Staatsoper im Künstlerhaus: Der Gorilla macht junges Musiktheater
Klaus Albrecht Schröder, der Direktor der Albertina, hätte den französischen Saal gerne auch noch gehabt - für die Albertina modern. Doch der Unternehmer Hans Peter Haselsteiner, der mit seiner Strabag das Künstlerhaus renovierte und daher über den Großteil der Fläche bestimmen darf, entschied sich anders: Der seitliche Trakt, der zuletzt vom Wiener Koproduktionshaus brut genutzt wurde, bleibt ein Theater - und wird von der Staatsoper programmiert. Unter dem Titel NEST (für "Neue Staatsoper") als Opernhaus für Kinder, Jugendliche und auch Familien.
Der Start erfolgt am 7. Dezember mit einer Uraufführung, wie Staatsoperndirektor Bogdan Roščić bei seiner Pressekonferenz im neuen Saal bekannt gab. Im KURIER-Interview erklärt er die Details - und warum die Gruppe Nesterval die "Götterdämmerung" macht.
KURIER: Sie haben enorm hohe Auslastungszahlen. Selbst zeitgenössische Opern sind ausverkauft. Wieso läuft so gut?
Bogdan Roščić: Wer weiß das so genau? Weil Menschen aus aller Welt in die Staatsoper wollen, weil das richtige Programm richtig kommuniziert wird? Es gibt viele Faktoren.
Ihre Vorgänger schafften aber keine 100-prozentige Auslastung, wenn sie Opern des 20. Jahrhunderts angesetzt haben.
Es gab sehr wohl große Erfolge, „Medea“ von Aribert Reimann oder Olga Neuwirths „Orlando“.
Das waren Ausnahmen.
Auch angeblich schwierige Werke kann man dem Publikum vermitteln, dazu muss man aber mit ihm in Kontakt treten. Früher gab es einen Pressesprecher, jetzt gibt es auch eine Marketingabteilung, die das Programm zu kommunizieren hat. Dazu gehören tausend große und kleine Dinge, von einer riesigen Werbewand am Flughafen bis zu Mails, in denen alle, die ein Ticket gekauft haben, ausgezeichnete Inhalte zu Werk und Produktion erhalten. Natürlich musste man für Alexander Raskatovs „Animal Farm“ arbeiten, es gab Jugendkarten, aber die Spielserie war letztlich voll. Und György Ligetis „Grand Macabre“, eine Neuproduktion, völlig ausverkauft. Der Umsatz der fünf Vorstellungen lag bei 650.000 Euro, das ist bei anderen Theatern in Wien ein Zehntel der Jahreseinnahmen.
Alles nur in Marketing-Erfolg?
Man kann nur vermarkten, was auf der Bühne stattfindet, aber das sollen andere beurteilen, man kommt da schnell ins Aufschneiden.
Und so macht die Auslastung 99,2 Prozent aus. Diese Zahl jedenfalls gab Christian Kircher, Chef der Bundestheater-Holding, bei seiner Jahrespressekonferenz im Februar bekannt.
Ja, „Bogdan Roščić auf Rekordkurs“, wie der KURIER getitelt hat. Trotzdem habe ich mich geärgert.
Warum denn?
Wenn schon Zahlen, dann schauen wir uns die Auslastung bei Oper und Ballett im großen Saal an, also ohne Einführungsmatineen und alle möglichen Sonderveranstaltungen. Denn fast die gesamten Einnahmen werden in den regulären Vorstellungen gemacht. Und wenn man sich da die Sitzplatzauslastung anschaut, liegt sie in dieser Spielzeit bei über 99,9 Prozent.
Wegen dieser 0,7 Prozent haben Sie sich geärgert?
Am meisten ärgert mich, dass Kulturdebatten in Wien bald nur noch um Zahlen geführt werden.
Und künftig kannibalisieren Sie sich selbst – mit dem NEST?
Das glaube ich nicht. Ich werde immer wieder gefragt, welche Zielgruppen die Staatsoper hat. Und ich sage darauf gebetsmühlenartig: Sie ist als öffentliche Institution für alle da. Sie muss daher stets überlegen, wie sie Zutrittsschranken so weit wie möglich beseitigt. Die Realität ist aber, dass man gewisse Gruppen benachteiligt. Zum Beispiel, weil die Republik sehr straffe Vorstellungen bezüglich der Einnahmen hat. Das beschränkt die Freiheiten des Experimentierens und Programmierens.
Sie meinen: Sie können daher nicht so viel Kinderoper anbieten, wie es wünschenswert wäre?
Zum Beispiel. Es entsteht eine Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen, vielleicht auch von jungen Erwachsenen, die weniger Geld haben. Auch deswegen muss diese neue Spielstätte eröffnet werden. Von daher glaube ich auch nicht an eine Kannibalisierung.
Ioan Holender stellte einst als Direktor ein Zelt aufs Dach, Nachfolger Dominique Meyer mietete ein Kellertheater in der Walfischgasse an. Und Sie spielten mit der Idee, den Lusterboden auszubauen.
Er ist die letzte Raumreserve der Staatsoper. Aber der Ausbau wäre nicht nur astronomisch teuer gewesen, er hätte auch eine Schließung bedeutet, mindestens eine ganze Saison. Ich habe daher nach einem anderen Ort gesucht, mir z. B. aufgelassene Kinos angeschaut.
Und dann hat Ihnen Hans Peter Haselsteiner den französischen Trakt des Künstlerhauses angeboten?
Wir haben einander kennengelernt, nicht ganz zufällig, und ich habe ihm die Situation geschildert. Daraus entstand die Idee.
Er trägt auch die Hauptlast?
