Im Cockpit: Wie die Crew die heurigen Flugverspätungen erlebt
![Austrian-Pilot Peter Ziegelwanger Im Cockpit: Wie die Crew die heurigen Flugverspätungen erlebt](https://image.kurier.at/images/cfs_landscape_616w_347h/7150632/46-181522446.jpg)
Die Passagiere des Flugs OS9123 plagen sich an diesem Augustdonnerstag noch mit dem Ausdrucken ihrer Kofferetiketten, befüllen etwas hektisch die Rollbänder an der Sicherheitskontrolle oder flanieren durch den Duty Free. Peter Ziegelwanger, 50, wischt einen Steinwurf entfernt, in der AUA-Zentrale am Flughafengelände, über sein Tablet und tippt in sein Smartphone.
Zwei Stunden vor dem Abflug auf die griechische Urlaubsinsel Karpathos weiß auch der AUA-Pilot noch nicht, wie sich sein nächster Flug entwickeln wird. Aus Hurghada kommt die Maschine, ein langer Flug. Doch das Wetter ist stabil, auch sonst wurden keine Verzögerungen gemeldet, der Flieger ist planmäßig unterwegs in Richtung Wien.
Flugchaos
Im Sommer 2022 ist das fast eine Überraschung, sagt der erfahrene Pilot, der diesmal seinen 1.913. Flug absolvieren wird. In der eng verzahnten Luftfahrt hat jede kleine Abweichung vom Plan Auswirkungen – heuer noch mehr. Viel erzählen Reisende über stundenlange Wartezeiten. Etwa kürzlich vier Stunden vor der Sicherheitskontrolle am Flughafen Amsterdam, wodurch Flüge versäumt wurden. Oder kurzfristig komplett gestrichen.Das derzeitige Chaos auf Europas Flughäfen spürt die andere Seite ebenso deutlich.
Auch Ziegelwanger, in 25 Jahren knapp 15.000 Flugstunden in der Luft, wartet oft, etwa kürzlich zwei Stunden in Amsterdam, "und am Tag davor eine Stunde in Paris. Man kann dann nicht viel machen“, sagt er. Die im Flugverkehr so wichtige Pünktlichkeit sei derzeit außerhalb seines Einflusses. Ohne Abfluggenehmigung der lokalen Flugbehörde eben kein Abflug. Oft erfährt auch die Crew den genauen Grund der Verzögerung nicht.
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Eine gute Stunde vor Abflug besprechen Pilot Ziegelwanger (re.) und sein
Co-Pilot Marko Gackstarter die Bedingungen für den Flug
Allein am vergangenen Donnerstag kurz nach 15 Uhr waren in ganz Europa mehr als 154.000 Verspätungsminuten angefallen. Das ist wichtige Zeit, in der entweder gar nichts oder zu wenig zu langsam passiert. Tankbefüllung. Oder Gepäck wird nicht ein- und ausgeladen. Oder, fast schon banal: Die Passagiere können nicht aussteigen, weil zu wenig Mitarbeiter da sind, die die Rolltreppe heranschieben.
Versäumnisse
Dahinter stehen Engpässe durch Personalabbau durch Corona auf vielen Flughäfen. In Wien sei man "relativ gut aufgestellt“, sagt Ziegelwanger, auch dank Kurzarbeit. In London, Paris oder Amsterdam sei die Situation dramatischer.
Der Luftraum ist dicht über Europa, und durch den Ukraine-Krieg verschob sich zusätzlich viel Verkehr nach Westen. Wo es nun "auf der Luftfahrt-Südost-Tangente von Großbritannien über Deutschland, den Balkan bis Griechenland staut“, erklärt Ziegelwanger. Laut europäischer Luftsicherungsbehörde "Eurocontrol“ waren am Donnerstag europaweit 28.000 Flüge angemeldet. Eine einzelne Verspätung, egal aus welchem Grund, hat Folgen. Verpasst ein Flieger den ihm zugeteilten Start-Slot, muss er warten.
Bis neuerlich eines dieser exakten Zeitfenster, in denen er starten darf, erteilt wird, dauert es mitunter lang. Der nächste Flieger versäumt ebenfalls seinen Start-Slot und nimmt so schon beim Abflug eine Verspätung mit. Die sich erneut am Zielflughafen auswirkt. Oder es gibt keine Starterlaubnis. "Bei Stau wird man am Boden gehalten.“
![Im Cockpit: Wie die Crew die heurigen Flugverspätungen erlebt](https://image.kurier.at/images/cfs_616w/7150641/46-189865134.jpg)
Landeanflug auf Karpathos: Anspruchsvoller Flughafen mit kurzer Piste
Peter Ziegelwanger geht bei größeren Verspätungen in die Kabine und entschuldigt sich, erklärt mit Hilfe der "Staukarte“ auf der Homepage von "Eurocontrol“. Verständnisvoll reagiere der Großteil der Passagiere.
