Wien in der Westentasche

Stadtforscher Autengruber: „Man schaut sich die Umgebung an, in der man lebt.“
Historiker Peter Autengruber beschäftigt sich schon sein halbes Leben mit Straßennamen. Ein Ende ist nicht absehbar, demnächst erscheint die 12. Ausgabe seines „Lexikons der Wiener Straßennamen“

Ob das wohl so stimmen kann? Peter Autengruber beugt sich über das Wien-Modell im „Königreich der Eisenbahnen“ im Wurstelprater. Eine Modellbahnausstellung zeigt hier im Maßstab 1:87 Wien und seine Wahrzeichen, dazu Straßen mit fahrenden Bussen, Schienenfahrzeugen, parkenden Autos und Tausenden von Figuren. Autengruber beäugt die Szenerie. Er erkennt Unschärfen, aber insgesamt macht das Ganze einen sympathischen Eindruck.

Autengruber kann nicht anders, als Unschärfen rund um Wiens Straßen zu erkennen. Seit mehr als 25 Jahren hinterfragt er Namen, Bezeichnungen und Gründe, warum jemand überhaupt eine Straße bekommen hat.

„Straßennamen sind sein Leben.“ Früher fand er diese Beschreibung ein bisserl blöd. Aber wenn bald die 12. Ausgabe seines „Lexikons der Wiener Straßennamen“ erscheint, dann wird’s Zeit, es offiziell zu machen: Ja, Straßennamen sind wohl sein Leben. Peter Autengruber kennt tatsächlich jede Straße, jede Gasse, jeden Weg in dieser Stadt. Und wahrscheinlich findet er auch hin. Jahrgang 58’, war er im Zivildienst bei den Samaritern und kennt, wie man so sagt, wirklich jeden Kanaldeckel. Man kann den Mann auch testen: Er liegt immer richtig.

Lauter Fehler!

Zu den Straßennamen kam der gebürtige Kärntner durch Zufall. In den 1980ern arbeitete er bei der Perlenreihe, einer nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Ratgeber-Reihe. Fußballregeln, Glückssuche, Lottozahlen: Die Perlenreihe konnte in jeder Lebenslage aushelfen. 1988 erschien ein Buch über Straßennamen. „Ich war frisch von der Uni, hab mir das angeschaut und gedacht: Entsetzlich! Da sind ja wahnsinnig viele Fehler drin! Mein Chef hat gesagt: Na ja, wenn du was Besseres zusammenbringst, mach’s.“ Was nebenbei begann, wuchs sich aus. Internet gab’s keines. Für jede Auskunft musste man persönlich ins Rathaus-Archiv. Amtsrat Simacek, Magistratsabteilung sieben, half. Das Faktotum stattete den jungen Forscher mit einem Karteikasten samt Namen und handschriftlichen Hinweisen aus. 1995 erschien die erste Ausgabe des Lexikons der Straßennamen. Das Echo war enorm, Willi Resetarits widmete dem Buch eine Radiosendung, die Nachfrage war groß. Zweite und dritte Ausgabe folgten auf dem Fuß.

Ein gutes Vierteljahrhundert später sind Straßennamen nicht mehr aus Autengrubers Leben wegzudenken. Autengruber ist Historiker, Schwerpunkt Zeitgeschichte. Der Beruf passt zu ihm. Geschichte muss man sich über die Jahre anschauen. Geduldig sein, genau beobachten. Momentaufnahmen sagen gar nichts. Autengruber, ein mittelgroßer Mann mit grauem Sakko, grauen Haaren und Brille, ist behutsam. Er hudelt nicht, auch nicht beim Sprechen. Er dehnt die Vokale, Zeeeeitgeschichte, sagt er mit leiser, rauer Stimme in sanftem Wienerisch.

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