Das endlose Gezerre um Straßennamen
Der Name Bauer hat die österreichische Geschichte entscheidend geprägt. Während Otto Bauer, dem Gründer des Austromarxismus, schon 1949 in Wien eine eigene Gasse gewidmet wurde, musste seine Frau, die Sozialwissenschaftlerin Helene Bauer, die ebenfalls eine bedeutende Rolle in der Sozialdemokratie spielte, bis 2014 warten.
Bei den Glöckels ging es schneller. Schulreformer Otto Glöckel erhielt 2002 seine eigene Verkehrsfläche, seine Frau Leopoldine Glöckl, Gemeinderats- und Landtagsabgeordnete, die die Reformen ihres Mannes unterstützte, bekam 2006 einen Weg. „In der Vergangenheit hat man oft auf die Frauen vergessen. Dass jetzt etwas weitergeht, ist zwar grundsätzlich positiv, aber angesichts des großen Aufholbedarfs fast ein bisschen hoffnungslos. Man kann sich ausrechnen, wie viele Jahre es dauern würde, um eine Gleichstellung bei der Benennung der Verkehrsflächen zu erreichen,“ sagt Historiker Peter Autengruber, Autor des soeben in zehnter, erweiterter Auflage erschienenen „Lexikons der Wiener Straßennamen“.
Seit 2014 kamen 164 neue Namen dazu, darunter viele Frauennamen: Politikerinnen wie Barbara Prammer, Ingrid Leodolter und Maria Schaumayer, Gewerkschafterin Anna Boschek, Widerstandskämpferinnen Antonia Bruha und Erna Musik oder Nobelpreisträgerin Doris Lessing.
Rettung der Freundin
Schauspielerin Dorothea Neff (sie hat im 7. Bezirk bereits einen Park) bekam wie ihre Kollegin Eva Zilcher eine Verkehrsfläche. Beide waren an der Rettung der jüdischen Freundin von Neff beteiligt. Mit Käthe Recheis, Ilse Aichinger und Jeannie Ebner wurden Schriftstellerinnen geehrt und mit Freda Meissner-Blau bekam die erste grüne Politikerin einen Straßennamen. Die Rosa-Tree-Gasse in Liesing erinnert an eine Frau, die erfolgreiche Unternehmerin war. Die im Juni verstorbene Christine Nöstlinger wird in ihrem Heimatbezirk Hernals geehrt: Der Lidlpark soll in Nöstlinger-Park umbenannt werden. Chansonnière Liane Augustin, Grande Dame der Eden Bar und Teilnehmerin des Eurovision Song Contest 1958, muss sich einen Platz im Siebenten mit dem Bänkelsänger Markus Augustin, besser bekannt als „lieber Augustin“, teilen.
Der Aufholbedarf ist groß: Der Anteil der Benennung von Frauen beträgt derzeit nur zwölf Prozent. Umso erstaunlicher, dass nicht jede Gelegenheit genützt wird, Verkehrsflächen nach Frauen zu benennen: So wurde mit der „Habe-die-Ehre-Gasse“ sowie dem „Schlapfenweg“ Alt-Wiener-Ausdrücken gedacht, die nicht nur auf Begeisterung stoßen. Autengruber: „Ich frage mich, wozu wir das brauchen.“
Umstrittene Namen
Nur sehr zögerliche Fortschritte gibt es bei den umstrittenen Straßennamen: 2013 präsentierte die von der Stadt Wien beauftragte Historikerkommission ihre kritische Untersuchung von 4300 personenbezogenen Wiener Straßennamen. 170 wurden als problematisch eingestuft, 28 davon als Fälle mit intensivem Diskussionsbedarf – viele davon betreffen namensgebende Persönlichkeiten mit Nähe zum Antisemitismus oder NS-Regime. Die betroffenen Straßen bekamen erklärende Zusatztafeln. „Man wolle Geschichte nicht auslöschen“ begründete der damalige Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ). Tatsache ist auch, dass die Bezirke sämtliche Kosten für Umbenennungen zu tragen haben, vom Austausch der Tafeln bis zu den Dokumentenänderungen der Anrainer.
