Leihopa als Lernhilfe: "Die Kinder haben mich gefunden"
Es ist Donnerstagnachmittag. Im Hort der Wiener Kinderfreunde in der Ruckergasse im zwölften Wiener Gemeindebezirk herrscht ein buntes Durcheinander: Papierrascheln mischt sich zu vergnügtem Kinderlachen, Stühle werden verrückt, Hefte und Federpennale aufgeschlagen, Würfel über die Holztische gerollt.
Mittendrin sitzt Erich Heliczer. Auf einem für den groß gewachsenen Wiener viel zu kleinen Sessel hockt er umringt von Kindern – und spielt Karten. Seit fast fünf Jahren engagiert sich der pensionierte Rechtsanwalt mit seiner Frau einmal pro Woche ehrenamtlich für den Verein FREI.Spiel.
Das Sozialprojekt vermittelt in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Wien und den Kinderfreunden Freiwillige an Brennpunkthorte, um Kinder mit ungünstigen Startvoraussetzungen zu fördern. Seit vergangenem Jahr sind die Helfer auch vormittags in Schulen anzutreffen, wo sie, in Absprache mit der Klassenlehrerin, Kinder unterstützen.
Glückstreffer
Zur Freiwilligenarbeit im Kinderhort kam Erich ganz unvermittelt. "Schuld ist, wie so oft, meine Frau", sagt der 70-Jährige und lacht. Sie war es, die im Radio einen Beitrag über FREI.Spiel hörte, sich dafür interessierte und im Internet informierte. Durch die Pensionierung hatte sich in Amelie Heliczers Leben eine Lücke aufgetan: "Mir hat die Arbeit gefehlt und ich habe nach einer Beschäftigung gesucht", erzählt die frühere Lehrerin.
Ihr Ehemann kam eher zufällig dazu: "Beim Erstgespräch war ich nur der Chauffeur für meine Frau", scherzt er. "Als ich nach der Parkplatzsuche dazu stieß, hieß es plötzlich, ich soll auch mitmachen. Und ich hab mir gedacht: 'Warum eigentlich nicht?'." Seine Entscheidung hat er nie bereut. "Die Kinder haben damals mich gefunden und die Nachmittage hier machen mich seither sehr glücklich."
Ehrenamtlich im Hort
"Ich wünsch mir die Farbe Grün", sagt ein Mädchen und schaut Erich Heliczer über ihre aufgefächerten UNO-Karten spielerisch fordernd an. Bei der Nachmittagsbetreuung in der Ruckergasse stehen nicht nur das Lernen und Hausübungen im Vordergrund. Auch gemeinsames Spielen und Gespräche sind Fixpunkte – und ermöglichen einen Beziehungsaufbau.
Eigene Enkelkinder hat das in Bad Vöslau lebende Paar keine. Umso bereichernder empfinden sie die Begegnung mit der jüngeren Generation. "Die Kinder geben uns viel zurück und es ist schön zu sehen, wie die Kinder hier miteinander umgehen, obwohl sie teilweise sehr unterschiedliche Lebenswelten haben. Das macht Hoffnung, dass das auch in unserer Gesellschaft funktionieren kann", sagt der 70-Jährige, der auch Flüchtlinge betreut.
Männermangel
Als Mann ist Erich bei FREI.Spiel die Ausnahme der Regel. Warum, kann er nicht nachvollziehen. In seinem Freundeskreis, wo er bereits für das Lernhilfeprojekt geworben hat, konnte er keine Männer zum Mitmachen motivieren. "Ich bin kein Freund von alten Rollenbildern, aber ich beobachte, dass viele meiner männlichen Freunde damit nicht viel anfangen können und sich lieber anderen Hobbys widmen, oft aus Angst, sich zu blamieren oder bei den Kindern nicht gut anzukommen." Diese Erfahrung hat Erich nicht gemacht. "Ich bin hier nicht der Profi, aber ich unterstütze die Pädagoginnen so gut es geht. Das möchte ich nicht mehr missen."
Der Trubel im Hort hat sich auch am späten Nachmittag noch nicht gelegt, für Erich und Amelie gibt es viel zu tun. Aber jetzt wird erst einmal UNO gespielt.
Der Verein FREI.Spiel sucht Freiwillige, die regelmäßig Horte besuchen und Kindern dort Zeit schenken. Weitere Informationen finden Sie hier.
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