„Monsterbauten machen mich wahnsinnig“
Es ist weniger als ein Menschenleben her, dass hier die Mülldeponie der Stadt lag. Von „Mondlandschaften und Kraterbergen“, schrieb die Landschaftsarchitektin Lilli Licka. Wer heute auf den Wienerberg kommt, findet ein grünes Paradies, das die stolzen Behauptungen der Stadtregierung von den 50 Prozent Grünraum Wiens anschaulich untermauert (wie viel Grünraum davon privat ist, ist eine andere Geschichte).
Im heutigen Naherholungsgebiet im Süden Favoritens lassen sich Blut, Schweiß und Tränen der Arbeiter, die hier einst Lehm aus dem Boden stachen, um daraus Ziegel zu brennen, nur mehr erahnen.
„Die Natur heilt viele Wunden“, sagt Otto Häuselmayer. Als der Architekt diese Landschaft zum ersten Mal betrat, sah er kaputte Haushaltsgeräte in den verdreckten Teichen des Wienerbergs liegen. Das riesige Areal der ehemaligen Ziegelwerke südlich der Wienerbergkante war zur Müllhalde geworden. In den Siebzigerjahren wurde es zum stadtplanerischen Hoffnungsgebiet. Häuselmayer, damals ein junger Architekt (er war Mitte dreißig, gemessen am meist späten Erfolg gilt man als Architekt selbst mit 50 noch als jung), gewann 1980 den städtebaulichen Ideenwettbewerb, der die Grundlage zur Bebauung der Wienerberggründe schuf.
Menschenwürdig
Wenn er heute durch die Pappelallee geht, die die vor vierzig Jahren entstandene Wohnsiedlung säumt, ist Häuselmayer zufrieden. Er weiß, was ihm damals gelungen ist. Nach seinem Leitplan wurde ein Quartier mit 2.600 Wohnungen, Kirche, Schule und Kindertagesheimen gestaltet. 35 Architekten bauten hier, darunter Heinz Tesar und Gustav Peichl. Die Qualität überzeugt heute noch. Man sieht und spürt, dass hier gerne gewohnt wird. Liebevoll gepflegte Gärten liegen vor den hellen, maximal viergeschoßigen Wohnbauten, die so gar nicht dem hohen, dichten Bauen von heute ähneln. Und die auch ein Gegenmodell zu den zeitgleich entstandenen Wohnbauten von Harry Glück in Alt Erlaa sind. „Das hier ist menschenwürdiges Wohnen – im Gegensatz zu den Riesenapparaten in Alt Erlaa – ein Feindbild für mich“, sagt Häuselmayer, der mit Glück einst viele Verbalgefechte rund um Bauhöhen austrug. Dass hier niedrig gebaut wurde, ist übrigens nicht nur eine Frage der architektonischen Haltung. Es waren sparsame Zeiten. Lifte konnte man sich nicht leisten. „Ich bin froh, dass wir limitiert waren. Ich werde immer wahnsinnig, wenn ich hohe Monsterbauten sehe.“ Das gilt auch für die hohen Türme der Wienerberg City, die den Blick auf das Wahrzeichen Favoritens, den Wasserturm, verstellen.
Wien wächst – nicht
1980 war sich die Stadt nicht sicher, ob man hier, am südlichen Wienerberg, überhaupt Wohnraum brauchen würde. „Damals hat die Baudirektion zu mir gesagt: ,Lieber Herr Architekt, wir werden einmal den Wald- und Wiesengürtel herrichten. Aber Wohnbau? Die Stadt stagniert. Demoskopische Überlegungen sagen uns, dass Wien maximal 1.350.000 Einwohner haben wird.’“ Vierzig Jahre später nähert sich Wien der 2-Millionen Grenze. „Es ist, als wären die Landeshauptstädte Graz, Linz und Bregenz dazugekommen“, sagt der Architekt. Man hat ihn damals nicht ernst genommen. Nicht die Baudirektion der Stadt Wien und auch nicht die vielen renommierteren Architektenkollegen. Er ging seinen Weg. „Ich habe nicht immer auf Aufträge gewartet. Ich hab einfach gemacht.“
Häuselmayer, 78, zählt heute zu den erfahrensten Wohnbauarchitekten Österreichs. Zwei Kirchen, 1.500 Wohnungen und die Planung von Stadtquartieren für Wohnungen umfasst sein Werk. Außerdem eine Brücke, Nutzbauten, Platzgestaltungen und die Überdachung der archäologischen Ausgrabungen in Ephesos. Der Wienerberg ist und bleibt Herzensprojekt. Weil er – in Architektenjahren – blutjung war. Sich gegen seinen damaligen Chef, den berühmten Wilhelm Holzbauer, durchgesetzt hatte. (Die Zusammenarbeit mit dem unterlegenen Vorgesetzten war anschließend natürlich vorbei.) Weil er einen guten Teil seiner Lebenszeit hier investierte – die dreiteilige Bauphase dauerte mehr als 15 Jahre und die Häuser, die man baut, sind wie die Kinder der Architekten: Sie sind das, was man hinterlässt.
