Westbalkan? Leider im europäischen Warteraum vergessen
Es ist keine drei Monate her, da war eine nordeuropäische Regierungschefin in einem Hintergrundgespräch, aus dem nicht zitiert werden durfte, zu hören: Völliger Wahnsinn sei das, der Ukraine einen EU-Beitritt anzubieten. Alle anderen europäischen Regierungen waren gleichfalls verärgert oder zumindest sehr überrascht von der überfallsartigen Handreichung der EU-Kommissionschefin Von der Leyen an die Führung in Kiew.
Seit Donnerstagabend ist es nun amtlich: Sowohl die Ukraine als auch Moldawien sind EU-Kandidatenländer. Kein EU-Staats- oder -Regierungschef wollte beim Gipfel in Brüssel den Eindruck erwecken, man versage der sich verzweifelt wehrenden Ukraine die Unterstützung. Schließlich fiel die Zustimmung leicht, zumal doch alle wussten: Ein Ja zum Kandidatenstatus der Ukraine hat nur Symbolkraft – und sonst herzlich wenig Konsequenzen.
Wie wenig, das wissen die vier Westbalkanstaaten, die schon seit Jahren auf der Wartebank im Vorraum der EU sitzen. Serbien und Montenegro verhandeln zwar schon mit Brüssel. Aber die Gespräche verlaufen so quälend langsam, dass ihr erfolgreicher Abschluss so fern scheint wie der Sankt-Nimmerleins-Tag.
Nordmazedonien und Albanien durften bisher noch nicht einmal verhandeln. Erst jetzt, nachdem sich Bulgariens Parlament am Freitag endlich von seiner unsinnigen Blockade gegenüber dem Nachbarn Nordmazedonien verabschiedet hat, werden auch Tirana und Skopje Verhandlungen mit Brüssel aufnehmen. Vermutliches Ende der Gespräche: derselbe Sankt-Nimmerleins-Tag.
Und dann gibt es noch die zwei europäischen Stiefkinder Bosnien und Kosovo. Weil im Fall Bosnien der Staat dysfunktional ist und Kosovo im Streit mit Serbien liegt, sind beider Chancen winzig, sich auch nur vom Hinterhof in den Vorhof der EU zu bewegen.
Aber halt!
Wenn die EU bei der Ukraine all ihre strengen Beitrittsansprüche über Bord wirft, warum dann nicht auch für die Westbalkanstaaten?
Kanzler Nehammer hat recht, wenn er beklagt, dass in der EU „mit zweierlei Maß“ gemessen werde. So sehr warf er sich für die Balkanstaaten in die Bresche, dass er anfangs mit einem Junktim drohte: Ja zur Ukraine nur, wenn auch Bosnien Kandidatenstatus erhält.
Der außenpolitisch noch nicht ganz trittfeste Kanzler musste Lehrgeld geben, und sein angedrohtes Junktim war beim Gipfel in Brüssel vom Tisch. Druck für den Westbalkan zu machen, ist ihm aber geglückt. Dass da im Südosten Europas ein paar Staaten darauf warten, ernst genommen zu werden, ist jetzt wieder Thema.
Die EU müsste nun aber noch klären:
Hat die Idee, wieder Staaten aufzunehmen, wirklich ein Ziel?
Oder ist der Erweiterungsprozess – und so sieht es derzeit aus – nur ein ewiges Hinhalten zu armer, zu komplizierter und wenig erwünschter Beitrittswerber? Sprich: Makulatur?
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