Schau' mir in die Augen, Fremder: Eye Gazing als neuer Trend

Ohne Worte: Blickkontakte mit Unbekannten an öffentlichen Orten.
Der intensive Blickkontakt mit Unbekannten im öffentlichen Raum etabliert sich als neuer Trend.

3,3 Sekunden. Exakt so lange empfinden Europäer den Blickkontakt zu fremden Menschen als angenehm (mehr dazu hier). Die Forschungsergebnisse des University College London sind für Fans der "Eye Gazing"-Bewegung kein Richtwert. Was sich als simples "in die Augen starren" übersetzen lässt, breitet sich seit einigen Jahren kontinuierlich aus. Es ist so einfach wie herausfordernd: Fremde Menschen schauen einander minutenlang in die Augen – ohne ein Wort zu sprechen.

Vier-Augen-Aktion

Daraus entstanden mancherorts wie etwa in München wöchentliche Treffen und ein weltweiter Aktionstag: Unter dem Namen "Eye Contact Experiment" kommen alljährlich Hunderttausende Menschen an öffentlichen Plätzen zusammen, um sich in die Augen zu starren. Beim diesjährigen Event im September fand das Experiment in 156 Städten statt. Die Teilnehmer berichten von ungewöhnlichen Gefühlen – von Lachen bis Weinen. Der Kontakt über die Augen sei derart unmittelbar und intim, dass sich bei manchen anfangs ein Gefühl des Unwohlseins durch die unerwarteten Eindrücke einstelle. Später weiche es einer ebenso unerwarteten Nähe. Viele berichten, das anschließende erste Gespräch wie eines mit einem guten Freund empfunden zu haben.

Was wohl die aus Serbien stammende Performancekünstlerin Marina Abramović 2010 während ihrer Kunstaktion "The Artist is Present" im New York Museum of Modern Arts empfand? Immerhin saß sie drei Monate lang – 721 Stunden – auf einem Stuhl nacheinander 1565 Museumsbesuchern gegenüber und blickte ihnen schweigend in die Augen. Für das bislang längste "Eye Contact Experiment" saß sie sechs Tage pro Woche jeweils sieben Stunden am Stück im Museum, die Museumsbesucher stellten sich stundenlang an, um ihr in die Augen blicken zu können.

Abramović selbst verlor nur einmal die Fassung – als ihr früherer, langjähriger Lebensgefährte, mit dem sie seit 20 Jahren keinen Kontakt mehr gehabt hatte, zu Beginn der Ausstellung ihr gegenüber Platz nahm.

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