Feminismus-Debatte: "Frauen geben sich mit zu wenig zufrieden"
Noch nie wurde so viel über Feminismus gesprochen – und gestritten. Während sich Alt- und Jungfeministinnen zerfleischen, geraten die eigentlichen Probleme in den Hintergrund, warnt die Wiener Schriftstellerin Gertraud Klemm. In ihrem neuen Roman lässt sie exemplarisch für die gesellschaftliche Entwicklung Bewohnerinnen einer WG über aktuelle Frauenthemen debattieren.
„Ich wollte dem auf den Grund gehen, warum sich diese 51 Prozent der Bevölkerung einfach nicht zusammentun können“, sagt sie im KURIER-Interview.
KURIER: Zu welcher Erkenntnis sind Sie gekommen?
Gertraud Klemm: Feminismus funktioniert nicht als Kollektiv, das aufbegehren könnte. Es gibt keine Frauenpartei, Gruppen oder Kirchen, die Frauen vertreten. Es fehlt der Klebstoff – und das ist durch die sozialen Medien noch spürbarer. Der Feminismus zerbricht in Strömungen, die nicht zusammenfließen, sondern einander auslöschen. Eine der größten Schwierigkeiten ist, dass wir keine Solidarität zusammenbringen.
Dabei ist Feminismus auch dank Social Media und Kampagnen wie #MeToo präsenter denn je. Was läuft schief?
Social Media bietet einfache Lösungen für komplizierte Probleme – auf kleinem Raum muss viel behauptet und verteidigt werden. Das hat meiner Meinung nach die Diskussionskultur beendet. Im Buch habe ich das am Beispiel Sexarbeit dargestellt: Plötzlich heißt es nur noch, Sexarbeit ist super oder Prostitution teuflisch. In Wahrheit hilft es niemandem, wenn sich nicht betroffene Frauen die Schädel einschlagen.
Ein anderes „Kampfthema“ ist genderneutrale Sprache. Flora, Anhängerin des New-Wave-Feminismus, wird im Buch als „woke Sternchenfeministin“ beschrieben.
Ich bin für geschlechtergerechte Sprache. Mir geht es auch nicht um das Gendersternchen, sondern um die Definition von „Frau“. Wenn wir nicht einmal mehr einen Begriff finden, unter dem wir uns vereinen können, dann sind wir wirklich verloren.
Sie sprechen die Debatte um Formulierungen wie „Personen mit Uterus“ an, die trans Männer inkludiert. Ist es nicht positiv, dass auch diese Gruppe abgebildet wird?
Ich denke, in Summe geht dadurch mehr verloren, weil trans Frauen und Frauen ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben. Und solange wir diese Diskussion nicht auch mit Männern haben, stimmt irgendwas nicht. Oder haben Sie schon gehört, dass Mannsein neu definiert werden muss? Es gibt keine „Personen mit Penis“ oder „Hodenträger“. Warum hängt schon wieder alles am Feminismus? Zudem verlieren wir ein riesiges Potenzial – Frauen, die nicht im akademischen Diskurs drin sind. Viele wenden sich mit Grauen ab von einem Feminismus, in dem sie sich nicht mehr als Frau bezeichnen dürfen.
Gertraud Klemm wurde 1971 in Wien geboren und lebt mit ihrer Familie in Pfaffstätten (NÖ). Sie studierte Biologie und arbeitete als hygienische Gutachterin, ehe sie Schriftstellerin wurde.
Seit 2006 ist Klemm als freie Autorin tätig und widmet sich in ihren Büchern oft feministischen Themen. Ihr Roman „Aberland“ schaffte es 2015 auf die Longlist des Deutschen Buchpreises.
Ihr neues Buch "Einzeller" erscheint im Verlag Kremayr & Scheriau, 308 Seiten, 24 Euro.
Die deutsche Ministerin Lisa Paus sagte diese Woche: Eine Frau ist eine Person, die sich als Frau identifiziert. Wie sehen Sie das – als Biologin?
