Nehammer bei Westbalkan-Gipfel: Gleiche Regeln für alle für EU-Beitritt

Karl Nehammer
"Wir dürfen auch nicht mit zweierlei Maß messen, was den EU-Beitrittsprozess anbelangt", sagt der Bundeskanzler.

Im Rahmen des EU-Westbalkan-Gipfels hat Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) für den EU-Beitrittsprozess "gleiche Regeln für alle" gefordert. "Das ist ein Gebot der Fairness und eine Frage der Glaubwürdigkeit", sagte Nehammer (ÖVP) laut Mitteilung am Donnerstag in Brüssel. Sein deutscher Amtskollege Olaf Scholz pochte ebenfalls auf Fortschritte im EU-Beitrittsprozess der sechs Westbalkan-Staaten. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić zeigte sich zuversichtlich.

Am Donnerstag will der EU-Gipfel der Ukraine und Moldau den EU-Kandidatenstatus verleihen. Das Rekordtempo der beiden Länder im EU-Annäherungsprozess wirft ein Licht auf die schleppende Erweiterung in Richtung Westbalkan.

"Wir dürfen auch nicht mit zweierlei Maß messen, was den EU-Beitrittsprozess anbelangt", erklärte Nehammer in seiner Stellungnahme. Angesichts der engen Beziehungen zu Österreich sei "der EU-Annäherungsprozess für die Länder des Westbalkans in unserem ureigensten Interesse". Er werde sich "mit Nachdruck" weiterhin dafür einsetzen. Zuletzt forderte Österreich konkret, dass auch Bosnien-Herzegowina der Status eines Beitrittskandidatenlandes erteilt wird, nicht nur der Ukraine. Und auch Slowenien will in Brüssel vorschlagen, dass Bosnien offiziell der Status eines EU-Beitrittskandidaten erteilt wird. Wie die slowenische Nachrichtenagentur STA meldet, wird Ministerpräsident Robert Golob bei seinem ersten Gipfelauftritt einen entsprechenden Vorschlag machen.

Visa-Liberalisierung für den Kosovo gefordert

Im Vorfeld des offiziellen EU-Gipfels trafen die 27 EU-Staats- und Regierungschefs mit ihren Amtskollegen aus den sechs Westbalkanstaaten - Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Kosovo - zusammen. Nehammer wird sich am Rande mit den Präsidenten des Kosovos, von Bosnien-Herzegowina, von Montenegro sowie von Serbien zu bilateralen Gesprächen treffen.

Bei der Konferenz wird es auch um die Frage gehen, ob die Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien beginnen können. Dabei blockiert vor allem Bulgarien Fortschritte. Außerdem geht es um die Visa-Liberalisierung für den Kosovo, das von fünf EU-Staaten immer noch nicht als unabhängig anerkannt wird.

Die kosovarische Präsidentin Vjosa Osmani-Sadriu drängte vor dem EU-Gipfel auf eine Visa-Liberalisierung für ihr Land. Zudem forderte sie, dass die Unterstützung von EU-Sanktionen gegen Russland zur Bedingung für die weitere Annäherung gemacht wird. Dies ist etwa bei Serbien nicht der Fall, das Kosovo weiter als abtrünnige Provinz ansieht.

Osmani-Sadriu betonte, dass es für ihr Land nur die Option einer Aufnahme in die EU gebe. Es sei unmöglich, sich sowohl Richtung EU und Richtung Moskau orientieren zu wollen, fügte sie ebenfalls in Anspielung auf Serbien hinzu. Serbien hat sich den EU-Sanktionen gegen Moskau wegen des Angriffs auf die Ukraine nicht angeschlossen. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hatte die Regierung in Belgrad wiederholt ermahnt, dass von EU-Beitrittskandidaten erwartet werde, auch die EU-Außenpolitik zu teilen.

Vučić will nicht von einem Boykott sprechen

Darauf angesprochen erklärte der serbische Präsident Aleksandar Vučić, sein Land habe im Rahmen einer Abstimmung in der UNO-Vollversammlung die Aggression gegen die Ukraine verurteilt. "Wir unterstützen die territoriale Integrität der Ukraine, wir unterstützen die territoriale Integrität Serbiens, was manche EU-Staaten nicht tun", sagte Vučić in Anspielung auf den Kosovo-Konflikt.

Serbien, Nordmazedonien und Albanien hatten in den vergangenen Tagen erwägt, nicht an dem gemeinsamen Gipfel teilzunehmen. Vučić will aber nicht von einem Boykott sprechen. "Wir haben das Thema Nordmazedonien und Bulgarien besprochen, das war der Grund", sagte er. "Aber wir sind hier, um unsere europäische Zukunft zu besprechen." Zudem zeigte Vučić sich zuversichtlich, dass es "gute Schlussfolgerungen für den Westbalkan" geben werde. "Wir sind aber auf jeden Fall zutiefst dankbar für die Investitionen der Europäischen Union in unsere Länder", so der serbische Präsident.

Scholz pochte darauf, dass die sechs Staaten EU-Mitglieder werden dürfen. "Wir fühlen uns verantwortlich dafür, dass die Länder Erfolg haben mit ihren Bemühungen", sagte er. Die Länder müssten endlich das Gefühl bekommen, dass ihre Reformanstrengungen belohnt würden.

"Furchterregende Show der Impotenz"

Der albanische Ministerpräsident Edi Rama erhob in Brüssel schwere Vorwürfe gegen Bulgarien. "Es ist eine Schande, dass ein NATO-Land zwei andere NATO-Länder als Geisel hält", sagte er zur bulgarischen Blockade. Die Regierung in Sofia forderte bisher, Nordmazedonien müsse zuvor die bulgarischen Wurzeln in seiner Sprache und Geschichte und Rechte der bulgarischen Minderheit anerkennen. Die anderen 26 EU-Staaten zeigten eine "furchterregende Show der Impotenz", kritisierte Rama. Er erinnerte daran, dass etwa Nordmazedonien schon vor fast 17 Jahren den EU-Beitrittsstatus erhalten habe. Zugleich dämpfte Rama Hoffnungen auf ein positives Votum beim Gipfel.

Der bulgarische Premier Kiril Petkow machte bei seinem Eintreffen im Ratsgebäude klar, dass er das Veto gegen Nordmazedonien aufrechterhalten werde. Ihm "persönlich" gefalle der Kompromissvorschlag der französischen Ratspräsidentschaft zwar, doch müsse das bulgarische Parlament darüber befinden, sagte Petkow nach einem Bericht des Inforportals Euractiv. Es gehe nämlich um eine Entscheidung, die "nachhaltig" und unabhängig von der jeweiligen Regierungsmehrheit sein solle, argumentierte Petkow, dessen Kabinett am gestrigen Mittwoch vom Parlament in Sofia gestürzt worden war.

Kommentare