Kampfsport: Warum immer mehr Frauen sich durchboxen

Kampfsport: Warum immer mehr Frauen sich durchboxen
Immer mehr Frauen machen Kampfsport. Doch vor Wettkämpfen schrecken die meisten zurück. Michaela Kotásková, vierfache Staatsmeisterin im Boxen, weiß wie hart der Weg nach oben ist.

Mit fließenden Bewegungen wickelt Michaela Kotásková die Bandagen um ihre Hände. Zweimal ums Handgelenk, dann sind die Finger dran. Meist schaut sie gar nicht hin, für Kotásková ist das längst Routine. Seit mittlerweile acht Jahren trainiert die 31-Jährige hier im 16.Bezirk in der Enekelstraße 26 im Boxclub „Bounce“.  Mit dem Boxen begann sie noch 2014 in ihrer tschechischen Heimat. Zunächst nur „aus Fitnessgründen“, wie sie selbst sagt.

Kotásková hat die Haare streng zurückgebunden. Sie trägt ein weißes Sport- T-Shirt, auf dem die Logos einiger Sponsoren und ihres Vereins prangen, dazu eine schwarze, kurze Sporthose. Ihre Schultern und Arme sind muskulös, die Beine durchtrainiert. Als Michaela Kotásková 2016 in den Wettkampfkader kam, war sie lange Zeit die einzige Frau im Verein, die Wettkämpfe bestritt. Mittlerweile sind sie zu zweit. Neben ihr ist auch die 20-jährige Anastasija Lukajic im Kader.

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Im Boxsport gibt es auf Wettkampfebene zwei unterschiedliche Formate. Einerseits das „olympische Boxen“, andererseits das „Profiboxen“. Wobei „Profi“, anders als im Fußball nicht heißt, dass man davon leben könnte. Während die Technik des Boxens in beiden Disziplinen gleich bleibt, ist das Regelwerk jeweils ein anderes.

Beim olympischen Boxen werden Kämpfe zum Beispiel nur über drei statt acht, zehn oder 12 Runden ausgetragen. Außerdem tragen die Sportlerinnen oder Sportler im Ring ein Trikot, boxen also mit bedecktem Oberkörper. Das Trikot hat die Farbe der jeweiligen Ringecke – also des zugehörigen Teams – damit die Punkterichter die Kämpfer besser voneinander unterscheiden können. Beim olympischen Boxen trägt man zudem einen Kopfschutz.

Offizielle Kämpfe werden im Boxen über die International Boxing Association (IBA) ausgerichtet. In Österreich läuft die Organisation des olympischen Boxens über den Österreichischen Boxverband (ÖBV). Er ist Mitglied der IBA. Laut Bundesnachwuchstrainer Daniel Nader, der seit 2016 auch Michaela Kotáskovás trainiert, haben im vergangenen Jahr nur rund zwanzig Frauen im ÖBV einen Kampfpass beantragt.

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Die Geschichte des Boxsports der Frauen reicht nicht weit zurück. Bis vor drei Jahrzehnten war es Frauen sogar verboten, Wettkämpfe zu bestreiten. Erst 1994 gab der Deutsche Amateur-Boxverband den Ring offiziell für Frauen frei. Seit 2012 dürfen sie bei den Olympischen Spielen dabei sein.

Immer mehr Mädchen interessieren sich fürs Boxen

Michaela Kotásková ist vierfache Österreichische Staatsmeisterin. Seit 2022 kämpft sie im Profilager. Als selbstständige Trainerin freut es sie, dass sich auch immer mehr Mädchen fürs Boxen interessieren: „Es kommen viele Mädels, die sind gerade einmal elf oder zwölf. Oft ist es eine Sache des Selbstvertrauens. Anfangs sind sie oft schüchtern. Nach ein paar Wochen Training merkt man, dass sie selbstbewusster werden. Das Auftreten wird sicherer. Sie fühlen sich stärker.“

Auch Daniel Nader, Trainer im Boxclub „Bounce“, bestätigt den Trend: „Heute kommen viel mehr Frauen zu uns ins Training als früher.“ Und tatsächlich bieten immer mehr Studios und Vereine inzwischen Trainings explizit für Frauen an. Dass das Boxen ein forderndes, aber lohnendes Workout ist, kann Kotásková nur bestätigen: „Beim Boxen brauchst du Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Koordination und Beweglichkeit. Es ist wahnsinnig anstrengend.“

Doch obwohl sich immer mehr Frauen für den Boxsport interessieren, schrecken vor Wettkämpfen immer noch die meisten zurück.

Frauen schrecken vor Wettkämpfen zurück

Daniel Nader erklärt das so: „Die Vorbereitung für einen Wettkampf erfordert viel Zeit. Und gerade bei Frauen ist es oft schwierig, das mit Kind, Haushalt, und Job zu vereinbaren.“ Außerdem müsse man im Kampfsport mit Verletzungen rechnen: „Das schreckt viele ab. Ein blaues Auge bei einer Frau ist nicht besonders ästhetisch.“

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Daniel Nader trainiert seit 2016 Michaela Kotásková im Boxclub "Bounce"

Michaela Kotásková kennt viele sexistische Vorurteile gegenüber Frauen, die boxen. „Kämpfen als Frau, das macht man nicht. Frauen sollten tanzen gehen und Gymnastik machen. Das ist eine männliche Sportart. Solche Sprüche habe ich oft gehört“, erzählt die 31-Jährige.

