Papas helfen Papas: Wie die Papainfo Vätern den Mental Load erklärt
Auf den blau gerahmten Kärtchen, die Dieter Breitwieser-Ebster auf ein Flipchart klebt, stehen Schlagwörter wie "Erziehungsarbeit", "Frust", "Freizeit" oder "Haushaltsmanagement" geschrieben. Es ist Freitagnachmittag, 16:30 – für viele beginnt in diesen Minuten das Wochenende. Für Breitwieser-Ebster geht die Arbeit weiter, er ist Projektmanager beim Verein Papainfo, der Männer und (werdende) Väter durch Informationsarbeit, Wissensaustausch und Bewusstseinsbildung unterstützt.
Beim heutigen Event, das im 15. Bezirk in den Räumlichkeiten der Möwe, einem Verein für Kinderschutz, und in Zusammenarbeit mit Frühe Hilfen, stattfindet, soll es um den Umgang mit Neugeborenen gehen. Beim sogenannten Papa-Treff wird das optimale Tragen, Wiegen, Wickeln, und Baden von Babys besprochen. Männer unter Männern also, aber natürlich mit ihrem Nachwuchs in der Tragevorrichtung.
Hier soll sich ausgetauscht und neben den technischen Aspekten des Wickelns vielleicht auch noch darüber gesprochen werden, was die Teilnehmenden momentan bewegt. Zum Beispiel, wie sie mit ihrer neuen Rolle als Papa klarkommen und ob es Probleme, aber auch Erfolgserlebnisse in der Familie und der Partnerschaft gibt.
Viele Familien sind hoch belastet
Breitwieser-Ebster, der selbst ausgebildeter Kindergartenpädagoge und Sozialarbeiter ist, bemerkt in seiner täglichen Arbeit, dass es einige Familien gibt, "die hoch belastet sind, aber es selbst gar nicht wissen. Man kann sich vorher gar nicht vorstellen, was es eigentlich bedeutet, wenn man Eltern wird. Da muss man das alles erst lernen." Die Papainfo hilft in Kooperation mit Frühe Hilfen Wien in den Familien vor Ort und veranstaltet außerdem verschiedene Workshops, Kurse und Vorträge, um Familien zu entlasten.
Auch Papa-Spaziergänge stehen auf dem Event-Programm, wie der Projektleiter erklärt: "Im Gehen redet es sich leichter. Das sollen Entlastungsgespräche sein, keine therapeutischen Gespräche. Also weg vom Beratungskontext, da wir merken, dass Männer das nicht so gut annehmen."
Die meisten würden sich leider erst melden, wenn es bereits ernsthafte Probleme gäbe, zum Beispiel eine Trennung von der Partnerin im Raum steht. Die Papainfo sieht sich als "Präventionsmaßnahme", die bei Kleinigkeiten den Hebel ansetzt und für Entlastung sorgt, sodass Eltern wieder gestärkter für die Familienarbeit sind.
Kleinigkeiten summieren sich
Besagte Kleinigkeiten können aber oft Großes für Partnerschaften bedeuten. Der sogenannte Mental Load ist in aller Munde. "Unsichtbare Aufgaben" werden nämlich vermehrt von Frauen übernommen, die in Folge mentale Mehrbelastung erfahren. Das sieht auch Breitwieser-Ebster so und erklärt, dass Ungerechtigkeit in der Care-Arbeit und im Haushalt oft an konkreten Beispielen sichtbar wird: "Wer hat die aktuellen Kleidergrößen und Arzttermine der Kinder am Schirm? Wer geht Lebensmittel einkaufen, kocht, putzt und schaut, dass die Wäsche sauber ist? Oder wer denkt daran, Geburtstagsgeschenke zu kaufen oder eine Party zu planen?"
In den allermeisten Fällen seien das die Zuständigkeiten der Frauen, während laut Studien Männer eher unregelmäßig wiederkehrende Aufgaben wie Finanzen, Handwerker und Reparaturen übernehmen.
