Jeden Vormittag um zehn versammeln sie sich um den Holztisch in der Küche. Verleger Richard Pils, Kollegen, Autoren, wer halt grad da ist.
Auch Herbert Achterbuch saß oft hier. Der bayrische Schriftsteller und Regisseur, dessen Bücher Pils verlegte, wohnte in der Nähe. Am 10. Jänner ist er gestorben, sein Tod hat Pils getroffen. Aber gehört das in die Zeitung? Freundschaft ist privat. Und doch wird der Verleger im Gespräch immer wieder darauf zurückkommen. Wird sich erinnern, wie er mit dem Achternbusch „einfach so, aus lauter Blödelei“ nach Parma gefahren ist, um sich einen „g’scheiten Borsalino“ zu kaufen. „Der Achternbusch war auch so ein Vagant wie ich.“
Die Zeichen der persönlichen Wertschätzung von Freunden und Weggefährten sind unübersehbar, hier, im Hof in Großwolfgers, wo Richard Pils, nach vielen Wegen samt Abzweigungen, 1989 jenen des Verlegers eingeschlagen hat. „Bibliothek der Provinz ist die beste“, hat die Kinderhand der zehnjährigen Achternbusch-Tochter Naomi einst mit Buntstiften festgehalten und dazu eine Burg gemalt. Es muss die Burg Raabs an der Thaya sein, die Pils 1996 gekauft hat. 20 Jahre lud er dort jeden Sommer zum Poetenfest ein. „Ich hab mir einen Haxen ausgerissen, um die Burg zu erhalten.“
Mitte der 80er verschlug es den Oberösterreicher Pils ins Waldviertel. Liebe auf den ersten Blick war es nicht. Aber heute, auf dieser Küchenbank, ist er daheim, wieder in seiner Kindheit. „Man ertappt sich immer wieder in der Vergangenheit.“ Richard Pils lacht viel, während er erzählt. Als würde er sich über das, was in seinem Leben gelungen oder passiert ist, wundern. Der Schalk in den Augen blitzt, selbst wenn die Dinge, die er erzählt, nicht alle lustig sind. Sie handeln auch von Menschen, die er vermisst und dem Wahnsinn der Welt. Den oberösterreichischen Zungenschlag hat er nie abgelegt. Wurzeln sind wichtig. Zum Beispiel die Großmutter. Der hat er früher das Haar geflochten. Als Reminiszenz an sie trägt er sein ganzes Erwachsenenleben schon einen langen Zopf. Der Zopf ist schmal geworden, wie sein Träger.
„Ich war ein Vagant, jetzt bin ich sesshaft. Meine Frau bedauert das ein bisschen.“ Was war der Sohn eines Eisenbahners und Nebenerwerbsbauern aus dem Mühlviertel nicht schon alles. Lehrer, Weltreisender, Burgherr, seit kurzem Fabrikbesitzer. 2010 erwarb er gemeinsam mit dem Buchdrucker Herbert Schlesinger die ehemalige Fabrik Eisenberger in Gmünd, ließ sie zum regionalen Kulturzentrum umbauen und stellt dort seine Sammlung von Druckmaschinen aus. Wie man das macht, rein finanziell? „Man geht halt zur Bank und fragt.“ Später wird er dann zugeben, dass nicht alles so einfach ist. Auf die Frage, wie man als Verleger überlebt, wird er sagen: „Das ist meine nächtliche Besorgnis.“
Wie er wurde, was er ist? „Wer jung ist, streunt herum.“ Mit 14, 15 kam Pils mit der Linzer Galerieszene in Berührung, lernte dort „alle möglichen Figuren“ kennen. Den Artmann, den Nenning. Auch mit der Mayröcker war er gut. „Die berühmten Leut’ sind auch gewöhnliche Menschen.“ Was er werden wollte? „Man weiß ja nicht, was mit einem wird. Es ist wie in der Liebe. Das passiert. “
Passiert ist: Die Gründung der „ersten Band von Linz-Urfahr“, die Lehrerbildungsanstalt, das Studium von „allem möglichen“. Mathematik, Physik, Pädagogik, Germanistik, Soziologie. Was ihn halt interessiert hat. Außerdem Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Wien.
