Wie wird mein Sohn später kein toxischer Mann?
Wie erzieht man Buben, damit sie später nicht zu toxisch-problematischen Männern werden?
Wir leben in einer Zeit, in der Gewalt verurteilt wird, jedoch nicht sinkt – und man gefühlt jeden Tag von einem weiteren Femizid in den Nachrichten liest. Auch Begriffe wie Mansplaining, Manspreading, Gaslighting oder Victim Blaming haben mittlerweile ihren Weg in den alltäglichen Sprachgebrauch gefunden.
Buben-Eltern wollen natürlich, dass ihre Söhne zu glücklichen, physisch wie psychisch gesunden Erwachsenen werden. Doch auf sie wartet eine Zukunft der multiplen Krisen – und sie leben in einer Gegenwart, in der sich immer mehr junge Männer in veraltete, konservative Normen und noch mehr Härte flüchten.
Jugendliche müssen heute lernen, sich nicht in Manospheren und in gewaltvoller Männlichkeit zu verlieren. Die große Frage für Eltern ist also: Wie schaffen sie es, dass aus ihren Söhnen keine toxischen Alpha-Males werden, die anderen und sich selbst schaden?
Genau diese Frage hat sich die deutsche Journalistin und Autorin Anne Dittmann gestellt, als sie selbst Mutter eines Sohnes wurde. In ihrem Buch "Jungs von heute, Männer von morgen" (2025, Kösel-Verlag) gibt sie Eltern Tipps, wie sie ihre Söhne zu Empathie, Respekt und Fürsorge erziehen können – und plädiert dafür, die Vorbildfunktion von Müttern für Buben zu stärken.
Zu Beginn Ihres Buches erzählen Sie, dass Sie sich während Ihrer Schwangerschaft eher ein Mädchen als einen Buben gewünscht hätten. Warum das?
Anne Dittmann: Ich hatte zuvor keinen positiven Bezug zur Buben-Erziehung, denn männliches Verhalten ist mir meist negativ aufgefallen. Ich bin ostsozialisiert, sprich ich komme aus einer Familie, in der die Frauen immer gearbeitet haben. Meine Großmütter waren Ingenieurin und Ärztin, meine Mutter hat auch immer Vollzeit gearbeitet.
Doch die haben nicht nur gearbeitet, sondern auch den Haushalt geschmissen und sich um die Kinder gekümmert. Ich habe von klein auf wahrgenommen, dass es da eine Ungleichbehandlung gab. Es gab keinen Bezug von Männlichkeit zum Care-Thema für mich.
Also haben sich die Männer in Ihrer Familie de facto nur auf die Lohnarbeit konzentriert?
Genau, wodurch zu ihnen eine ganz andere Form der Bindung entstanden ist. Und ja, dann ist man selbst schwanger und bekommt plötzlich gesagt: "Es wird ein Bub". Ich hatte Bilder davon, wie ein Mädchen emanzipiert aufwächst. Aber wie man einem Buben Emanzipation von den alten Rollenmustern beibringt … davon hatte ich zuvor keine Vorstellung.
Sie schreiben auch: "Die Wahrheit ist, wir haben unsere Söhne noch nie zu starken Männern erzogen." Damit beziehen Sie sich auf die Resilienzforschung, die zeigt, dass schon kleine Buben schlechter mit Stress- und Krisensituationen umgehen können als Mädchen. Wie sieht denn diese männliche Bewältigung, die sich schon im Kindesalter zeigt, denn oft aus?
Das Thema Resilienz geht hier einher mit Männlichkeitsnormen. Vor rund 20 Jahren wurde in der Psychologie ein Fragenkatalog namens "Conformity to Masculine Norms Inventory" entwickelt. Dieser gilt auch heute global als Messinstrument, um Männlichkeitsvorstellungen zu erfassen. Damit wurden elf verschiedene Eigenschaften ausfindig gemacht, die als "männlich" assoziiert werden – darunter etwa Dominanz, emotionale Kontrolle, Selbstständigkeit und so weiter. Das sind die Normen, an die sich Männer gemeinhin anpassen.
Als "männlich" gilt zum Beispiel in Managerkreisen eine gewisse Risikobereitschaft und der Wille, zu gewinnen. Oder man wirft einen Blick auf die Autobahnen und schaut, wer da meistens rast. Auch die Geringschätzung von Homosexualität sowie das Streben nach Status oder nach Macht über Frauen fällt da mit hinein.
Was hat das aber mit der Resilienz von Buben und Männern zu tun?
Studien zeigen, dass Männer, die stark auf diese Normen pochen, ein signifikant höheres Risiko haben, an Depressionen zu erkranken. Also ja, wir haben Männer noch nie zu resilienten Menschen erzogen, denn oft herrscht noch die Vorstellung, der Mann müsse "ein Fels in der Brandung" sein, der immer "stark" ist.
Warum wird das zum Problem?