Online gibt es bereits Mental Load-Tests für Paare zu finden, die hunderte von Tätigkeiten des Alltags auflisten. Wer sich fragt, wie groß die eigene mentale Last ist, sollte sich laut Breitwieser-Ebster gemeinsam als Paar hinsetzen und schauen, wer welche Aufgaben übernimmt, wie oft diese erledigt werden müssen und wie man Dinge umverteilen kann.
Dazu gehört laut dem Experten aber auch, Verantwortung zu übernehmen und auch abzugeben zu können. Das bedeute auch, dass "man auch mal loslassen muss und sich damit abzufinden sollte, wenn das Gegenüber die Klomuschel anders putzt als man das selbst tun würde. In Summe muss es sauber sein für beide." In seinem eigenen Familienleben steht und fällt alles zum Beispiel mit einem gemeinsamen Kalender, der als Orientierungshilfe gilt, so Breitwieser-Ebster.
Angebot ist kostenlos und niederschwellig zugänglich
Über den Mental Load möchte der Papainfo-Experte heute ebenfalls mit den Teilnehmern des Papa-Treffs sprechen. Die Veranstaltung ist niederschwellig zugänglich und kostenlos, eine verbindliche Anmeldung ist ebenfalls nicht erforderlich. Was laut den Veranstaltern auch immer wieder dazu führt, dass sich Väter spontan dazu entschließen zu kommen, oder eben doch mal abzusagen.
An diesem schönen Freitagnachmittag kommt nur ein Papa vorbei. Philipp ist 34 , sein Sohn Jacob eineinhalb Jahre alt. Er ist zum ersten Mal Vater geworden, wie er verrät, das zweite Baby ist jedoch bereits auf dem Weg. Für das Event ist er bestens ausgerüstet – er trägt seinen Sohn in einer Babytrage vor seinem Körper und hat einen Rucksack geschultert, der randvoll mit Zubehör ist. Zum Papa-Treff kommt er, weil er in seinem Umfeld so gut wie keine Bekannten hat, die bereits Kinder haben: "Manche Dinge kann man einfach nicht so gut nachvollziehen, wenn man selbst die Erfahrung nicht gemacht hat. Ich tausche mich da gerne aus."
Ohne eine große Gruppe wird das Vätertreffen nun spontan umdisponiert. Die Männer entschließen sich kurzerhand, gemeinsam spazieren zu gehen und einen neuen Spielplatz auszukundschaften. Im Gehen redet es sich schließlich leichter. Nachdem Baby Jacobs Sonnenhut zurechtgerückt und noch einmal Wasser getrunken wurde, geht es hinaus in die Sonne.
Gemeinsamer Familienkalender als höchstes Gut
Die Väter besprechen beim Schlendern, was sie am Wochenende noch so vorhaben. Um diese Frage zu beantworten, muss Philipp kurz den Kalender zücken, den er gemeinsam mit seiner Partnerin führt, denn ohne den gehe sowieso gar nichts. Er meint lachend: "Was da nicht drinnen steht, wird nicht berücksichtigt. Morgen haben wir ein Date am Nachmittag, wir gehen auf die Mariahilferstraße und Jacob ist bei seinen Großeltern."
Dem Papainfo-Experten Breitwieser-Ebster ist es auch wichtig, mit den Vätern, zu besprechen, welche Dinge in der Partnerschaft und der Kindererziehung bereits gut laufen.
Darauf gefragt, erzählt Philipp stolz, dass Jacob ihn genauso sehr annimmt, wie er das bei seiner Mutter tut. Er lasse sich genauso von ihm als Papa in den Schlaf wiegen und füttern – nicht bei allen Vätern wäre das so. Den Begriff der Mental Load habe er bereits gekannt, bevor er Vater wurde, gekümmert habe ihn das aber erst so richtig danach. Dieter Breitwieser-Ebster erklärt er, dass er dafür ein gutes System mit seiner Partnerin gefunden hat: "Wir setzen uns jeden Abend gemeinsam hin und besprechen alles durch. Das ist fast wie ein Arbeitsmeeting. Wir schauen, wer was wann macht und wer zum Beispiel Geschenke kaufen geht. So teilen wir uns das ein."
Beide Elternteile arbeiten in Teilzeit, weshalb beide jeweils zwei Tage haben, die sie mit dem Kleinen füllen. Da stehen dann zum Beispiel Turnen, Musikkurse oder Spielplatz-Besuche auf dem Plan.
