Oma Hilda im Hort: "Der Pensionistenklub ist nichts für mich"
"Kannst du mir heute bei den Hausaufgaben helfen?", ruft Malika von Weitem durch den mintgrünen Gang. Wenige Sekunden später hat sie die Besucherin zusammen mit ihren Klassenkameraden umringt. Wenn Hilda Ebner montags um 13 Uhr in den Kinderhort in der Pazmanitengasse im zweiten Wiener Gemeindebezirk kommt, ist die Aufregung groß. Seit drei Jahren engagiert sich die 78-jährige Pensionistin ehrenamtlich als Lernhilfe für den Verein FREI.Spiel. Das Projekt vermittelt in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Wien und den Kinderfreunden Freiwillige an Brennpunkthorte, um Kinder mit ungünstigen Startvoraussetzungen zu fördern.
Regelmäßige Besuche
Die Idee, sich ehrenamtlich zu betätigen, kam Hilda vor einigen Jahren beim Besuch der Freiwilligenmesse. "Ich hatte schon immer einen guten Draht zu Kindern und der Pensionistenklub ist nichts für mich“, sagt Hilda, die selbst eine Tochter und zwei erwachsene Enkel hat. Während ihre Enkel zusehends ihr eigenes Leben lebten, tat sich in Hildas Alltag nach der Pensionierung eine Lücke auf. "Irgendwann war ich als Großmutter einfach nicht mehr so gefragt. Und ich wollte im Alter noch einmal etwas Anderes erleben."
Dass sie die Volksschüler in den Horten jede Woche besuchen kann, ist der Pensionistin, die früher in einer Schmuckgalerie gearbeitet hat, deswegen besonders wichtig: "Das bringt eine gewisse Regelmäßigkeit in meinen Alltag. Außerdem bleibe ich geistig gefordert und fit", erzählt sie. Auch darüber hinaus verbindet die Seniorin nur Positives mit der Freiwilligenarbeit: "Man wird mit offenen Armen empfangen und die Freude der Kinder, die man dabei spürt, ist für mich das allerschönste Geschenk."
Beziehungsaufbau
Die Besuche der Helfer als wöchentlicher Fixpunkt sind auch den Verantwortlichen von FREI.Spiel wichtig: "Unsere Philosophie ist, dass Unterstützung nur dort fruchtet, wo auch eine Beziehung entsteht. Wir verstehen uns deshalb nicht als reines Lernhilfeprojekt, sondern als Initiative, die Zuwendung darüber hinaus anbietet", betont Dorith Salvarani-Drill, Mitgründerin des Vereins. Damit schlägt man die Brücke zu Projekten, die Leihomas und Leihopas an berufstätige Eltern vermitteln. Wenn in Familien die Großeltern fehlen oder diese zu weit weg wohnen, springen die ausgeborgten Omas und Opas ein, holen die Kinder von der Schule ab, übernehmen die Freizeitgestaltung und kümmern sich um die Versorgung der Leihenkel.
Große Bereicherung
Sind die bunten Federpennale ausgepackt und die Hefte geöffnet, geht es für die Schüler in der Pazmanitengasse an die Hausaufgaben – und für Hilda an die Arbeit. Ruhig und besonnen sitzt die 78-Jährige inmitten der grübelnden Mädchen und Burschen: "Nicht raten, du sollst rechnen!", neckt sie einen ihrer Schützlinge. Unübersehbar ist, wie sehr die Wienerin gebraucht wird. Immer wieder strecken ihr Kinder erwartungsvoll Übungshefte entgegen. Hilda kümmert sich bereitwillig, bessert aus, wo es notwendig ist und hilft auf die Sprünge, wo Zweifel bestehen.
Die Arbeit mit den Schülern ist zweifelsfrei intensiv. Konflikte hätte sie in ihrer Zeit als Freiwillige trotzdem noch keine erlebt, sagt die rüstige Pensionistin. Hortleiterin Sabine Karel empfindet Hildas Engagement als Bereicherung. "Die Betreuung ist eine Herausforderung, Hilda fügt sich aber wunderbar in die Gemeinschaft der Kinder ein. Ihre offene und natürliche Art kommt sehr gut an", sagt Karel. Eine Nachmittagsbetreuung, bei der kein Schüler zu kurz kommt, sei ohne die freiwilligen Helfer ohnehin kaum mehr denkbar. An vier Tagen in der Woche kommen deswegen Freiwillige in den Hort der Gemeinde Wien. "Die Kinder brauchen die Unterstützung, um die Hausübungen bewältigen zu können. Oft scheitert es schon beim Lesen der Aufgabenstellung", weiß Karel. Hilda wisse intuitiv, wo Hilfe benötigt wird – "und ist dabei unaufdringlich und dennoch präsent."
Männermangel
Einen Appell richtet Hilda an ihre männlichen Altersgenossen: "Es sollten sich viel mehr Männer melden, weil die Kinder oft wenig Kontakt zu Vaterfiguren haben."