Eine Wunde hinterließ das nicht gebaute Opernhaus in Linz, verhindert von lokalpolitischem Populismus und Akademikerhass auf den „Herrn Architekten aus Wien“, wie sich Häuselmayer noch lebhaft erinnert. Die Geschichte hat ihn damals schwer getroffen. Doch als Architekt soll man nach vorne schauen, über ein Menschenleben hinausdenken.
Als Bub, aufgewachsen in Hietzing in der Nähe heiliger Architekturgrale von Josef Frank, Adolf Loos und Josef Hoffmann, war der zart gebaute Otto ein begabter Zeichner. Wusste früh, dass er Architekt werden wollte, obwohl er’s mit der Schule nicht so hatte. An der Technischen Hochschule Wien studierte er bei Erich Boltenstern und Karl Schwanzer, die heute als Legenden ihres Fachs gelten. Sein Vorbild? Mies van der Rohe – einer der bedeutendsten Architekten der Moderne. Schlichte, einfache Schönheit.
So könnte man auch die Kirche beschreiben, die Häuselmayer hier am Tesarekplatz gebaut hat. Rechteckig, mit gewölbtem Dach, das auf Stahlstützen ruht. Beinahe schmucklos. Immer wieder sucht er diesen Ort auf, geht von der Kirche über die Pappelallee hinauf zu den Seen.
Es ist, wie man auf Wienerisch sagt, ein breiter Weg vom heutigen Zuhause in Wien-Landstraße. Besonders, wenn man nicht mehr ganz jung ist. Häuselmayer geht ihn trotzdem. Er tritt leiser, aber gibt nie Ruhe. Das soll übrigens seine Frau jetzt nicht lesen, aber: Als Architekt ist man niemals in Pension.
Von der Mülldeponie zum Landschaftsschutzgebiet
Viktor Adler war erschüttert. Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Ziegelarbeiter, die im Süden Wiens unter extremen Bedingungen schufteten, waren für den Arzt und Journalisten, der sich zu Recherchezwecken in das Ziegelwerk am Wienerberg eingeschlichen hatte, lebensverändernd. Er erlebte Ausbeutung und soziales Elend, schrieb darüber – „Die Lage der Ziegelarbeiter“ – und gründete wenig später, im Dezember 1888, am Hainfelder Parteitag die Sozialdemokratische Arbeiterpartei.
Wer heute über den Wienerberg spaziert, in den blitzblauen Seen badet und die Rohrammern zwitschern hört, kann sich kaum vorstellen, dass hier vor nicht einmal einem halben Jahrhundert eine Industrieruine lag. Das heutige Landschaftsschutzgebiet Wienerberg wurde auf dem ehemaligen Ziegeleigelände geschaffen, auf dem schon in der Römerzeit Lehm abgebaut worden war. Unter Maria Theresia war dort die erste staatliche Ziegelei entstanden. 1820 erwarb der Industrielle Alois Miesbach den heute als „Wienerberger“ weltweit tätigen Betrieb. Sein Neffe Heinrich Drasche baute die Ziegelfabrik zur größten Europas aus. Lohnarbeiter aus Böhmen und Mähren – „Ziegelböhm“ genannt– produzierten unter extremen Bedingungen Ziegel für die Kaiserstadt.
Eine Mondlandschaft
Als in den 1960er Jahren der Lehmabbau unrentabel wurde, legte man die Ziegelwerke still. Die Wienerberggründe wurden Ende der 1960er Jahre an die Stadt Wien verkauft und nunmehr als Hausmüll- und Bauschuttdeponie benutzt. Damals war es üblich, in Schotter- Sand- und Lehmgruben, auch wenn sie mit Wasser gefüllt waren, Haus- und Sondermüll zu entsorgen. In seinem so gut wie vegetationslosem Zustand glich der Wienerberg einer Mondlandschaft. Im Laufe der 1970er stieg das Bewusstsein für Umwelt- und Landschaftsschutz, man wollte den Wienerberg zu einem Landschaftsraum entwickeln, ihn zu einem wirklichen Teil des vor über hundert Jahren beschlossenen Wald- und Wiesengürtels machen. Ein städtebaulicher Ideenwettbewerb wurde ausgeschrieben, der auch für die Landschaftsgestaltung realisierbare Lösungen finden sollte. Aus dem Wettbewerb ging Otto Häuselmayer als Sieger hervor. Während am Fuße des Wienerbergs, wo früher die Fabriken standen, Wohnraum geplant wurde, wurde oben aufgeforstet.
Das Forstamt beauftragte 1982 den Landschaftsarchitekten Wilfried Kirchner, der auch wesentlich an der landschaftlichen Planung der Donauinsel beteiligt war, mit der Renaturierung. Durch diese Rückeroberung der Natur und die Wiederansiedlung von Vegetation wurde der Wienerberg ein als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesenes Erholungsgebiet, das Naturbadeplätze ebenso wie Lebensraum für seltene Wasservögel bietet.
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