Es braucht Vorbilder
Dass Philipp die Arbeitsverteilung in seiner Familie scheinbar bereits ganz gut hinkriegt, bewundert der Experte. Im Grunde brauche es laut ihm diese Vorbilder durch andere Männer, damit gesellschaftlicher Wandel eintreten kann. Im öffentlichen Leben sowie auch im Privaten. "Männer sollen sehen, dass das nicht automatisch lässig ist, wenn sie nur das Fleisch auf den Grill schmeißen und rundherum nichts machen, sondern dass es auch dazugehört, danach noch sauberzumachen. Wenn die das von mir als Experten hören, dann kommt das oft nicht so an. Aber wenn das ein Freund, ein Chef, oder ein Bekannter vorlebt, ist es gleich was ganz anderes."
Während die Männer entspannt durch die Straßen Wiens schlendern, sprechen sie über Alltägliches: Neuentdeckungen von Spielplätzen, Sonnenschutz oder auch Arzttermine. Es soll sogar schon einmal vorgekommen sein, dass in der Ordination gefragt wurde, ob denn die Mutter verhindert oder krank sei, da es so "unüblich" wäre, dass ein Vater die Arzttermine einhalte.
Auch mal die Konsequenzen tragen
Wie niedrig scheinbar die Latte für Väter im Vergleich zu Müttern gelegt wird, beschäftigt auch die teils ehrenamtliche Arbeit der Papainfo. Da ist es laut dem Experten aber trotzdem wichtig, dass man positiv an die Sache herangeht: "Man muss auf Kleinigkeiten aufbauen. Das klingt immer ein wenig schräg. Aber wenn ich von einem sehr niedrigen Niveau auf ein sehr hohes wechseln soll, kann ich fast nur daran zerbrechen. Es braucht diese kleinen Schritte – und vielleicht auch mal Hilfe dabei".
Am besten lerne man aber immer noch, wenn man selbst die Konsequenzen tragen müsse. Unter Lachen erzählt Breitwieser-Ebster, dass er in der Vergangenheit zweimal die Flasche für sein Kind bei Ausflügen vergessen hat. Danach habe er den Fehler aber nie wieder gemacht, weil er die Auswirkungen am eigenen Leib zu spüren bekam.
Gleichberechtigung ab sofort?
In puncto Gleichberechtigung im Familienleben malen die Statistiken jedoch ein ernüchterndes Bild. Nicht nur, dass sich alte Rollenbilder durch die Covid-Pandemie wieder verfestigt haben sollen, auch eine aktuelle Studie der Arbeiterkammer - das Wiedereinstiegsmonitoring -, zeigt eine Rückentwicklung in der Aufteilung der Kinderbetreuungszeit von Vätern an.
Strukturell ist also die Politik gefragt, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglicht, Frauen etwa beim Wiedereinstieg in den Beruf unter die Arme zu greifen oder weitere Impulse für Väter zu setzen. Die Papainfo will aus diesem Grund das Problem an der Wurzel anpacken und plant in Zukunft, vermehrt in Unternehmen und in der Lehre durch Aufklärungsarbeit aktiv zu sein.
Neben kulturellen, gesellschaftlichen und medialen Einflüssen sieht Dieter Breitwieser-Ebster aber auch die Bequemlichkeit vieler Männer als Problem. Väter könnten laut ihm aber nur davon profitieren, neben ihrer Erwerbstätigkeit mehr Verantwortung im Alltagsleben der Familie zu übernehmen. Geld sei natürlich sehr wichtig für die Familie, das sei klar. Aber der Einsatz wird Männern mit besserer Kommunikation, Intimität in der Partnerschaft, einer innigeren Bindung zum Kind und dem Wissen, zu Hause wichtig zu sein, vergolten, so der Experte.
Oder eben mit dem Gefühl, das Philipp zuvor mit leuchtenden Augen beschrieben hat, nämlich, dass sein Sohn Jacob keinen Unterschied zwischen den beiden Eltern macht und beide auch als gleichberechtigt und gleichwertig akzeptiert.
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