Tatsächlich ist der Großteil der Freiwilligen bei FREI.Spiel weiblich. Unter den 70 aktiven Freiwilligen sind derzeit sieben Männer, berichtet Freiwilligenkoordinatorin Eva Huber. Bei der Altersverteilung zeige sich hingegen ein ausgeglichenes Bild. "Rund die Hälfte unserer Freiwilligen machen Studenten oder berufstätige Menschen aus. Die andere Hälfe entfällt auf Senioren, die sich sozial betätigen wollen", erklärt Huber. Die Ursprungsberufe der Helfer könnten kaum unterschiedlicher sein. "Die Freiwilligen kommen nicht nur aus Sozialberufen, wie man vielleicht vermuten würde. Im Gegenteil: Von der Wirtschaftsexpertin bis zum Verkäufer ist alles dabei", ergänzt Dorith Salvarani-Drill.
Bedarf an Freiwilligen besteht der Mitgründerin zufolge nach wie vor. Wer sich für die Freiwilligenarbeit bei FREI.Spiel entscheidet, wird entsprechend betreut. "Für uns ist wesentlich, dass sich alle Freiwilligen wertgeschätzt fühlen. Deshalb bieten wir weiterführende Angebote, wie Workshops, Supervision oder Gruppentreffen zur Vernetzung an", erklärt Salvarani-Drill.
Erfüllung im Alter
Für Hilda ist die Freiwilligenarbeit mit Kindern jedenfalls genau das Richtige. "Ich kann es jedem empfehlen, der sich zu Hause vielleicht einsam fühlt. Man sollte sich das einfach einmal anschauen. Dann wird man schnell sehen, dass man in der Pension immer noch gebraucht wird und etwas Sinnvolles beitragen kann."
Wenn die Hausaufgaben erledigt sind, haben die Kinder Zeit zum Spielen. Auch hier bringt sich Hilda gerne ein. "Ich lasse mir die Spiele erklären, viele kenne ich ja nun nicht mehr", gibt sie zu und lacht. Um 16 Uhr beginnen sich die Klassenzimmer langsam zu leeren. Hilda bleibt auch an diesem Montag solange sie gebraucht wird – und kommt nächste Woche wieder.
Interview: "Großeltern zum Ausborgen füllen die Lücke"
Die Soziologin Birgit Blättel-Mink erforscht, was Pensionisten dazu bringt, auf fremde Kinder aufzupassen.
KURIER: Warum steigt die Nachfrage nach Leihgroßeltern?
Birgit Blättel-Mink: Ein Aspekt ist die wachsende Unvereinbarkeit von Familie und Beruf. Durch den steigenden Anteil an berufstätigen Müttern bildet sich eine Lücke in der Versorgung, die nicht immer durch kostenpflichtige Leistungen gefüllt werden kann. Hinzu kommen die Urbanisierung und der steigende Grad der Mobilisierung berufstätiger Mütter und Väter. Oma und Opa sind also oft nicht mehr in der Nähe und als Betreuer für den Nachwuchs nicht mehr greifbar.
Welche Motive treiben Leihomas- und opas an?
Sie nehmen die angesprochene Versorgungslücke wahr und wollen diese füllen. Außerdem verspüren sie den Wunsch nach der Weitergabe von Erfahrung und nach einer alternativen Beschäftigung im Alter. Leihopas haben oft das Gefühl, die Rolle des Vaters bei den eigenen Kindern nicht erfüllt zu haben und wollen Versäumtes nachholen. Das ist ein entscheidender Unterschied zu Leihomas, die vielmehr darauf hoffen, dass die Leihenkel ihnen später einmal etwas zurückgeben.
Welches Konfliktpotential besteht, wenn die Kinderbetreuung aus der Familie ausgelagert wird?
Konflikte, wie sie in Familien zwischen Eltern und Großeltern auftreten, gibt es bei Leihopas und Leihomas selten. Leihgroßeltern stellen ihre Zeit zur Verfügung und grenzen sich daher automatisch ab. Entscheidungen werden den Eltern überlassen, auch wenn ein starker Bezug zum Kind da ist.
Was braucht es, damit die Idee funktioniert?
Bei Männern ist es zuträglich, wenn sich die Partnerin auch in die Betreuung einbringt. Wesentlich ist, dass Instanzen, die zwischen Leihgroßeltern und Eltern vermitteln, Unterstützungsangebote bereitstellen. Zu guter Letzt sollten sich der Leihgroßeltern von den Eltern wertgeschätzt fühlen.
Hier können sich Senioren engagieren:
FREI.Spiel sucht Freiwillige, die regelmäßig Horte besuchen und Kindern dort Zeit schenken.
Der Omadienst des Katholischen Familienverbandes bringt Leihomas und Familien zusammen. Dabei wird auf Wohnnähe geachtet.
Die Initiative Lernbegleitung der Organisation Wohnpartner vermittelt Lernbegleiter an Kinder aller Altersklassen.
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