Männerforscher: "Sehen Backlash traditioneller Männlichkeit"

In der Gastronomie und Hotellerie sind zuletzt anonyme und/oder Fake-Bewertungen im Internet verstärkt thematisiert worden.
Mädchen liberal, Burschen konservativ: So lässt sich die Gesellschaft neuen Studien zufolge einteilen. Woran liegt das - und warum hadern die Jungen mit progressiven Geschlechterrollen?

Frauen sind das Eigentum der Männer. Frauen gehören in die Küche. Frauen sind mitschuldig, wenn sie vergewaltigt werden. Das sind nur einige der Botschaften von Andrew Tate, die der frauenfeindliche Influencer über Jahre auf seinen Social-Media-Accounts verbreitete. Mittlerweile ist Tate unter anderem wegen Menschenhandels angeklagt worden. Viele seiner Online-Profile, denen Millionen junger Burschen folgten, wurden gelöscht.

Doch Tates erzkonservativer und sexistischer Einfluss zeigt Wirkung, wie gleich mehrere aktuelle Studien zeigen. Während junge Frauen von Jahr zu Jahr liberaler werden, sich für Chancengleichheit und Feminismus einsetzen, werden junge Männer immer konservativer, und zwar quer durch alle Kontinente. Männer unter 30 sind zudem feminismuskritischer als Männer über 60, und vor allem Vertreter der Generation Z (18-24 Jahre) finden, dass die Gleichberechtigung inzwischen so weit geht, dass nun Männer diskriminiert werden.

Gleichzeitiger Fortschritt und Gegenschlag ist neu

Männerforscher Christoph May überrascht das nicht. "Wir sehen überall einen Backlash der traditionellen Männlichkeit. Häusliche Gewalt nimmt zu (siehe unten, Anm.), männerdominierte Parteien kommen an die Macht, misogyne Influencer wie Andrew Tate erreichen die Jungen", sagt er im Gespräch mit dem KURIER.

Dass sich auf Gleichstellungserfolge Gegenreaktionen einstellen, ist zwar kein neues Phänomen. Sehr wohl allerdings, dass Bewegung und Gegenbewegung nicht mehr im Wechsel passieren, sondern wie eine Schere auseinander laufen, so die Autorin Susanne Kaiser ("Backlash - die neue Gewalt gegen Frauen"). Grund dafür sei auch Social Media.

Denn während Frauen in immer höhere Machtpositionen aufsteigen, in ehemaligen Männerdomänen Karriere machen und sexuell selbstbestimmt leben, florierte zeitgleich der Antifeminismus in obskuren Ecken des Internets, in der Mannosphäre oder in Incel-Foren. Das sei lange zu wenig beachtet worden - und ist mit Tate im Mainstream angekommen. 

Cristiano Ronaldo und Johnny Depp als Vorbilder

"Während über die Emanzipation der Frau viel berichtet wurde, blieb das männliche Wegkippen nach rechts medial unterbeleuchtet", sagt auch Männerforscher Markus Theunert. Der Psychologe attestiert den jungen Männern Überforderung. Traditionelle Männlichkeitsnormen hätten sich im Kern nicht gewandelt, sondern bloß erweitert, sagt er. Männer müssen heute noch immer stark und dominant, aber auch einfühlsam und verletzlich sein. "An die Jungen werden Doppelbotschaften entsandt. Ihr müsst Grenzen überschreiten, ohne Grenzen zu verletzen – ihr müsst sensibel sein, ohne emotional zu werden. Diese Aufgabe ist unlösbar! Dass sie die Orientierung verlieren, ist ganz logisch.“

Vor allem in den Medien werden junge Männer noch stark mit traditionellen Männlichkeitsidealen konfrontiert, bestätigt Autorin Kaiser im KURIER-Gespräch. "Zu den meistbezahlten Menschen gehören eben Alphamänner wie Fußballer Cristiano Ronaldo, der mehrfach wegen Vergewaltigung angeklagt wurde, Fußballprofi Jérôme Boateng mit einer Vergangenheit mit häuslicher Gewalt oder Schauspieler Johnny Depp, der nach dem Prozess gegen Amber Heard im Jahr 2023 die meistgesuchte Person bei Google war. Und diese Vorbilder vermitteln den Jungs, dass sie eigentlich noch immer alles machen können, um erfolgreich zu sein. Das verunsichert total."

Nur ein Drittel der Männer ist progressiv

Und auch im privaten Bereich werde jungen Männern kaum echte Gleichberechtigung vorgelebt, ergänzt Männerforscher May. "Wir sind alle nicht mit Männern aufgewachsen, die uns Vorbilder sein könnten." Kindererziehung und Care-Arbeit werden weiterhin vorwiegend von Frauen erledigt. Frauen sind eher von Altersarmut betroffen. Das eigene Zuhause ist für sie der gefährlichste Ort (siehe Infobox). 

Insgesamt schätzt Männerforscher Theunert den Anteil progressiver, feministischer Männer in der Gesellschaft auf maximal ein Drittel. Ein weiteres Drittel sei zwar offen für eine Modernisierung, "will sich aber nicht mit Männlichkeit auseinandersetzen". Das letzte Drittel fordere offensiv die alte Geschlechterordnung zurück. Der Experte begründet dies mit einem tief verwurzelten männlichen Überlegenheitsgefühl: "Ihr Fundament bildet der Glaube, Männlichkeit sei gott- oder naturgegeben. Männlich ist, wer kein Risiko scheut und keine Schwäche zulässt. Solche Überzeugungen sind bis heute prägend."

Für Influencer wie Andrew Tate sind zweifelnde Jugendliche eine dankbare Zielgruppe. Aber auch für rechtspopulistische Parteien und autoritäre Regime, die Bedrohungsgefühle gezielt stärken. Theunert: "Und zwar immer nach dem gleichen Muster: Archaisch-wehrhafte Männlichkeit wird als göttlicher Auftrag überhöht, Gender, Diversität und Feminismus werden als teuflische Pläne abgewertet. Politiker wie Wladimir Putin, Donald Trump und Javier Milei sind hier ganz gleich. Mit ihren Botschaften bieten sie verunsicherten Männern einen einfachen, ermutigenden und damit äußerst attraktiven Ausweg."

Wie kann man die Geschlechterkluft überwinden?

Theunert plädiert für mehr männerspezifische Bildung und Unterstützungsangebote - und für mehr männliche Vorbilder, an denen sich Burschen orientieren können. Männerforscher May geht noch einen Schritt weiter: "Männer müssen sich auch Frauen und queere Personen zum Vorbild nehmen." Und sie müssen sich ihrer männlichen Privilegien bewusst werden: "Es reicht nicht, wenn Männer wie Harry Styles sind, sich die Fingernägel lackieren und ab und zu über ihre Gefühle reden. Im Gegenteil: Ich will Männer sehen, die aus ihrem männerdominierten Umfeld ausbrechen, Väter, die vorleben, wie man sich um die Kinder kümmert und Teilzeit arbeitet, wenn die Frauen Karriere machen“.

Soziologin Fabienne Décieux von der Universität Wien wünscht sich einen breiteren gesellschaftlichen Diskurs: "Man muss argumentieren, dass es in einer geschlechtergerechteren Welt nicht nur den Frauen besser geht, sondern Männern auch. Und neben einer Anpassung institutioneller Rahmenbedingungen sollte man auch an die Gefühle appellieren. Dieses Feld wird derzeit den Populisten überlassen.“

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