große Differenzen zwischen einzelnen Staaten gezeigt hätten. Bei dem Treffen habe man dann diese beiseitegelassen und sich laut Pahor auf die Gemeinsamkeiten fokussiert. "Das Treffen endete erfolgreich, mit konstruktiven Gesprächen", resümierte er und fügte hinzu, dass allein die Tatsache, die Staatschefs aller Westbalkanländer an einem Tisch zusammenzubringen, von großer Bedeutung sei.

Auch Milanović zeigte sich zufrieden: "In dieser schwierigen Situation, in der sich die Welt, Europa und auch der Westbalkan befinden, war das Treffen eine gute Übung im Dialog", sagte der kroatische Präsident.

"Die Menschen in Serbien können diese Heuchelei nicht akzeptieren"

Der serbische Präsident Aleksandar Vućić bezeichnete die Atmosphäre bei dem Treffen trotz vieler Unterschiede und einer schwierigeren Situation besser als im vergangenen Jahr. Vor Journalisten sprach er davon, dass die serbische Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit gegen den EU-Beitritt sei. Er nannte Kosovo als einen der Hauptgründe für eine solche Stimmung, berichtete die Nachrichtenagentur STA. Derzeit würden alle "den Mund von der territorialen Integrität der Ukraine voll nehmen", während die territoriale Integrität Serbiens "überfahren" worden sei. "Die Menschen in Serbien können diese Heuchelei nicht akzeptieren", sagte Vućić und fügte hinzu, dass hoffentlich die Menschen in der Zukunft in der Lage sein werden, das Interesse des Landes zu erkennen und es von Emotionen zu trennen.

Kritisch an die Adresse der EU zeigte sich auch Milanović. Ein Teil der EU-Länder sei dem EU-Kandidatenstatus für Bosnien und der Visaliberalisierung nicht zugeneigt und könnte dies obstruieren, meinte er. Der EU-Gipfel im Juni, bei dem der Ukraine und Moldau der Beitrittsstatus verliehen wurde, nicht aber auch Bosnien-Herzegowina, ist laut Milanović "ein guter Indikator" für die Position der EU. Er zeigte sich empört darüber, dass Bosnien damals leer ausging.

Keine Abwesenden

An dem Gipfeltreffen in Brdo nahmen die Staatschefs aller Westbalkanländer teil: Neben Vučić auch Stevo Pendarovski (Nordmazedonien), Milo Djukanović (Montenegro), Bajram Begaj (Albanien), Vjosa Osmani-Sadriu (Kosovo) sowie alle drei Vertreter der Präsidentschaft von Bosnien-Herzegowina (Šefik Džaferović, Željko Komšić und Milorad Dodik).

Slowenien und Kroatien haben die regionale Initiative im Jahr 2010 gegründet, um die Staaten des Westbalkans bei ihrer EU-Annäherung zu unterstützen. Seit 2013 gibt es jährliche informelle Treffen auf der Ebene der Staatspräsidenten. Für den slowenischen Gastgeber, dessen Amtszeit im Dezember endet, war es das letzte Gipfeltreffen.

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