Die Anatomie ist des Pudels Kern: unsere theoretische Gebärfähigkeit. Was bleibt, wenn wir das weglassen? Nagellack? Stöckelschuhe? Die Kategorie „Frau“ ist zum Opfer-Kollektiv verkommen: „die, die unter dem Patriarchat leiden“. Dabei heißt Frausein, organisch über die Superkraft zu verfügen, andere Menschen zu machen. Egal, ob wir diese Kraft einsetzen, aussetzen oder verlieren: Sie definiert uns. Ihr gebührt Dank, und wir sollten sie feiern.
Zurück zur WG bzw. der eigenen Familie: Wie kann man den Dialog zwischen Frauengenerationen verbessern?
Was in meinen Augen nicht gut funktioniert, ist der Wissenstransfer zwischen den Generationen und das ehrliche Bekenntnis, wie grauslich es ohne Frauenpolitik war. Viele Junge wissen nicht, wie es vor Dohnal um Schwangerschaftsabbrüche oder Familienrecht stand. Solche Fakten werden auch nirgends unterrichtet, dabei wäre es wichtig, dieses Wissen weiterzugeben. Das sieht man aktuell in Polen oder USA: Dass Schwangerschaftsabbrüche 2022 wieder verboten sind, hätte ich nicht zu alb-träumen gewagt.
„Heraus mit dem Frauenwahlrecht“: Demo auf der Wiener Ringstraße 1911
Familienbild: Vor 1914 hatten Frauen im Schnitt vier Kinder
Suffragetten: Demo in London
Erste SPÖ-Parlamentarierinnen: 1918 folgte das Frauenwahlrecht, 1919 zogen acht Frauen in den Nationalrat ein
Zwei Ikonen: Österreichs erste Frauenministerin Johanna Dohnal und Alice Schwarzer, Deutschlands bekannteste Feministin.
Galionsfigur: Simone de Beauvoirs „Das andere Geschlecht“ war eine Revolution (hier mit Partner Sartre).
Gender-Frage: Judith Butlers „Das Unbehagen der Geschlechter“ eröffnete 1990 die Gender-Debatte.
#MeToo: 2017 erzählten Frauen weltweit von Belästigungen und Übergriffen – mit Folgen.
Müssten die älteren den jüngeren Feministinnen nicht auch genauer zuhören?
Natürlich. Ich vermisse eine Offenheit, wenn sich die Gesellschaft verändert – und das tut sie gerade bei der Paarbildung und Familiengenese stark. Es ist schwierig, weil die private Entwicklung der gesellschaftlichen immer fünfzig Jahre hinterherhinkt.
Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Forderungen zum heutigen Frauentag?
Gleiches Geld für gleiche Arbeit, mehr Machtpositionen in Wirtschaft und Politik, Gendermedizin, Absicherung im Alter. Auch in die Kirchen und Religionen gehört unbedingt mehr Weiblichkeit.
Ist die Politik säumig?
Wir waren schon einmal viel weiter. Seit Johanna Dohnal hat sich nicht viel verändert. Es gibt keine Frauenpolitik mehr, die diese Bezeichnung verdient – wenn, dann eine Sozial- oder Mütterpolitik. Aber die Frauen sind meiner Meinung nach auch ein bisschen selbst schuld, weil sie weder Parteien gründen noch in ihren eigenen Interessen wählen. Sie geben sich mit viel zu wenig zufrieden.
Noch eine Frage an die Biologin: Gibt es etwas, das sich Frauen vom Tierreich abschauen können?
Unbedingt! Viele höhere Tiere sind Frauenrudel. Auch Termiten und Bienen sind Frauengesellschaften, die Paarbindung ist etwas Seltenes. Frauensolidarität mit gelegentlichem männlichem Besuch funktioniert in der Biologie sehr gut. Das können wir von Mutter Natur lernen.
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