Auf dem Flug nach Karpathos muss er die Staukarte nicht bemühen. Die Maschine aus Hurghada ist pünktlich angekommen – keine Verzögerungen. Das hat auch Ziegelwanger nicht erwartet. Gedanklich wird der sprichwörtliche Vorführeffekt bemüht. Es ist, wie es ist. Die 154 Passagiere (und drei Babys) in der Flugkabine dieses Airbus A320 werden aller Voraussicht nach pünktlich ankommen.
Gewitterwolken
Das wissen der Pilot und sein Co-Pilot Marko Gackstarter mittlerweile, durch detaillierte Wetter- und Fluginformationen. Auch die aktuelle Flugroute steht fest. Berechnet vom Flugcomputer, hängt sie "von mehreren Faktoren, unter anderem vom Wind, ab“, erklärt Ziegelwanger. Ähnlich einem Navi "rechnet der Computer die kürzeste Route aus“. Dass der Weg diesmal östlicher, über Belgrad, führt anstatt westlicher über Albanien, wird sich noch als Vorteil herausstellen.
Kaum in der Luft, zeigt Ziegelwagner am Navigationsdisplay vor ihm auf eine mächtige, grün-gelbe Wolke. "Da bauen sich westlich von uns massive Gewitter auf.“ Die Reaktionen anderer Flieger darauf ermöglicht der Funkverkehr. Der sich für Außenstehende ein wenig wie babylonisches Sprachengewirr anhört. Ziffern- und Buchstabenkombinationen (die Flugnummern) werden auf Englisch durchgegeben, von anderen Stimmen wiederholt, gefolgt von Verabschiedungen. Durch die Gewitterfront ändern sich manche Routen, die Piloten stimmen sich mit den lokalen Flugbehörden ab.
Die Ferienflieger ans Mittelmeer sind im Durchschnitt zu 90 Prozent ausgelastet.
98,6 Prozent der geplanten Flüge konnte die AUA im ersten Halbjahr 2022 wie geplant umsetzen
Die Gepäckabfertigung ist an vielen europäischen Flughäfen einer der personalintensivsten Bereiche. Viele stehen derzeit unter erheblichem Druck
Ziegelwanger und Gackstarter betreffen die Anweisungen nicht, müssen nichts verändern, Karpathos rückt näher. Der Inselflughafen ist nicht groß, durch Wind aber anspruchsvoll. 30 Minuten vor der Landung bereiten sich die Piloten mit den aktuellsten Wetterdaten vor, sie richten den Anflug genau darauf aus – und setzen pünktlich auf griechischem Boden auf.
Und wieder zurück
Gute Voraussetzungen für 174 neue Passagiere. Auch auf Karpathos funktioniert alles Nötige reibungslos, der Flieger ist in einer knappen Stunde gereinigt, ent- und beladen, betankt und wird technisch überprüft.
Während die Kabinencrew noch über die Sicherheitsvorkehrungen informiert und die Motoren starten, muss im Cockpit eine schnelle Entscheidung getroffen werden. Die nächste Maschine sei bereits im Anflug, heißt es von der Flughafenüberwachung man müsse in fünf Minuten in der Luft sein – oder warten, bis das andere Flugzeug gelandet ist. Startverzögerung zehn Minuten. Mindestens. Das hieße: Verspätung. Gering zwar diesmal. Aber eine Verspätung. Das ist eine Besonderheit von Karpathos, wie Ziegelwanger erklärt. "Die Insel verfügt über keinen eigenen Radarschirm, daher kann immer nur eine Maschine landen oder starten.“
Der Airbus rollt zur Startbahn, mit dem Ende der Sicherheitsinformationen (der Start ist sonst nicht erlaubt), schiebt Ziegelwanger den Schubhebel nach vor, der Flieger hebt ab. Den Zeit-Slot für den nachfolgenden Abflug hören sie noch: In 17 Minuten. Nicht aufholbar wäre das gewesen. "Auf dieser Strecke können wir maximal sechs Minuten herausholen.“ Der Flug OS9124, wie er jetzt heißt, wird aber die durch den Start gewonnene Zeit bis nach Wien mitnehmen. Die schweren Unwetter dieses Abends bleiben wieder westlich neben der Flugroute. Das überrascht auch Ziegelwanger. "In der Vorwoche hatte ich auf der Griechenlandroute jeden Tag Gewitter. Und Verspätungen.“ Und diese, damit rechnet er, werden ihn noch eine Weile begleiten.
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