Weil wir gleichzeitig eine Gesellschaft haben, in der man anpassungsfähig, diplomatisch und flexibel sein muss. Anders funktioniert eine Demokratie auch nicht. Das heißt, wir brauchen eigentlich Männer, die sich da mitbewegen können und auch Zugriff auf ihre Emotionen haben. Die Dinge aushandeln können, sodass sie sich emotional wohl fühlen, ihr Gegenüber aber ebenso, frei von Machtdemonstrationen und Unterdrückung – denn damit versauen sie sich ihre Beziehungen.
Ein gutes Stichwort: Man hört immer mehr, dass Männer sich schwerer damit tun, Freundschaften und soziale Bindungen aufrecht zu halten.
Ja, Männern fällt es noch immer schwerer, Beziehungen und tiefgreifende Freundschaften zu pflegen, in denen sie sich wirklich anvertrauen und auch um Hilfe bitten können. Dabei ist das eine große Resilienz-Ressource – und die haben schon kleine Buben weniger als Mädchen. Man sieht das später auch im Erwachsenenleben: Männer sterben früher, werden häufiger krank, sie sterben auch öfter durch Unfälle, Drogenkonsum, Alkoholismus oder an Risikoverhalten.
Und sie haben eben weniger Beziehungen, sind häufiger einsam. Das heißt, sie haben einerseits mehr Privilegien, was Status und Macht angeht, aber andererseits ein emotional und gesundheitlich schlechteres Leben. Und das ist eigentlich alles andere als "stark".
Wenn man all das weiß und die Gesundheit von Männern erwiesenermaßen darunter leidet, warum werden wir diese Männlichkeitsnormen trotzdem noch immer so schwer los?
Weil Weiblichkeit immer noch im Status unter Männlichkeit steht und ein Mann, der "weibliche Eigenschaften" aufweist, kein "echter" Mann ist. Also jemand, der über seine Gefühle spricht, der auch mal weint ... Buben wird schon ganz früh gesagt: "Du bist doch ein Mann, wein doch nicht! Drück's weg."
Das hat damit zu tun, dass wir alle diese Vorstellungen von Männlichkeit über lange Zeit internalisiert haben, nicht nur die Männer. Sprich wir alle müssen an die Erziehung ran und unsere eigenen Vorurteile hinterfragen. Warum denken wir uns zum Beispiel nicht: "Hey, cool, mein Sohn spricht über seine Gefühle – das wird ihm später im Leben nützen"? Wir müssen unsere Sichtweise von Status ändern, damit unsere Söhne später ein Leben haben, das nicht nur von finanziellem Erfolg und Gewinnen, sondern auch durch erfüllende Beziehungen bereichert ist. So werden sie nämlich wirklich stärker.
Sie machen sich im Zuge dessen für das Konzept der Caring Masculinities stark, als Gegenentwurf zur Toxic Masculinity. Wie profitieren Buben und Männer davon?
Der Kern davon ist, dass Männlichkeit und Gefühle sich nicht ausschließen, im Gegenteil – und dass Männer nicht alles externalisieren müssen, also nicht sofort aggressiv werden. Auch Selbstfürsorge ist ein wichtiges Thema: den eigenen Körper nicht als "Maschine" zu begreifen, sondern als etwas, das ich pflegen muss und gesund halten möchte.
Dazu gehört ebenso, dass Buben und Männer Zuhören und um Hilfe bitten können und erkennen, wie wichtig Lernen ist, um Anerkennung zu bekommen und den eigenen Lebensverlauf konstruktiv in die Hand zu nehmen. All das ist ein Teil von Selbstfürsorge.
Wie können Caring Masculinities die Gesellschaft bereichern?
Caring Masculinities beinhalten viele Aspekte, die vom eigenen Körper ausgehen, bis hin zum Umfeld und der Wirkung, die man selbst in der Gesellschaft hat. Wir wollen dahin kommen, dass Männlichkeit nicht mehr bedeutet, das Recht des Stärkeren durchsetzen, sondern stattdessen ein Miteinander gestärkt wird. Wir haben uns schließlich darauf geeinigt, in einer Demokratie leben zu wollen – und alte Männlichkeitsnormen stehen dem entgegen. Das merken wir mit dem aktuellen Backlash oder bei manchen politischen Entwicklungen derzeit sehr.
"Kinder, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem alle Gefühle akzeptiert werden, können Krisen eher bewältigen," schreibt Autorin Anne Dittmann.
Wirft man einen Blick in die sozialen Medien, dann begegnen Buben und jungen Männern Influencer wie Andrew Tate und Co., die Härte und Frauenverachtung propagieren. Wie kann man als Elternteil dafür sorgen, dass der eigene Sohn nicht Teil dieser Alpha-Male-Bewegung wird?
Ein großes Problem ist, dass der Algorithmus beispielsweise auf TikTok sofort merkt, wenn er es mit einem männlichen Teenager oder jungen Mann zu tun hat. Man gibt etwa "Mental Health" oder "Sport" ein – und schon landet man bei irgendwelchen Coaches, die sagen, dass Männer nicht mehr masturbieren sollen, um erfolgreich bei Frauen zu werden. Das unfreiwillige Rutschen in die Manosphere passiert auf Social Media leider sehr schnell.
