Schreiben, essen, Leut’ eingraben
Dienstag ist Schnitzeltag beim Schlembach in Sommerein. Warum das wichtig ist? Der Schlembach ist das für den Leichenschmaus zuständige Gasthaus hier. Da kann man, muss aber natürlich nicht Schnitzel essen. Der Wirt ist jedenfalls der Onkel des Autors und Totengräbers Mario Schlembach, von dem hier die Rede sein wird.
Nebenberuflich Totengräber: Ja, das geht sich aus. Sommerein, Bezirk Bruck an der Leitha, hat 1.913 Einwohner, da stirbt nicht dauernd wer. Der letzte, den Schlembach begraben hat, war vor ein paar Wochen der Architekt Friedrich Kurrent, der hier im Ort eines seiner wenigen Bauwerke realisiert hat. Die Ausstellungshalle für seine Frau, die 1997 verstorbene Bildhauerin Maria Biljan-Bilger. Sehr sehenswert.
Nochmals zum Schlembach-Schnitzel. Es ist tadellos. Zum Dessert empfiehlt sich die Punschschnitte, hausgemacht von Mutter Schlembach. Keine unwichtigen Details, denn Essen spielt eine große Rolle in Mario Schlembachs soeben erschienenem dritten Roman.
„Heute Graben“ ist das Tagebuch eines Schriftstellers und Totengräbers, der einer verlorenen Liebe nachtrauert, eine neue sucht und Frauen in alphabetischer Reihenfolge trifft. Sie werden alle mit Großbuchstaben abgekürzt, an die sagenhafte A. kommt keine heran. Außerdem hat der Icherzähler eine schwere Lungenkrankheit. Sarkoidose, dieselbe, die Thomas Bernhard hatte. Also fragt er bei Bernhards Halbbruder nach, welchen Arzt der empfehlen kann. Dazwischen isst er tüchtig Hausmannskost. Es geht, kann man sagen, um die ersten und letzten Dinge: Leben, Essen, Sterben. Dazwischen: Daten. Der Schreibstil: lakonisch, mit leisem Humor. Stellenweise rührend. All das autobiografisch zu nennen, wäre nicht falsch. Auch die Krankheit ist echt, ihr Auf und Ab hat die Dramaturgie für den Roman vorgegeben.
Mario Schlembach, geboren 1985 in Hainburg an der Donau, aufgewachsen als Sohn eines Bauern und Totengräbers, hat vom Vater das Gewerbe gelernt und übernommen. Es heißt offiziell „Erdbeweger“, das hat praktischerweise einen dramatischen Touch, der Literaturagenten gefällt. Früher wollte Schlembach Schauspieler werden, später Hollywood-Regisseur. Er hat dann eben Filmwissenschaft studiert. Und Literatur. Natürlich würde er das neue Buch gerne verfilmen, es liest sich ja auch ein bisschen wie ein Drehbuch.
Das Literaturstudium hat Schlembach zu Thomas Bernhard geführt, über den er dann gleich ein Buch geschrieben hat. (Auf einer alten Schreibmaschine, gefunden am Flohmarkt in Schwechat, er beschreibt heute Postkarten damit.) Zwecks Recherche nahm Schlembach bei Bernhards berühmt-berüchtigtem ehemaligen Nachbarn Karl Ignaz Hennetmair Quartier, bevor ihn dieser rauswarf, weil er dachte, Schlembach sei ein Spion der Bernhard-Stiftung, mit der der schlaue Bauer und Makler auf Kriegsfuß stand.
Zurück nach Sommerein. Hier lebt Schlembach heute noch auf dem Hof der Eltern. Den alten Soldatenfriedhof hinter dem Haus wird er sich auch noch künstlerisch vornehmen.
Schlembach sieht jünger aus, als er ist. Das Cortison von der Behandlung hat ihn im Gesicht fülliger gemacht. Er redet und schreibt viel von der Angst, wieder dick zu werden, wie er als Bub war. Er spricht leise in freundlich- sanftem Niederösterreichisch, aber man kann sich vorstellen, dass der Mann zäh ist. Mit dem Bewusstsein von der Endlichkeit des Lebens aufzuwachsen, ist eigentlich ganz gut für einen Schriftsteller. „Ich hab nie darüber nachgedacht, was der Papa da am Friedhof gemacht hat, das war normal für mich. Das Graben hat mich aber schon fasziniert.“ Schreiben ist ja auch irgendwie Graben.
Sollte sich langsam zaghafte Berühmtheit einstellen: Schlembach wäre der erste hier. Seine Freunde sind noch die von früher, sein engster Freund ist Polizist. Das Interesse für Literatur lag ja von Haus aus nicht auf der Hand. Auf einem Bauernhof gibt es anderes zu tun. Erst die langen Zugfahrten in die Schule brachten ihn zum Lesen. Zur Entdeckung, dass es eine andere Welt als die eigene gibt.
Der erste Roman nach dem Bernhard-Buch, „Nebel“, handelte von der Totengräberei. Formal hatte ihn der asketische Stil des Existenzialisten Albert Camus inspiriert, aber die Journalisten wollten nicht über seinen Stil, sondern über das Eingraben der Toten reden.
Apropos. Wie wird es mit der Totengräberei weitergehen, sollte Mario Schlembach reich und berühmt werden? „Ich würde gerne weitermachen. Ich mag das Begraben, es ist etwas Abgeschlossenes. Ich mag den Ablauf, ich weiß, was zu tun ist, wenn jemand stirbt. Aber vielleicht muss ich mir die Frage ja nicht mehr lange stellen, es lassen sich jetzt eh alle verbrennen.“
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