Und sie hat sie weggesteckt: „Ich nehme das nicht persönlich. Die Leute in meinem Umfeld reagieren positiv. Was fremde Leute denken, ist mir egal.“

Im Profiboxen geht es darum, Sponsoren zu gewinnen

Für Kotásková stand der Sport immer im Vordergrund. „Als ich im olympischen Boxen kämpfte, trug ich bei den Wettbewerben ein Unisex-Dress mit Hosen, die den halben Oberschenkel bedeckten und einen Schutzhelm. Da war das Aussehen egal, da ging es nur um den Sport.“ Im Profiboxen ist das anders: „Da trägst du nur einen Sport-BH und einen kurzen Rock oder eine kurze Hose. Da ist viel Körper zu sehen. Du trägst auch keinen Kopfschutz. Es ist also viel weiblicher. Das Geschlecht spielt eine größere Rolle.“

Außerdem gehe es im Profiboxen auch darum, Sponsoren zu gewinnen, erklärt die Boxerin: „Ich schaue darauf, was ich anziehe. Denn, so traurig das ist, ich muss schauen, dass ich für die Sponsoren attraktiv bin. Ich verkaufe schließlich Kleidungsfläche für sie.“

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Michaela Kotásková mit dem WBF Intercontinental Gürtel

Im Gegensatz zum olympischen Boxen, wo der Österreichische Boxverband Wettkämpfe organisiert und alles rundherum bezahlt, ist man beim Profiboxen selbstständig. „Du hast einen Trainer, der macht die Wettkämpfe aus und koordiniert alles. Die Sponsorensuche ist aber meine Sache“, erläutert Kotásková.

Seitdem sie Profiboxerin ist, habe sie einen Jahressponsor, der sie monatlich mit einem Betrag unterstützt. Dennoch bekämen Frauen im Profiboxen immer noch weniger bezahlt, erzählt sie weiter: „Es gab Angebote, die echt lächerlich waren.“ Kotásková verdient sich nebenbei als selbstständige Trainerin etwas dazu. „Mit allem zusammen kann man gut über die Runden kommen.“

Dafür müsse man aber viel tun: „Man muss zu den Sponsoren gehen, und die Kontakte pflegen. Das ist nicht so, dass die auf mich zukommen. Frauen Boxen ist in Österreich, anders als in den meisten Balkan-Ländern, immer noch eine Nische.“

Kotáskova steht gemeinsam mit ihrer Trainingspartnerin Lukajic im Ring. Die Übungen wirken wie eine einstudierte Choreografie. Kotásková greift mit einem geraden Schlag an, Lukajic weicht aus, indem sie den Kopf aus der Schlagbahn bringt, und kontert dann ebenfalls mit einem geraden Schlag. Die Schläge, die die beiden austauschen, sind dynamisch und tun allein beim Zuschauen weh.

Frauen haben Hemmungen zuzuschlagen

Kotásková weiß, dass damit vor allem Frauen ein Problem haben. „Am Anfang haben die meisten Hemmungen zuzuschlagen. Sie haben Angst, der anderen wehzutun. Viele fragen nach, ob es eh nicht zu viel war und entschuldigen sich.“  Frauen seien es aus dem Alltag nicht gewohnt ihre Stärken auszutesten. „Sie wissen gar nicht, was stark oder schwach ist. Wir tasten uns dann langsam an dieses Gefühl heran“, erzählt Kotásková.

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Wenn Lukajic und Kotásková im Ring trainieren, wirkt das wie eine einstudierte Choreografie

Kotásková selbst trainiert zweimal am Tag für je zwei Stunden. Dabei boxt sie nicht nur, sie hebt auch Gewichte, macht Liegestütze oder hält für mehrere Minuten eine Plank-Position. Im Training, erklärt Kotásková, „geben die Männer früher auf als die Frauen. Frauen können mehr über ihre Grenzen gehen. Frauen sind Maschinen.“

Jeden Tag ein Marathon

Das beweist sich die 31-Jährige auch immer wieder selbst. Im Sommer lief sie 1.422 Kilometer von Wien nach Rom. Ein Spendenlauf für die Organisation Rote Nasen. Jeden Tag ein Marathon – und das 36 Mal hintereinander. Im Jahr zuvor lief sie den Jakobsweg in Spanien – 840 Kilometer in 20 Tagen. „Ich habe eine Leidenschaft dafür, meine eigenen Grenzen zu finden. Die findet man nur, wenn man sich ständig steigert.“

Weltmeistertitel als nächstes Ziel

Sie selbst habe ihre Grenze noch nicht gefunden, sagt Kotásková. „Das Ziel ist, im nächsten Jahr, um den Weltmeistertitel zu kämpfen in diesem Verband. Ich würde dann gegen die jetzige Weltmeisterin, Ikram Kerwat, kämpfen. Wenn ich gewinne, schnappe ich mir den Gürtel.“  Ans Aufhören denkt die 31-Jährige jedenfalls nicht, erzählt sie: „. Ich mag es, das Leben zu spüren – und das spürst du nicht, wenn du zu Hause auf der Couch sitzt.“

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