Aber "verhindern" und "verbieten" sollte kein Kernkonzept von Medienerziehung sein, das ist ein destruktiver Ansatz. Das Handy wegzusperren bringt nichts, denn die Freunde haben Instagram und Co., sprich mein Kind kommt eben über andere Handys dorthin. Wir können es also nicht vermeiden.
Kann man als Elternteil überhaupt entgegenwirken?
Ja, wir Eltern müssen hier aktiv begleiten. Etwa, indem man gemeinsam mit dem Kind auf Social Media geht und fragt: "Was interessiert dich denn? Spiele und Filme? Okay, ich habe hier ein paar tolle Accounts dazu rausgesucht, die teile ich mit dir." Sprich: Wir tasten uns gemeinsam im Social Media vor, damit ich weiß, was mein Kind dort macht. Und ich signalisiere Offenheit dafür: "Wenn dir etwas komisch vorkommt, dann rede bitte mit mir."
Es heißt im Erziehungsdiskurs oft, dass Buben oder junge Männer männliche Vorbilder brauchen. Aber Sie sagen in Ihrem Buch: Nein, auch Mütter können diese Vorbilder sein. Inwiefern?
Nicht nur können, sie sind es, und zwar von Anfang an. Das Narrativ, dass Frauen keine Vorbilder für ihre Söhne sein können, bzw. dass Söhne automatisch ihren Vätern ähnlicher sind, ist sehr alt und geht auf Sigmund Freud und den Ödipuskomplex zurück. Dass es sich hierbei um einen kulturellen Irrglauben handelt, ist in der Forschung längst Konsens, hat sich aber noch kaum in die gesellschaftliche Wahrnehmung übertragen. In vielen Elternratgebern oder -podcasts höre ich immer wieder Väter sagen, sie hätten "von Natur aus eine besondere Bindung" zu ihren Söhnen – oder, dass sie gerade bei ihren Söhnen viel involviert sein müssten, denn sonst würden keine "echten Männer" aus ihnen werden. Das ist natürlich Blödsinn und entwürdigt auch die Arbeit von alleinerziehenden Müttern.
Sind sich Mütter ihrer Vorbildrolle für ihre Söhne bewusst?
Nicht immer. Und wenn Mütter ihren Söhnen vorleben: "Du sollst nicht so werden wie ich, weil ich bin ja eine Frau und du ein Mann", dann ist das auch eine Vorbildfunktion - nämlich ein Antivorbild.
Manche Mütter sagen von sich aus, sie identifizieren sich mehr und stärker mit ihrer Tochter als mit ihrem Sohn, da er ja das geschlechtliche Gegenstück von ihnen selbst ist. Und Töchter werden meist mehr in die Betreuung von kleinen Geschwistern eingebunden, die Buben eher weggeschickt, weil "die können das ja nicht so gut". Das stimmt nicht, aber die Denkweise in vielen Müttern tendiert zu einem "er ist wie sein Vater".
Warum kann sich das negativ auf Söhne auswirken?
Weil wir unsere Söhne damit von uns stoßen. Das sieht man beispielsweise auch, wenn sie langsam ins Teenageralter kommen, mit elf oder zwölf Jahren. Viele Mütter werden da oft unruhig und denken sich: "Warum hängt er immer noch so an mir?" Dann sagen sie zu ihnen: "Was machst du denn hier bei mir in der Küche? Geh doch mal zu deinem Vater und schau, was der in der Garage macht." Denn es besteht die große Angst, dass aus dem Sohn ein "Muttersöhnchen" wird – und die Mutter somit in der Erziehung "versagt hat". Es herrscht bei Müttern also auch ein Druck, ihre Söhne ab einem gewissen Alter abzunabeln. Und das ist für viele Buben sehr verletzend: Wenn die engste Bezugsperson, die die Mutter meistens viele Jahre lang war, einen plötzlich wegschickt, während sie das bei der Schwester aber nicht macht.
Nebst dieser emotionalen Verletzung lernen sie auch: "Ich darf nicht so sein wie meine Mama". Und dann kommen die Männlichkeitsnormen ins Spiel, weil sie sich daran anhalten können. Sprich, dass jede Form von Care-Arbeit, Emotionen, Weinen etc. nicht dem entspricht, wie sie sein dürfen.
Was raten Sie Müttern also im Umgang mit ihren Söhnen?
Frauen sollten sich unbedingt als positive Vorbilder für ihre Söhne sehen. Mütter müssen hier ein bisschen ihre eigene Weiblichkeit aufbrechen – denn wir haben genauso Interessen, die auch Männer haben. Und wenn wir selbst verinnerlichen, dass wir uns nicht nur auf weiblich assoziierte Eigenschaften reduzieren lassen, können wir das unseren Söhnen auch so vorleben und ihnen zeigen, dass wir ihre Hobbys ebenso teilen können. Dass wir gemeinsam "Minecraft" zocken können und dass ich ihm auch beibringen kann, wie man eine Paprika schneidet oder wie man ein Stoffbeutelchen näht. Weil warum auch nicht?
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