Als er Geld verdienen musste, wurde er Lehrer. Einer mit langen Haaren, das gab’s dort noch nicht. Noten fand er blöd. Erst hat er allen einen Einser gegeben, dann einen Fleck. Die Mütter haben sich beschwert. „Aber wir haben trotzdem a Gaude g’habt.“ Er war ja ein bildschöner Bursch. Irgendwann ist die Helga neugierig auf ihn geworden, jetzt sind sie mehr als 50 Jahre verheiratet. Pils wurde Schuldirektor. Vieles taugte ihm nicht. Der Blödsinn, den die Kinder lernen mussten. „Dieser Druck, ausschließlich zur Reproduktion von sozialem Status! Aber mit der Hand schreiben kann keiner mehr.“ Die Schulbücher waren unbrauchbar, die Schulinspektoren saublöd. Lernen würden die Leute heutzutage vieles, „aber wissen tun sie’s dann nicht“.
Pils wollte es wissen. Neben dem Interesse für Pädagogik und Entwicklungspsychologie engagierte sich der „spinnerte Lehrer“ in der Antiatom-Bewegung. Nach Tschernobyl zog er Konsequenzen. Sagte: „Da bleiben wir nicht.“ Mit Frau und fünf Kindern reiste er um die Welt. Kalifornien, Hawaii, Neuseeland. Kam zurück, weil die Kinder in die Schule mussten.
Schneeburgen bauen
Ende der 80er die Verlagsgründung. Um Bücher zu machen, die es noch nicht gab. Warum „Bibliothek der Provinz“? „Es hat mich immer aufgeregt, dass das Wort Provinz negativ konnotiert ist.“ In Großwolfgers östlich von Weitra baut er einen Hof und ein ehemaliges Wirtshaus um. Verlag, Bibliothek und Wohnhaus in einem. Regionales, österreichische Literatur, liebevoll gestaltete Foto- und Kunstbände, außerdem Kinder- und Jugendliteratur, etwa von Angelika Kaufmann oder Herbert Achternbusch. Friederike Mayröcker, Adalbert Stifter, Käthe Recheis hat er verlegt. Sepp Dreissingers Bildbände zu Thomas Bernhard ebenso wie Bücher von und über George Tabori.
Peter Sommerfeld: „Fährtenlesen“: Ein Paar in Südfrankreich auf den Spuren des Poeten und
Widerstandskämpfers René Char. 304 S, 28 Euro
Guy Scarpetta: „Die lyrische Suite“. Übersetzt von Erika Sieder.
Alban Berg, Gustav Mahler und alles nicht ganz jugendfrei464 Seiten. 34 Euro
Robert Wagner: „Brasilianische Reisen.“ Die Hochzeitsreise der Erzherzogin Leopoldine nach Rio de Janeiro.
464 Seiten. 34 Euro
Aber die großen Namen sind nicht wichtiger als die Unbekannten. Nach Autoren gesucht hat er nie. „Wenn man Autoren sucht, geht man in eine Buchhandlung. Zu mir kommen die Autoren. Wie bei Goethe: Die Geister, die ich rief.“ Autoren wollen Echo. „Die schreiben, um wahrgenommen zu werden. Vor allem österreichische. Lauter Leidensgeschichten.“
Auch Harry Potter hat Pils gelesen, um sich mit den Enkeln darüber zu unterhalten. Ein „Phänomen der Zeit, so wie früher Jerry Cotton“. Und Schneeburgen baut er für die Enkel. Mit dem Leben ist es wie mit den Schneeburgen. Es kommt auf den richtigen Zeitpunkt an. Dann macht man etwas, und es verschwindet wieder. Als jetzt der Achternbusch gestorben ist, hat er gedacht: Man hat im Leben Zeit und doch keine Zeit. Pils hat viele Menschen kennengelernt. Oft denkt er, ob es nicht gescheiter gewesen wäre, sich auf einige wenige zu beschränken.
Während Richard Pils erzählt, liegt unweit von ihm ein alter Kater, schläft wie ein Stein. Vor vielen Jahren hat er sich dieses Haus ausgesucht, ist einfach eingezogen. Hätte man auch gemacht, als Kater.
„Manchmal frag ich mich, warum man überhaupt schreibt. Im Grunde geht es wohl darum, Spuren zu hinterlassen. Wie ein Kind, das keine Windel anhat, das hinterlässt auch Spuren, wenn es darf.“ Jetzt spricht wieder der Pädagoge aus dem Verleger. „Sprache ist ein sich Einritzen in die Welt. Ein Werkzeug, um das Imaginäre Du zu finden, das alle Fragen beantworten soll.“
75 ist Richard Pils im Dezember geworden. „Die Hoffnung, dass sich dieses Rätsel Leben für mich ein bisschen klären könnte, habe ich aufgegeben.“ Er lacht. „Jetzt hab’ i eh schon wieder z’fü g’redt. “
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