Heute ist Internationaler Tag der Muttersprache. Hätten wir Sie gefragt, ob wir dieses Interview in Bosnisch führen können, hätten Sie auch Ja gesagt oder hätten Sie gezögert?
Alma Zadić: Ich hätte auch Ja gesagt. Ich würde vielleicht nicht so souverän klingen, wie auf Deutsch. Ich muss mich einfach mehr konzentrieren, um genauso schön auf Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (BKS) zu sprechen.
Welche Sprache wird im Hause Zadić gesprochen?
Bei meinen Eltern wird BKS gesprochen. Mein Partner und ich sprechen einen Mischmasch.
Und mit Ihrem Sohn?
Wir haben es uns aufgeteilt. Ich spreche BKS, mein Partner spricht Deutsch mit dem Kleinen. Das ist mir schon wichtig, dass der Kleine auch zweisprachig aufwächst und so mit der Sprache schon eine gewisse Vielfalt mitbekommt.
Warum werden in Österreich BKS-Kenntnisse immer noch nicht so geschätzt wie Kenntnisse von "elitären" Sprachen wie Französisch, Spanisch etc.?
Das ist tatsächlich ein Problem, auf das man immer wieder hinweisen muss. Zum einen ist es in einem Land, in dem der Großteil der Migrant:innen eine gewisse Sprache spricht, immer so, dass diese Sprache als "nicht elitär" angesehen werden. In den USA ist das beispielsweise mit Spanisch der Fall. Ich merke aber, dass bei der Generation, die in den 90er Jahren hergekommen ist, nach wie vor ein gewisses Schamgefühl da ist, BKS in der Öffentlichkeit zu sprechen. Und das überträgt sich dann auf die Kinder weiter.
Wie kann dieser "Teufelskreis" unterbrochen werden?
Mein Appell lautet: Mutig und stolz darauf sein, dass man eine zusätzliche Sprache spricht und diesen Reichtum an die Kinder weitergeben. Eine zusätzliche Sprache ist auch ein Reichtum - ob Französisch, Englisch, BKS oder Türkisch. Jede Sprache eröffnet einem eine neue Welt. Das ist einfach schön.
Letztens sagte ein Arbeitskollege zu mir, er wäre gern ein "Jugo". Haben Sie schon mal so einen Satz gehört?
Spannend (lacht). In meiner Generation ist es noch nicht angekommen. Das Bild von den Ex-Jugoslaw:innen hat sich aber definitiv verändert. Viele haben hier Fuß gefasst, sind hier aufgewachsen. Österreich ist Teil ihrer Sozialisierung. Viele haben auch diverse Jobs, sei es in der Politik oder im Journalismus. Die Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien werden einfach sichtbarer.
In der österreichischen Politik allerdings nicht. Abgesehen von Ihnen ist aus dieser doch sehr großen Community weit und breit niemand zu finden. Warum eigentlich nicht?
Als ich ins Amt gekommen, war das ein Riesenthema: die erste Ministerin mit Migrationshintergrund. "Damals geflüchtet, jetzt Ministerin", hieß es damals. Natürlich kam damit einhergehend auch sehr viel Hass und Hetze. Etwa 28.000 strafrechtlich relevante Kommentare wurden registriert. Gleichzeitig gab es aber auch sehr, sehr viel positiven Rückhalt.
Von wem?
Wahnsinnig viele Menschen, die aufgrund dieser Kommentare aufgestanden sind und gesagt haben: "Nein, das ist unsere Ministerin, sie gehört zu Österreich, wir stehen hinter der Ministerin". Das hat mir gezeigt, dass ein Großteil der österreichischen Gesellschaft das sehr wohl als normal empfindet, dass eine Person, die im In- und Ausland studiert und gearbeitet hat, Rechtsanwältin ist, auch Ministerin sein kann - unabhängig von ihrer Migrationsbiografie. Ich hoffe wirklich sehr, dass für diejenigen, die nachkommen, das kein Thema mehr sein wird, welche Nach- oder Vornamen man hat.
Haben Sie das Gefühl, dass weitere Alma Zadićs folgen könnten?
Das tue ich tatsächlich. Erst kürzlich war ich an meiner alten Schule in Favoriten und bekam das Gefühl, dass gerade Jugendliche mit Migrationshintergrund spüren: "Hey, es ist möglich in Österreich auch Ministerin zu werden, mit meiner Biografie". Das sagen mir auch sehr viele Jugendliche. Es ist schön, das gibt mir Kraft und Hoffnung. Ich freue mich natürlich, wenn ich sie motivieren kann.
Ministerin zu sein hat jedoch auch seine Schattenseiten. Wie gefährlich ist Ihr Job eigentlich?
Meine Funktion ist in allererster Linie ein Privileg. Das Privileg, die Möglichkeit zu haben, das Land zu gestalten und hier für ein gerechtes Miteinander Maßnahmen und Gesetze zu setzen. Das ist der Grund, warum ich das Amt angetreten habe. Da spielt halt die Gefährlichkeit keine Rolle. Aber ja, ich habe nach wie vor Personenschutz.
Zuletzt hat Gottfried Waldhäusl mit seiner Aussage im TV für viel Wirbel gesorgt. Kamen da Erinnerungen an ähnliche persönliche Erfahrungen hoch?
Sehr stark! Es kamen natürlich die Erinnerungen hoch an die Zeit in den 1990ern und Situationen, in denen man mir das Recht abgesprochen hat, dazuzugehören. Ich erzähle immer die Geschichte, als ich vom zehnten Bezirk, in dem ich aufgewachsen bin, zu einer Sporthalle am anderen Stadtende finden wollte. Dort fragte ich den Straßenbahnfahrer nach dem Weg. Nachdem ich seiner Ansicht nach offensichtlich nicht wie eine Ur-Österreicherin ausgeschaut hatte, antwortete er: "Tschuschen fahren nirgends hin". Ein Satz, der eine 13-Jährige in ihrer Selbstfindungsphase, die alles tut, um dazuzugehören, um ein Teil der Gesellschaft zu sein, schon sehr trifft.
Nein, denn jetzt weiß ich, dass Menschen wie etwa Waldhäusl keine Ahnung von Wien und seiner Geschichte haben. Seine Aussage beweist, dass er Wien ja nur aus Zeitungen kennt. Wien ist lebenswert, auch wegen der Menschen, die hier wohnen. Das sind auch diese Schüler:innen, die hier aufgewachsen sind, die Deutsch sprechen und einfach alles dafür tun, um dazuzugehören und ein Teil unserer Gesellschaft zu sein.
Stimmt die These, dass Menschen mit Migrationshintergrund doppelten Aufwand betreiben müssen, um dieselbe Anerkennung bekommen zu können wie Einheimische?
Leider, stimmt das nach wie vor. Es gab auch sehr viele Momente in meinem Leben, die letzten Endes zu dem geführt haben, wo ich jetzt bin. Und ja, gerade im Bereich Bildung und Ausbildung waren viele Stationen dabei, die mir den Weg geebnet haben. Ich finde es wichtig in sich und seine Bildung zu investieren ohne dieser wäre ich heute nicht hier. Ich weiß aber leider auch, dass in Österreich Bildung vererbt ist und es nicht so einfach ist für Menschen, die aus bildungsfernen Haushalten kommen oder vielleicht auch nach Österreich zugewandert sind. Und da ist natürlich auch die Politik auf vielerlei Ebenen gefordert.
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