Was macht eine Intimitätskoordinatorin?
„They kiss more passionately“ stand in einem Drehbuch, das Cornelia Dworak kürzlich gelesen hat. Ein leidenschaftlicher Kuss soll es also sein. Aber wie genau soll er aussehen? „Ist es ein langsames oder ein schnelles Annähern? Gibt es viel Bewegung? Wie lange dauert der Moment?“ Diese Unsicherheit kann für Schauspieler Stress bedeuten. Das zu verhindern, ist Cornelia Dworaks Job als Intimitätskoordinatorin (Englisch: intimacy coordinator): Sie betreut Darsteller beim Drehen von intimen Szenen. „Die können einen Kuss beinhalten, Berührung, Nacktheit, simulierten Sex oder auch simulierten, nicht einvernehmlichen Sex“, erklärt Dworak. Schon in der Sprache wird auf Achtsamkeit wert gelegt – Begriffe, die etwas triggern können, werden vermieden.
Vom Stunt zur Intimität
Den Beruf der Intimitätskoordinatorin gibt es noch nicht lange. Dworak hat Biologie studiert, mit Schwerpunkt Verhaltensforschung. Für Sport und Bewegung hat sie sich schon immer interessiert und ist über einen Bekannten, der beim Film gearbeitet hat, auf Stunt aufmerksam geworden. Seit 2006 ist sie als Stuntfrau und -koordinatorin tätig. Die Wienerin hat sich etwa für den Film „Der Vampir auf der Couch“ durch eine geschlossene Tür schleudern lassen, wurde bei den Bregenzer Festspielen als Leiche aus dem Wasser gezogen oder musste beim „Mission Impossible“-Dreh in Wien einem explodierenden Auto ausweichen. Sie war als Double für Ursula Strauss und Adele Neuhauser im Einsatz, betreut aber auch Schauspieler, wenn diese selbst Stunts durchführen sollen.
„Immer wieder sind im Laufe der Jahre auch Szenen zu mir gekommen, die Intimität gepaart mit Gewalt beinhaltet haben“, erzählt Dworak. Lange wurde in solchen Fällen improvisiert. Spätestens durch die #MeToo-Bewegung ist aber das Bewusstsein gestiegen, dass es auch für intime Szenen Betreuung braucht. Vor allem im englischsprachigen Raum: Der US-Sender HBO etwa setzt bei Nackt- oder Sexszenen mittlerweile standardmäßig auf Intimitätskoordination. „Man lässt ja jemanden sehr nah an sich heran, in einen Bereich, in den man niemanden lassen würde, der einem nicht vertraut ist. Und eine Schauspielpartnerin oder ein Schauspielpartner gehören da nicht zwingendermaßen dazu.“
Vor zwei Jahren hat Dworak eine entsprechende Weiterbildung in Berlin absolviert. Mittlerweile war sie u. a. für den TV-Mehrteiler „Vienna Blood“, die ZDFneo-Serie „Die Macht der Kränkung“ und den Kinofilm „Wenn wir die Regeln brechen“ als Intimitätskoordinatorin tätig – bei letzterem Projekt hat Dworak auch die Stuntkoordination übernommen: „Die zwei Bereiche sind gar nicht so weit voneinander entfernt, wie man meinen würde. Es geht in beiden Fällen um Sicherheit und um ein achtsames Arbeiten innerhalb der Grenzen, die die Darstellerinnen und Darsteller mitbringen.“
Von der Schwierigkeit, Nein zu sagen
Öfters haben ihr Schauspieler von Drehs intimer Szenen erzählt, bei denen nicht abgesprochen wurde, was passieren soll. „Es kann sein, dass man am Drehtag ans Set kommt und überhaupt nicht weiß, was auf einen zukommt. Man hat dann keine Zeit, in sich zu gehen und nachzuspüren: Will ich das überhaupt? Ist das in Ordnung für mich?“ Der Druck sei dann bereits so hoch, dass es auch schwer sei, Nein zu sagen. „Man weiß, dass das ganze Team wartet – und Zeit ist bei einem Dreh Geld. Man will ja der Geschichte dienen, nicht kompliziert erscheinen und auch wieder gebucht werden.“
Damit es nicht zu solchen Situationen kommt, klärt die Intimitätskoordinatorin bereits im Vorfeld mit der Regie ab, was mit einer gewissen Szene überhaupt erzählt werden soll. „Es gibt tausend Wege, wie man etwas darstellen kann und das kann man ja an die Bedürfnisse der Darstellerinnen und Darsteller anpassen.“ Mit ihnen steckt Dworak in Einzelgesprächen ab, was für sie okay ist. In Proben wird dann gemeinsam erarbeitet, wie die entsprechende Szene aussehen soll: Welche Körperstellen gesehen oder berührt werden dürfen, wie lange die Berührung stattfindet und mit welcher Intensität.
„Die Darsteller, die zusammenarbeiten, müssen immer beide einverstanden sein. Wenn für einen etwas nicht angenehm ist, fällt es raus“, berichtet Dworak. „Je nachdem, wie komplex das Ganze ist, kann es schon sein, dass es ein paar Stunden dauert, eine Szene zu drehen. Dann muss man sich auch eine Weile in der Situation wohlfühlen.“
Die Intimitätskoordinatorin ist auch im Austausch mit Maske und Kostüm: „Es gibt verschiedene Techniken, wie man zum Beispiel Sex simulieren kann, ohne dass die Geschlechtsteile zusammentreffen. Wenn die Körper für den Zuseher nackt aussehen sollen, gibt es Möglichkeit, den Genitalbereich zu schützen. Manchmal sieht man nur die Oberkörper und der Rest ergibt sich aus der Bewegung, dann können die Schauspieler auch Jogginghosen tragen. Oder die Brust der Frau ist durch den Arm des Mannes verdeckt, wenn man das nicht zeigen möchte.“
"Es gibt keinen Schauspiel-Körper"
Die Schauspieler seien durchwegs dankbar für ihre Arbeit und schon nach den Erstgesprächen meist viel entspannter. „Und auch die Regie ist dankbar, dass ich diese Übersetzung in Bewegungssprache leiste.“ Noch sei sie die einzige Intimitätskoordinatorin in Österreich, erzählt Dworak, und müsse viel erklären: „Manche fragen, warum ich das mache, weil das doch eh Schauspieler sind. Dann erkläre ich, dass man als Schauspielerin natürlich in eine Rolle schlüpfen, die Stimme verstellen und eine andere Körperhaltung einnehmen kann. Aber sobald man jemanden berührt, ist das ja ein privater Körper, es gibt keinen Schauspiel-Körper.“
Auch wenn noch Aufklärungsarbeit zu leisten ist, werden die Aufträge für Intimitätskoordination aber langsam mehr: „Es ist ein Wandel spürbar.“
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