Bald reagiert hat der 16. Bezirk: Eine Zusatztafel beim Weinheberplatz (benannt nach dem Dichter und Nazimitläufer) war schnell angebracht. In Meidling entschied man sich, den Namen des umstrittenen Historikers Ernst Moritz Arndt zu belassen, die Arndtstraße jedoch zusätzlich nach der Widerstandskämpferin Ilse Arndt zu benennen.
Der Richard-Kuhn-Weg(nach dem Chemiker und NSDAP-Mitglied) im 14. Bezirk wurde in Stadt-des-Kindes-Weg umbenannt. Zudem wurden 13 Zusatztafeln an verschiedenen Straßennamen angebracht, unter anderem am Dr.-Karl-Lueger-Platz: „Gründer der Christlich-Sozialen Partei. 1897 – 1910 Bürgermeister. Mitgestalter Wiens zu einer modernen Großstadt. Kritisch bewertet werden muss sein populistischer Antisemitismus, der ein politisches Klima förderte, welches die Verbreitung des Nationalsozialismus begünstigte.“ Historiker Autengruber: „Ich persönlich halte nach wie vor Namen wie Sebastian-Brunner-Gasse, Maria-Grengg-Gasse, Manowardagasse, Kloepferstraße oder Dusikagasse nur schwer aus.“ Alle Namensgeber standen dem NS-Regime nahe oder hatten eine Vorläuferrolle inne.
Graz
Die zweitgrößte Stadt Österreichs hat das gleiche Problem. Vielleicht sogar ein noch größeres, wenn man das prozentuelle Verhältnis betrachtet. Denn zwölf Prozent aller Namensgebungen in Graz sind historisch zumindest bedenklich, wenn nicht problematisch.
793 Verkehrsflächen hier wurden nach Menschen benannt. Eine Historikerkommission forschte vier Jahre lang penibel die Geschichte von 707 Personen nach (86 wurden von vornherein als unbedenklich eingestuft, da Kaiser, Erzherzöge oder ähnliche große Persönlichkeiten Pate standen) und legte ihren Bericht vor einem Jahr vor. Von diesen 707 stufte die Kommission unter der Leitung des Historikers Stefan Karner 82 als „bedenklich“ ein, 20 sogar als „sehr problematisch“: Männer, die nicht nur Mitglieder in einer totalitären Partei waren, sondern „extrem aktiv waren, sie waren rassistisch und antisemitisch“, beschreibt Karner.
Dabei geht es um ausgewiesene Nazis, aber auch Hetzer in den Jahren und Jahrzehnten vor dem NS-Regime. Einige Beispiele:
Conrad von Hötzendorf etwa, jener General, dem moderne Forscher als Kriegstreiber einstufen und ihm sogar eine Teilschuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges geben. Walter Semetkowski, der sich an vielen Enteignungen in der Steiermark während des NS-Regimes beteiligte. Walter Nernst, jener Chemiker, der im Ersten Weltkrieg für Giftgaseinsätze eintrat. Karl Muck, der Dirigent, der „judenfreie“ Salzburger Festspiele forderte. Ottokar Kernstock, der deutschnationale Dichter. Künstler tauften die nach ihm benannte Gasse 2014 um in Kurt-Cobain-Gasse. Das Straßenschild hing ein paar Tage, dann wurde es offiziell entfernt.
Nur Erklärtafeln
Umbenennungen von problematischen Straßennamen kommen für die seit 2017 regierende ÖVP-FPÖ-Rathauskoalition nicht infrage. Stattdessen soll es „Erklärtafeln“ geben.
Schon beim Aufkeimen der Debatte 2014 wurde mehr gerechnet als in historischen Kategorien gedacht: Allein die Umbenennung der zwei Kilometer langen Conrad-von-Hötzendorf-Straße zöge rund 560.000 Euro an Folgekosten nach sich Visitenkarten, Geschäftsadressen, Versicherungspolizzen der Anrainer müssen neu ausgestellt werden.
Ein Zugang, den Grüne, SPÖ und die zweistärkste Partei in Graz, die KPÖ, für bedenklich halten. Vor allem in Graz: Offizielle Menschenrechtsstadt mit der unrühmlichen Vergangenheit als nationalsozialistische „Stadt der Volkserhebung“.
„Gerade die Stadt hat als Menschenrechtsstadt und durch ihre exponierte Rolle im Nationalsozialismus eine besondere Verantwortung bei der Aufarbeitung ihrer Geschichte“, mahnen die Grünen.
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