Klima-Ikone mit Asperger: Wie ihr Aktivismus Greta fordert und fördert

Greta Thunberg spricht regelmäßig vor vielen Menschen: Hier auf der Bühne beim R20 Austrian World Summit am Wiener Heldenplatz.
Greta Thunberg hat das Asperger-Syndrom. Was das für ihren Alltag bedeutet und warum die Entwicklungsstörung auch Quelle ihres Engagements ist.

Über 650.000 Menschen folgen Greta Thunberg auf Twitter. Auf dem sozialen Netzwerk, wo die Initiatorin der Protestbewegung "Fridays for Future" beinahe täglich aktiv ist, steht auch folgender Beschreibungstext: "16-jährige Klimaaktivistin mit Asperger".

Daraus, dass bei ihr das Asperger-Syndrom diagnostiziert wurde, macht die junge Schwedin kein Geheimnis. Sie empfindet die milde Form des Autismus auch nicht als hinderlich, im Gegenteil: "Meine Diagnose ist eine Hilfe. Sonst hätte ich wohl einfach so weitergelebt wie viele andere Menschen", sagte sie dazu Anfang des Jahres in einem Interview mit dem deutschen Spiegel.

Stärke statt Störung

Wenn es um Umweltschutz geht, lässt Greta keine Zwischentöne zu: "Entweder besteht unsere menschliche Zivilisation fort – oder nicht", erklärte Greta dazu im Spiegel-Interview. Dieses konsequente, unangepasste Schwarz-Weiß-Denken ist laut Experten typisch für Menschen mit Asperger.

Eine Autismus-Studie, die erst vor einigen Monaten veröffentlicht wurde, zeigt auch: Von der angeborenen Entwicklungsstörung betroffene Kinder lassen sich weniger dreinreden. Sie halten an ihrer Meinung fest, auch wenn jemand versucht, sie zu beeinflussen. Der Befund untermauert frühere Forschungen, die belegen, dass Autisten soziale Informationen weniger gewichten. Was ihr Ansehen betrifft, sind sie weniger sensibel – und auch weniger empfänglich für Schmeicheleien.

Wie eingangs erwähnt, wurde bei Greta eine abgeschwächte Form von Autismus festgestellt. Die genannten autistischen Züge lassen sich in Ansätzen erkennen: Die 16-Jährige spricht umweltpolitische Missstände schonungslos an, benennt den Klimawandel als das, was er ist: eine Klimakrise, die in einer Klimakatastrophe enden könnte. Ihre entschlossene, unnachsichtige Rhetorik und die energischen Forderungen haben sie nicht zuletzt zur modernen Ikone der Klimabewegung gemacht.

Um auf die globale Erderwärmung aufmerksam zu machen, legt sich Greta auch ganz selbstverständlich mit den Mächtigen der Welt an. Sogar über US-Präsident Donald Trump, bekennender Klimawandel-Leugner, äußerte sie sich kritisch: "Ich weiß nicht, was ich Trump sagen würde, sollte ich ihm begegnen. Sehr wahrscheinlich nichts, weil mit ihm die Dinge nicht funktionieren. Jemand anderer wird ihn (in Sachen Umweltschutz, Anm.) überzeugen müssen, denn ich habe dazu keine Zeit", sagte die Schwedin im April im Interview mit dem italienischen TV-Sender Sky Italia.

Auch stereotypes Verhalten und das Festhalten an Gewohnheiten und Ritualen sowie Spezialinteressen – etwa für Mathematik, Geschichte, Geografie oder andere Wissenschaften – gelten als typisch. Letzteres scheint bei Greta besonders ausgeprägt zu sein.

Interaktion als Herausforderung

Betroffene haben außerdem Schwierigkeiten bei der sozialen Interaktion und Kommunikation. Das äußert sich in der Regel darin, dass es ihnen schwerfällt, nonverbale Signale (Gestik, Mimik oder Blickkontakt) bei anderen intuitiv zu deuten. Darüber hinaus haben sie Probleme, sich in andere Menschen hineinzuversetzen.

Umso beachtlicher ist es, dass Greta seit ihrem Aufstieg zum Klimaschutz-Idol regelmäßig vor tausenden Menschen spricht, für Interviews Journalisten trifft und an Demonstrationen teilnimmt.

Tatsächlich ist ihr umweltpolitisches Engagement oft sehr fordernd für die junge Frau: "Mein ganzes Leben war ich unsichtbar, das unsichtbare Mädchen im Hintergrund, das nichts sagt. Von einem Tag auf den anderen hören die Leute mir zu. Das ist ein komischer Gegensatz. Es ist schwierig", sagte sie im Interview mit der New York Times dazu.

Gretas Sicht der Dinge

Wenn es um ihr Spezialgebiet geht, ist sie dennoch bereit, diese Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen: "Natürlich braucht es viel Energie. Ich habe nicht viel Freizeit. Aber ich erinnere mich immer wieder daran, warum ich das tue, und versuche dann einfach, so viel wie möglich zu tun", erklärte sie dem Guardian.

Im Interview mit dem ZDF brachte die Klimaschutz-Aktivistin ihre Sicht der Dinge kürzlich auf den Punkt: "Ich denke, wenn ich kein Asperger hätte, wäre das hier nicht möglich gewesen. Ich hätte einfach weiter so gelebt und gedacht, wie jeder andere auch. Ich sehe die Welt aus einer anderen Perspektive."

Was ist Autismus?

Laut der Autistenhilfe Österreich handelt es sich bei Autismus um "eine Entwicklungsstörung, die Auswirkungen darauf hat, wie sich eine Person verhält, kommuniziert, mit anderen Menschen in Beziehung tritt und die Umwelt wahrnimmt". Autismus wird oft auch als Informations- und Wahrnehmungsverarbeitungsstörung bezeichnet. Dieser Begriff verdeutlicht, dass Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) Informationen, die sie in der Umwelt wahrnehmen, auf andere Art und Weise verarbeiten.

Internationalen Schätzungen zufolge ist ungefähr ein Prozent der Gesamtbevölkerung eines Landes von einer Autismus-Spektrum-Störung betroffen. Für Österreich sind bislang keine exakten Häufigkeitszahlen vorhanden und es können nur die internationalen Schätzungen herangezogen werden. Anhand dieser Daten kann man davon ausgehen, dass in Österreich ca. 87.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Autismus-Spektrum-Störung leben. Es sind weitaus mehr Burschen beziehungsweise Männer als Mädchen und Frauen betroffen.

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