Die Kosten wurden mit über 20 Millionen Euro netto veranschlagt. Die Republik hat fünf Millionen beigesteuert. Den Rest samt allfälligen Kostensteigerungen tragen die Strabag und die Haselsteiner Familienstiftung. Wir können das Gebäude kostenlos nutzen. Die Miete für das Theater in der Walfischgasse würde heute wohl bei knapp 400.000 Euro pro Jahr liegen, das ersparen wir uns. Auf lange Sicht wird die mäzenatische Leistung also noch deutlicher. Und was viel über die Person Haselsteiner aussagt: Er möchte überhaupt nicht genannt werden. Sie sehen seinen Namen weder im Spielzeitheft, noch am Gebäude.
Machte Haselsteiner Vorgaben?
Nein.
Er hat auch keine Möglichkeit, die Staatsoper rauszuschmeißen?
Man dürfte so ein Geschenk gar nicht annehmen, wenn es inhaltlich einschränkend wäre. Haselsteiner denkt nicht an eine Einflussnahme.
Sie haben die Betriebskosten zu bezahlen – und die Produktionen zu finanzieren. Gibt es daher seitens des Bundes eine Budgeterhöhung?
Nein. Die jährlichen Kosten sind mit 2,5 Millionen Euro veranschlagt, wir selbst bringen diese Summe auf. Den Löwenanteil von 1,8 Millionen trägt der von mir gegründete Freundeskreis der Wiener Staatsoper.
Die Eröffnungspremiere – die Uraufführung „Sagt der Walfisch zum Thunfisch“ von Thierry Tidrow – inszeniert Sara Ostertag, die kürzlich als neue Leiterin des TAG designiert wurde. Für Kinder ab sechs.
Ja, ein Auftragswerk der Staatsoper, vor allem auch ein Spiel mit Sprache. Den Titel hat Buchautor Carsten Brandau dem weltberühmten Kinderwitz entnommen: „Sagt der Walfisch zum Thunfisch: Was soll ich tun, Fisch? Sagt der Thunfisch zum Walfisch: Du hast die Wahl, Fisch!“
Eine Woche danach macht die queere Gruppe Nesterval die „Gottesdämmerung“. Das wird alles andere als eine Kinderproduktion!
Der Schwerpunkt liegt auf Produktionen für Kinder, das NEST ist deswegen aber nicht nur Kinderoper. Wir wollen Programm für Jugendliche, junge Erwachsene und auch für Familien machen. Die besten Filme für Kinder sind doch solche, die in Wahrheit die Eltern schauen wollen. Wir wenden uns im NEST ja auch an Menschen, die nicht als Käufer angesprochen werden können. Daher ist es sehr wichtig, gut mit den Eltern und auch den Schulen zu kommunizieren.
Roland Geyer wird sich ärgern: Er startet sein Johann-Strauß-Jahr mit einer spektakulären Nesterval-Inszenierung. Aber die „Götterdämmerung“ kommt zwei Wochen eher heraus …
Das war nicht meine Absicht!
Es gibt nur fünf Termine. Sie werden überrannt werden!
Ich hätte auch 50 angesetzt. Aber mehr war terminlich zunächst nicht möglich, da spielen 16 Personen, dazu das Bühnenorchester der Staatsoper. Ohne dieses wäre der Betrieb im NEST übrigens unmöglich, es ist dort das Hauptorchester.
Sie demonstrieren Vielfalt: Martin Schläpfer macht die Choreografie zu „Peter und der Wolf“, die Oper „Elektrische Fische“ für Jugendliche wird wiederaufgenommen ...
… und „Consistent Fantasy is Reality“ wird zeigen, wie groß unsere Spannweite ist. Denn Gaye Su Akyol ist ein waschechter Popstar. Also keine klassische Opernmusik, aber brillantes Musiktheater. Eine Vorgabe von mir war, dass wir als Staatsoper nicht sagen können: Der 800-Kilo-Gorilla sitzt, wo er möchte.
Das hab’ ich jetzt nicht kapiert …
Es kann nicht sein, dass wir Inhalte verdoppeln, die es in der Stadt schon ausreichend gibt. Also: Unser Angebot muss komplementär sein. Das ist uns, glaube ich, gelungen.
Sie überlassen „Aristocats“ – eine hinreißende Produktion übrigens – der Volksoper und bringen mit „Lee Miller in Hitler’s Bathtub“ einen recht herausfordernden Spielplan.
Ich glaube nicht, dass das Programm schwierig ist. Ich glaube, dass es Qualität hat. Uns interessieren auch unkonventionelle Zugänge – und Stoffe, die wir in der Staatsoper nicht machen können. Daher bringt Jan Lauwers die Oper von Maarten Seghers zur Uraufführung. Lee Miller hat eine faszinierende Lebensgeschichte: Sie war Modell von Pablo Picasso, hat mit Man Ray gearbeitet, war als Kriegsreporterin bei der Befreiung des KZ Dachau. Danach hat sie sich Zutritt zu Hitlers Wohnung in München verschafft und eben ein unglaubliches Foto in dessen Badewanne gemacht … Dort beginnt die Handlung.
Die Eintrittspreise sind erstaunlich niedrig: Die teuerste Erwachsenenkarte kostet nur 37 Euro.
Das ist gut so. Trotzdem, aufgrund der Größe des Theaters – es ist viel größer als das Zelt und deutlich größer als die Walfischgasse – erwarten wir allein in der Rumpfsaison 2024/„25 Einnahmen von über 300.000 Euro. Das wäre ein Eigendeckungsgrad von 15 Prozent, inklusive Sponsoring sind es über 80.
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